25. Jubiläum:Laut, lauter, Backstage

Als die Münchner Subkultur am Tiefpunkt war, zog Hans-Georg Stocker das Backstage auf. Jetzt feiert die Location 25-Jähriges - obwohl es immer wieder Stress gab.

Von Michael Zirnstein

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(Foto: Robert Haas)

"Eigentlich", fällt Hans-Georg Stocker auf, "hätten wir den Geburtstag größer feiern müssen." Es ist schließlich ein Jubiläum: 25 Jahre Backstage. Man hätte alle Großen einladen können, die hier als Kleine schon spielten: Emil Bulls, Fanta 4,Sportfreunde Stiller... "Aber mit so einem Fest müsste man zwei Jahre vorher anfangen." Die war Stocker damit beschäftigt, die Zukunft seines Lebenswerkes zu sichern. Wie immer. Ende 2016 muss er einen Großteil des aktuellen Standortes räumen und umziehen - zum vierten Mal. Erstmals hat der Nomade unter Münchens Hallenbetreibern zwar ein Grundstück gekauft und es könnte der lang ersehnte Alterssitz werden, aber es gibt schon wieder Ärger, etwa mit den Nachbarn, die noch gar nicht da sind.

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(Foto: Catherina Hess)

Es ist das alte Lied dieses Privatprojekts, das begann, "als Anfang der Neunziger Münchens Kultur auf dem absoluten Tiefstand angelangt war" - Stocker meint damit die Subkultur. Jedenfalls wollte der Oberschüler damals Kulturinteressierte vernetzen und das Stadtmagazin X-Ray herausgeben. Um das zu finanzieren, veranstaltete man Partys und Konzerte. Platz dafür gab es nur im städtebaulichen Niemandsland. Kaum hatten sich die Kulturpioniere eingenistet, wurde die Gegend schick und sie wurden verscheucht. Zehn Jahre immerhin hatte Stockers Team Zeit, den jetzigen Standort in Neuhausen einzurichten. Konzerte, Sport, Kabarett, das Festival "Free & Easy", die Indieparty "Freak Out!" und vieles mehr gibt es in acht Räumen und acht Outdoor-Locations. Im vergangenen Jahr kamen 300 000 Besucher zu 1000 Veranstaltungen, davon 500 Konzerte. Meistens steigt vieles gleichzeitig. "Es soll verwurstelt sein", sagt Stocker. Er steht hinter den Szenen, auch wenn er nicht alles gut findet, was da gesagt und gesungen wird. "Jugendkultur soll provozieren", und das gelinge Nymphenburger Gymnasiastinnen vielleicht nur, wenn sie ihre Mütter (links-alternativ wie er) mit schwulen- oder frauenfeindlichem Gangster-Rap schockten und dabei auf Problem-Kids aus dem Hasenbergl träfen. Hitzige Debatten über "Hassmusiker im Backstage" hat er durchgestanden, schon weil es ihn freute, wie Fans der rechtslastigen Rocker Frei.Wild jubelnd unter dem von ihm aufgehängten Banner hindurchzogen, auf dem "Nazis, Fuck Off!" stand. Und als Stadträte forderten, dem Backstage die Zuschüsse zu streichen, freute er sich über seine Freiheit: "Wir bekommen keine Zuschüsse!" Freilich will er es sich mit der Politik nicht verscherzen, gerade nicht jetzt, da er eh mehr Zeit mit Anwälten verbringt als bei Konzerten. Drei Tage will er in Ruhe feiern, dann geht es wieder um die Zukunft. Und so fing alles an...

