"Jud Süß - Film ohne Gewissen":Oskar Roehler zeigt Führer und Verführer

Originalaufnahmen, die keine sind und obszöne Sexszenen: "Jud Süß - Film ohne Gewissen" erzählt die Geschichte des berüchtigten Propagandafilms der Nazis. In München hat er Premiere gefeiert.

Kathrin Haimerl

Der Ausschnitt zeigt Veit Harlans Film Jud Süß bei der Weltpremiere in Venedig 1940. Die Nazis haben Europa überfallen, überall regiert der Faschismus und die Schergen des Adolf Hitler brauchen Propaganda.

Filmpremiere 'Jud Süß' in München

Filmpremiere "Jud Süß" in München: Schauspielerin Lena Reichmuth, Regisseur Oskar Roehler, die Schauspieler Moritz Bleibtreu, Tobias Moretti und Ralf Bauer (von links nach rechts) kamen ins Filmcasino.

(Foto: dpa)

In ihrem Spielfilm steht Joseph Süß Oppenheimer, oberster Finanzberater des Herzogs von Württemberg, neben der blonden Dorothea, die um Gnade für ihren Mann fleht, der gerade in einem anderen Raum gefoltert werden sollte. Oppenheimer winkt mit dem Taschentuch aus dem Fenster. Das Zeichen. In der Ferne schreit der Gemahl vor Schmerzen. "Gott im Himmel, Gott im Himmel", murmelt Dorothea.

Oppenheimer zieht sie vom Fenster weg, eine Vergewaltigung der arischen Heldin wird angedeutet. Im Vordergrund sind auf der Leinwand die Schatten der Köpfe der Premierengäste in Venedig zu sehen. Ein Film im Film also.

Es ist eine Schlüsselsszene in Veit Harlans Propagandawerk Jud Süß. Doch auf der Leinwand im Münchner Filmcasino ist 70 Jahre später nicht das Original zu sehen - vielmehr spielt Tobias Moretti den Jud Süß, genauer: Tobias Moretti spielt den Schauspieler Ferdinand Marian, der 1940 den Oppenheimer spielte.

An diesem Dienstagabend sitzt Tobias Moretti selbst mit im Publikum. Jud Süß - Film ohne Gewissen des deutschen Regisseurs Oskar Roehler (Die Unberührbare, Der alte Affe Angst) feiert Premiere in München, der einstigen sogenannten Hauptstadt der Bewegung. Die Thematik des Films ist düster, der Rahmen der Premiere eher bunt. Auf dem roten Teppich vor dem Filmcasino stellt sich die Münchner Prominenz den Fotografen.

Der Erste, der die Blicke auf sich zieht, ist Franz-Xaver Kroetz, der in München für Wirbel mit seinen Lästereien über die Wiesn gesorgt hat. An diesem Abend wird er aus einem anderen Grunde Schlagzeilen machen: Bei ihm hat sich eine junge, blonde Dame untergehakt, für die sich die Reporter sehr viel mehr interessieren als für die Kontroversen, die es in den vergangenen Wochen um Jud Süß gegeben hat.

Nach Kroetz lassen sich unter anderem noch Heiner Lauterbach, Dieter Wedel und weitere Promis ablichten, bevor schließlich die Filmtruppe um Regisseur Roehler, Moritz Bleibtreu und Tobias Moretti eintrifft.

Im Kino dann schauen sie zu, wie Moretti in seiner Rolle als Schauspieler Ferdinand Marian selber zahlreichen Premieren als umjubelter Star beiwohnt. Nach und nach aber erkennt der Schauspieler, dass er mit seinem Versuch, Jud Süß menschlich darzustellen, grandios gescheitert ist. Dass dies vielmehr die volksverhetzende Wirkung des Films noch stärker schürt. Reichspropagandaminister Joseph Goebbels, der in Roehlers Film von Moritz Bleibtreu gespielt wird, hatte das einmal so formuliert: Harlans Film sei "ein ganz großer, genialer Wurf: Ein antisemitischer Film, wie wir ihn uns nur wünschen können."

