Jubiläum:Modernismus und Melancholie

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Mit einem Kirchweihfest feiert die Gemeinde von St. Johannes Evangelist am Sonntag ihr 50-jähriges Bestehen. Die katholische Pfarrei zählt zu den jüngeren in München, hat aber mit der Überalterung ihrer Mitglieder zu kämpfen

Von Jerzy Sobotta, Lerchenau

Schlicht, modern und der Zukunft zugewandt - so sehen die Wohnblocks der frisch errichteten Siedlung am Lerchenauer See auf einem Luftbild aus den Sechzigerjahren aus. Und ebenso schlicht und modern ragt seit 50 Jahren der Kirchturm von St. Johannes Evangelist an der Gustav-Schiefer-Straße in die Höhe. Auf jeder Seite sechs Betonplatten, eine Reihe langer Fenster, die sich wie Schießscharten zum Viertel hin öffnen.

Die Fassade, die das Architektenpaar Helga und Adolf Schnierle damals entworfen hatte, ist aus rohem Beton und roten Ziegeln, kaum Glas ist zu sehen. Und doch wirkt es so, als spiegele sich das umliegende Viertel in der Kirche. Funktional und pragmatisch ist es. Hier vier, dort fünf Stockwerke, dahinter sind auch 15-stöckige Plattenbauten zu sehen. Ob an der Kirche, den Häusern oder der Straße - die alles beherrschende geometrische Form ist das Rechteck. Gehalten ist es in monotonem Grau-Braun. Ein gealterter Modernismus, aus dem ein Stück weit die Hoffnung, nicht aber der Ernst gewichen ist.

Frank Kreysing, der örtliche Diakon, öffnet das schwere Portal der katholischen Kirche und blickt zum Altar. Auch der ist aus Beton. Anfang November erinnerte dort Erzbischof Reinhard Marx an die Einweihung der Kirche und an das bevorstehende Kirchweihfest am Sonntag, 25. November, bei dem das 50-Jährige gefeiert wird. In etwa so alt ist auch Diakon Kreysing. Doch während er noch sehr viel Jugendlichkeit ausstrahlt, ist seine Gemeinde spürbar älter geworden. "Viele unserer Mitglieder sind damals ins Viertel gezogen, als es erbaut wurde", erzählt er. Das war zwischen 1963 und 1966, als die rechteckigen Quader aus dem Boden gestampft worden waren und Platz für etwa 10 000 Menschen machten. Nur wenig gab es damals am Ort. "Die Menschen wohnten nebeneinander, aber sie lebten nicht gemeinsam", sagt Kreysing. Erst die katholische und die benachbarte lutherische Kapernaumkirche, die beide 1968 eingeweiht wurden, hätten den Menschen einen Mittelpunkt und eine Heimat gegeben.

Viele Wohnblocks entstanden in den Sechzigerjahren. Ein Miteinander entstand erst mit Gemeinden wie St. Johannes Evangelist. (Foto: Pfarrverband Pacem)

Die Vorgeschichte der Siedlung erinnert an diverse Auseinandersetzungen von heute: eine große freie Fläche, die von der ewig bauhungrigen Großstadt zum Neubaugebiet erklärt wurde. Jahrelange Verhandlungen mit den Landeigentümern, Ängste und Sorgen folgten. Als die Stadt dann schließlich den Weg für den Neubau freimachte, zog es größtenteils junge Familien mit ihren Kindern an den Lerchenauer See. "Geblieben sind viele von ihnen bis heute. Aber ihre Kinder sind weggezogen", erzählt Kreysing. Von den ehemals 7500 Mitgliedern zählt die Gemeinde heute nur noch rund 2000. "Fast alle sind über sechzig", sagt der Diakon. Die aktivste Gruppe sei der Seniorenclub, der sich wöchentlich bei Kaffee und Kuchen trifft. Nur noch zehn katholische Ministranten gibt es heute in St. Johannes Evangelist, in den Achtzigerjahren waren es mehr als 70.

Nicht nur am Lerchenauer See gehen die Menschen seltener in die Kirche. Statistisch hat die Zahl der Menschen, die wöchentlich einen Gottesdienst besuchen, in den vergangenen dreißig Jahren von bundesweit 16 Prozent auf unter fünf Prozent abgenommen. Das merkt man auch hier: St. Johannes Evangelist wurde mit vier weiteren Kirchen zu einem Pfarrverband zusammengelegt.

Auf der Straße vor der Kirche ist es leer. Kaum ein Auto fährt vorbei. In einem Fenster sieht man die Silhouette eines Kopfes, der reglos auf die Straße blickt. Ein ergrauter Mann in Jogginghose bringt den Müll herunter. Dahinter schiebt eine junge Frau einen Kinderwagen über den Bordstein. Sie spricht Türkisch mit ihren Kindern. Während die ansässige Bevölkerung alterte, sind Jüngere, oft aus dem Ausland, hergezogen. Im Hort der katholischen Kirche hätten gut 70 Prozent der Kinder einen Migrationshintergrund, darunter auch viele Muslime, erklärt Kreysing. Zwar sind in den vergangenen Jahrzehnten auch katholische Einwanderer hinzugekommen, wie Polen oder Kroaten, die einen intensiven, oft volkstümlichen Glauben praktizierten. "Doch sie kommen fast nie in unsere Kirche", sagt Kreysing. Stattdessen besuchen sie die Missionen aus ihren Herkunftsländern in anderen Stadtteilen.

Bei der Einweihung der Gemeind St. Johannes Evangelist: der Pfarrer Josef Hamberger (links) mit dem damaligen OB Hans-Jochen Vogel (SPD). (Foto: Pfarrverband Pacem)

Doch für den Diakon ist das nicht der einzige Grund, warum der Kirche die Jugend wegbleibt. "Wenn ich mit jungen Menschen rede, dann habe ich oft den Eindruck, dass die Kirche keine Antworten auf ihre Lebenswirklichkeit findet", sagt er mit einem melancholischen Blick. Frank Kreysing bedauert, dass die Menschen im Viertel heute wieder nur nebeneinander wohnten und nicht gemeinsam lebten. Wie vor 50 Jahren, bevor der Kirchturm aus Beton errichtet wurde

© SZ vom 24.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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