1991 bis 1993: Fürstenried

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(Foto: Backstage)

Das erste Konzert war ein Flop, als am 11. Januar 1991 über dem Freizeittreff Fürstenried an der Graubündener Straße erstmals das Schild "Backstage" hing. Es spielten Love Grave aus Wien und die Münchner Fun-Punks Marionetz. Zu unbekannt? Zu abgelegen? Jedenfalls kamen nur 17 Besucher. Doch die Betreiber des Freizeitheims beknieten die Konzertveranstalter Hans Georg-Stocker und Brigitta Erdödy und ihren Verein, weiterzumachen. So wurde der Mehrzwecksaal mit Guckkastenbühne zwei Jahre lang an den Wochenenden zum Backstage. Die Hobby-Clubbetreiber fuhren Wurst aus, um an einen Lieferwagen zu kommen, hängten alles mit schwarzem Molton ab, plakatierten wild, zogen die Konzerte durch, machten den Bands Frühstück und wischten Schweiß und Kippen weg, ehe montags wieder Damen mit Dauerwelle zur Gymnastik kamen. Es zahlte sich aus: Einmal sah Stocker im ORF ein paar unbekannte Rapper aus Stuttgart, machte sie ausfindig und engagierte sie. Die brachten eine ganze Szene mit, der Laden war voll, sie spielten zweieinhalb Stunden aus ihrer ersten Platte "Jetzt geht's ab" und rappten am Ende mit Münchner Freestylern - unvergesslich, auch für Die Fantastischen Vier.

1994 bis 2002: Helmholtzstraße

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(Foto: N/A)

Ein Konzertort wäre nichts ohne seine Bands. Und umgekehrt. In dem flugzeughangarartigen Provisorium am Ende der Helmholtzstraße, das man nun die ganze Woche über bespielen konnte, wuchsen Backstage und Künstler zusammen. Beim Fest zum siebten Geburtstag fiel die Hauptband aus. Marc Liebscher, ein Bekannter aus der Musikbranche, sagte, er kenne da eine Vorstadtgruppe aus Germering. Beim Backstage meinte man: "Na gut, bevor gar keiner spielt . . ." Es wurde ein großartiges Konzert für Backstage, Band und die schon überraschend zahlreichen Fans der Gruppe Stiller, aus der später die Sportfreunde Stiller wurden. Auch die Emil Bulls aus Schäftlarn wuchsen hier zu Deutschlands wichtigster Alternative-Metal-Band - und tranken auch als Gäste regelmäßig ihr Feierabendbier. "Backstage" ist hier eben auch vor der Bühne. Wo Musiker sich wohlfühlen, kommen auch die Großen gern: Die Toten Hosen spielten 2000 als Essen auf Rädern, auch Bad Religion oder Die Ärzte gaben Geheimkonzerte im Schatten der Donnersberger Bücke. Ein seltener aber wichtiger Gast war Christian Ude. Als der Oberbürgermeister auf Wahlkampftour vorbeischaute, überzeugte ihn Hans-Georg Stocker "bei einem Augustiner", dass es trotz Räumungsbefehl weitergehen muss. Ude war beeindruckt und verschaffte dem Backstage das Notquartier an der Friedenheimer Brücke.

2002 bis 2006: Friedenheimer Brücke

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(Foto: N/A)

Wo heute ein Hochhaus mit Luxusapartments steht, war Anfang des Jahrtausends noch Brachland. Hier stellte 2002 das Backstage seine Büro- und Mehrzweck-Container ab. Schwer zu erreichen (bis später die S-Bahn Station Hirschgarten kam), aber ein geeigneter Ort. Zum Beispiel, wie eine Autorin des SZ-Jugendmagazins Jetzt schrieb, "wenn man sich im Backstage am Tresen einen Fingernagel eingerissen hat, dann kann man später, beim Gang über die Friedenheimer Brücke, diesen Nagel am Brückengeländer perfekt zurecht feilen - das Geländer mit der besten Körnung der Stadt". Auch machten keine lärmempfindlichen Nachbarn Probleme. Als die Stadt nach einem Baustopp, dem ein "Stoppt Stoiber!"-Festival der Jusos zum Opfer fiel, das "New Backstage" endlich freigab, konnten sich die Musiker ungestört austoben: Die Indiepop-Helden Wilco spielten hier, die Roots-Reggae-Stars Black Uhuru, die Mittelalterrocker Faun, die Countryrocker Boss Hoss. Mit Tausenden Topfpflanzen sah alles auch hübsch nach Dschungel aus. "Eine Oase in einer hässlichen Gegend", schwärmte Christ von Freydorf von den Emil Bulls.

