Jubiläum:Lehren und lieben

Max Weber

Zwischen Arbeit und Eros: Max Weber.

(Foto: Bayerische Akademie der Wissenschaften)

Zum 100. Todestag Max Webers zeichnet eine Ausstellung in der Seidlvilla die Münchner Zeit des Soziologen nach

Von Antje Weber

Woran starb er denn nun? In der Ausstellung "Bürgerwelt und Sinnenwelt" über Max Weber ist von Fieber zu lesen, auch von einer Bronchitis, die den 56-Jährigen vor seinem überraschenden Tod im Juni 1920 in der Schwabinger Seestraße gequält habe. Die Spanische Grippe sei es aber nicht gewesen, da ist sich Friedrich Wilhelm Graf sicher. Das betonte der Kurator und Vorsitzende der Kommission für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften nicht nur bei der Eröffnung, sondern auch in einem SZ-Beitrag (18. Juni).

Wie auch immer, für den Nachruhm zählen andere Kriterien. Der Nationalökonom und Soziologe Max Weber hat ihn sich durch ein gewichtiges Werk erarbeitet; die zum 100. Todestag endlich vollendete historisch-kritische Gesamtausgabe füllt mit ihren 47 Bänden fast einen ganzen Schrank. Nicht nur um den als Krönung einer editorischen Großleistung zu bewundern, lohnt der Besuch in der Seidlvilla. Über fast das ganze Haus erstreckt sich die Ausstellung, mit facettenreichen Texten, Audio- und Video-Ergänzungen und anschaulichen Exponaten: vom krakeligen Originalmanuskript bis zum ledernen Arbeitssessel, vom Ölbild des ernsten Mannes mit Vollbart und steilen Stirnfalten bis hin zu seiner Totenmaske, die ihn vergleichsweise gelöst, erlöst wirken lässt.

Anspannung hatte es in Max Webers letzten Lebensjahren tatsächlich mehr als genug gegeben. Das wird überdeutlich in dieser Ausstellung, die sich vor allem auf Webers kurze Münchner Zeit konzentriert. Der Gelehrte besuchte die "schönste Stadt deutscher Zunge" trotz ihrem "scheußlichen Klima" zwar immer wieder, lebte hier jedoch nur für die zwölf Monate, die er 1919/20 als Professor für das neue Fach Gesellschaftswissenschaft an der LMU lehrte - in politisch höchst aufgewühlten Zeiten. Der Erste Weltkrieg war kaum beendet, in München die Räterepublik gerade erst blutig niedergeschlagen. Und Max Weber als "klassenbewußter Bourgeois", der sich als Repräsentant eines liberalen Bürgertums politisch als "Mitglied einer res publica, eines Gemeinwesens" fühlte, wurde von allen Seiten angegriffen.

Er selbst hatte noch im November 1918 in einer seiner temperamentvollen Reden im Hotel Wagner auf eine parlamentarische Monarchie gesetzt. "Groß, ruppig, mit einem Bratenrock, solid und badisch-demokratisch stand der hochgewachsene Mann da. Gewandt und männlich parierte er die Zwischenrufe", erinnerte sich Oskar Maria Graf. Dem bald ersten Ministerpräsidenten Kurt Eisner wie überhaupt dem ganzen "Karneval" der Revolution stand Weber kritisch gegenüber. Andererseits positionierte er sich später gegen eine Begnadigung des Eisner-Mörders Anton Graf Arco-Valley, wehrte sich gegen Antisemitismus, hielt diesbezüglich auch einige Turbulenzen in seinen Vorlesungen aus. Und er setzte sich persönlich für gescheiterte Revolutionäre wie Ernst Toller ein.

Das alles musste den oft kränkelnden, dabei unermüdlich arbeitenden Wissenschaftler anstrengen. Weber wich jedoch offensichtlich keiner Diskussion aus. In berühmten Reden wie "Wissenschaft als Beruf" und "Politik als Beruf" stellte er in München sein Gedankengebäude vor, unterschied zum Beispiel erstmals zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik und hinterließ seinen wohl bekanntesten Satz: "Die Politik bedeutet ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich." Wie gut, dass ihm der offensichtlich noch langsamer bohrende Wissenschaftsbetrieb da Erholung bot: "Daß es so etwas noch giebt, ist einfach fabelhaft", schrieb er über die Bayerische Akademie der Wissenschaft: "Eine zu 50 % veritabel schlafende Gesellschaft von 40 - 50 Leuten um einen Tisch, während Einer eine Sache von 1 - 2 Stunden vorliest. Nein! es ist zu toll."

Die Akademie-Vorträge gehörten für Max Weber wohl zu den seltenen Gelegenheiten, etwas Schlaf zu finden. Denn neben den beruflichen Herausforderungen und mancher Salon-Geselligkeit hielt ihn auch noch der Eros in stetem Bann, wie die Ausstellung sowie ein umfangreiches Begleitbuch nachzeichnen. Ebenso wie seine Ehefrau Marianne, eine bedeutende Frauenrechtlerin, beschäftigte sich Max Weber intellektuell mit dem Thema Erotik, in Lektüren, Gesprächen. Praktisch betrieb er sie auch gerne mit anderen Frauen. Mit der Geliebten Mina Tobler trank er samstags Kaffee und gab sich der Musik hin. Die Geliebte Else Jaffé-von Richthofen wiederum war es, die ihn mehr noch als die Uni-Stelle nach München zog: "denn im Münchener Wind spüre ich immer, selbst wenn es kalt ist, irgendwie Deinen warmen Atem mit".

Die Ehefrau schien ihm die warmen Wonnen, die mit bürgerlicher Moral nicht ganz glatt in Einklang zu bringen sind, zu verzeihen. Ja, sie war es, die großen Anteil an seinem Nachruhm hatte: "Max Webers Schreibtisch ist nun mein Altar", erklärte sie nach seinem Tod und stellte als "Dienerin" seine Schriften zusammen. So nah man Max Weber und seiner Welt in der Ausstellung auch kommen mag - manches bleibt doch etwas fremd.

Bürgerwelt und Sinnenwelt. Max Webers München, Seidlvilla, Nikolaiplatz 1b, bis 25. September, täglich 10 bis 19 Uhr (Ausnahmen unter www.seidlvilla.de; außerdem digitaler Rundgang)

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