Moment mal - Moritz Bleibtreu als Goebbels? Geht das gut? Nun ja. Moritz Bleibtreus Goebbels hinkt wie das Original. Wenn er sich in Rage redet und brüllt, klingt er wie das Original. Außerdem kann er noch mit dem Zeigefinger ähnlich hektisch wackeln wie das Original. Leider sieht das alles recht einstudiert aus. Gut, Bleibtreus Goebbels ist ein Poser. Das wiederum passt.

Bösartigster Propagandafilm

Hätte er sich selber von Goebbels zu einer Rolle überreden lassen?, will eine Reporterin wissen. Bleibtreu runzelt die Stirn, man merkt ihm an, dass er genervt ist. "Das sind doch hypothetische Fragen, die kann keiner beantworten", sagt er.

Zurück zum Film also, in dem Goebbels Marian überredet, die Hauptrolle im wohl bösartigsten antisemitischen Propagandafilm zu spielen. Der Film bündelt alle Klischees, die den Juden seit Jahrhunderten angehaftet werden - mit Marian in der Rolle des Jud Süß als Prototyp des historischen Hofjuden. In Oskar Roehlers Film wird der Schauspieler schlussendlich an einer Frage zerbrechen: Inwiefern trägt er mit Schuld am Holocaust?

Diese Frage beschäftigte auch die Gerichte im Nachkriegsdeutschland: Als einziger Künstler war der Regisseur Veit Harlan unter anderem wegen Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt worden. In einem der Verfahren benannte ein ehemaliger Häftling des KZ Sachsenhausen die SS-Scharführer, die jüdische Insassen nach der Filmvorstellung verprügelt und einen bissigen Hund auf sie gehetzt hatten. Ein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten indes konnte Harlan nie nachgewiesen werden.

Das deutsche Kino wagt sich also mit dem Film Jud Süß - Film ohne Gewissen an die Aufarbeitung des dunkelsten Kapitels seiner Vergangenheit. Es ist ein Film, keine Dokumentation. Oskar Roehler schafft eine komplexe Mischung aus Fiktion und vermeintlichen Originalaufnahmen. Denn die Schwarzweißaufzeichnungen, die Roehler aus Jud Süß zeigt, sind nachgedreht, wobei sich der Regisseur hier strikt an das historische Vorbild gehalten hat. Kostüme, Gestik und Mimik der Schauspieler - alles passt. Vermutlich wären etwaige Abweichungen dem Publikum gar nicht aufgefallen. Die wenigsten hier im Saal dürften das Original kennen.

Umso mehr Freiheiten nimmt sich Roehler aber beim Porträt der Person Marians. Eine Fiktion ist geradezu essentiell für das Drehbuch: Marians Frau Anna, mit großer Tiefe gespielt von Martina Gedeck, ist im Film eine Vierteljüdin, in Wirklichkeit war sie Katholikin. "Es war evident nötig, die Figur in dem Drehbuch zu verändern, um das Verhalten der Frau dem Zuschauer zu erklären", sagt Roehler und presst die Lippen aufeinander. Den Vorwurf der Geschichtsfälschung lässt er sich nicht gefallen. Er habe keine Fakten manipuliert. Was er gemacht habe, verstehe er unter "künstlerische Freiheit".

Eine Szene hat dem Regisseur besonders heftige Kritik eingebracht: Gudrun Landgrebe taucht als Gattin eines KZ-Aufsehers auf. Während eines Bombenangriffs auf Berlin zwingt sie Marian, den Text der Vergewaltigungsszene aus Jud Süß zu rezitieren, findet dies und das Knallen der Bomben im Hintergrund furchtbar erregend und lässt sich anschließend von Marian von hinten am offenen Fenster nehmen.

"Der Jude als Projektionsfläche für sexuelle Obsession" - so beschreibt Regisseur Oskar Roehler die Szene und verrät auch, dass sie gar nicht von ihm stammt. Sondern von Drehbuchautor Klaus Richter, der wiederum sagt, die Szene hätte er von Anfang an eingeplant gehabt, "um die Sexualpathologie des Nationalsozialismus auf den Punkt zu bringen".

In München reagiert das Publikum gelassen: Die Szene hätte vielmehr etwas von einem "Budenzauber" gehabt, sagt eine ältere Dame, derart surreal und überzeichnet habe das Geschehen gewirkt. Den Saal verlässt hier keiner.

Für das Filmteam gibt es Applaus. Zweimal sogar.

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