2006 bis 2016: Reitknechtstraße

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(Foto: Robert Haas)

Warum spielte Pete Doherty nicht im Backstage? Jedenfalls hing 2011 nur ein Zettel an der Tür des kleinen Clubs, auf dem der Veranstalter mitteilte: Das halb geheime Konzert falle aus. Enttäuschte Fans und Presse mutmaßten, der britische Skandalrockstar sei geflohen, weil er zuvor Polizei auf dem Gelände gesichtet hatte. Er war kurz zuvor in den Einbruch in ein Regensburger Gitarrengeschäft verwickelt gewesen. Was kaum einer mitbekommen hatte: Doherty hatte im Backstage gespielt. Am Tag zuvor hatte er sich auf die Bühne in den Biergarten gesetzt und ganz entspannt privat ein paar Lieder zur Gitarre gesungen. Nur hatten ihn die meisten nicht erkannt. Er ist wohl einer der wenigen Künstler, denen das lieber ist. Doch es gab natürlich unzählige gefeierte Konzerte im Backstage an der Reitknechtstraße, gerade im großen Werk: Die ehemalige Kohlensäureabfüllanlage mit tiefergelegtem Boden bot die ideale Arena für die "New York unplugged"-Tour der Sportfreunde Stiller, ein rührendes Abschiedskonzert von Blumfeld und sogar für den Rockausflug von Heino (der nicht zu verhindern war).

Von 2017 an: Die Zukunft

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(Foto: N/A)

Wenn Hans-Georg Stocker es einmal schafft, alles drohende Unheil auszublenden - wie die Lärmschutzauflagen und die horrenden Kosten für Schallschutz und Anwaltsgebühren, oder die Baustellenstraße für die zweite S-Bahn-Stammstrecke -, dann sieht er ein Backstage, schöner als alle anderen zuvor: Mit einer Halle für bis zu 3000 Besucher, eine Größe, die Münchens Pop-Welt dringend benötigt. Er sieht mindestens drei weitere Säle für experimentelle Konzerte, eine Freifläche mit bespielbarem Biergarten. Er sieht 60 Ateliers und Band-Räume mit Fenstern zu gemeinsamen Fluren, auf denen die Künstler sich verbinden sollen. Wohnungen für Flüchtlinge und Mitarbeiter sollen entstehen mit Beeten für Urban Gardening auf dem Dach. Die 10 000 Quadratmeter dafür auf dem hinteren Drittel des jetzigen Areals und dem Nachbargrundstück hat er bereits gekauft, jetzt hofft er, dass die Stadt ihm keine Steine in den Weg legt, sondern vielmehr zur Seite räumt.

Der Macher

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(Foto: Lukas Barth)

Hans-Georg Stocker lebt die Extreme. Der Herr über das Backstage schiebt die Wollmütze auf dem Kopf hin und her und dampft förmlich, wenn er sein Lebenswerk in Gefahr sieht. Für manchen ist er eine Nervensäge, für den Backstage-Bierlieferanten Prinz Luitpold von Bayern "ein Mann mit Mut und Ellenbogen". Nächtelang arbeitet der 48-Jährige oft durch, um den Standort seines Kulturzentrums zu sichern. Er liebt eben auch extrem, etwa besondere Daten wie den 11.1., den Geburtstag seines Clubs. Laut lachen muss Stocker, weil er eigentlich nicht an Schicksal glaubt. Aber damals, vor 27 Jahren, verspürte er den inneren Drang, in der FOS Pasing sitzen zu bleiben, gab Prüfungsbögen leer ab. Er wiederholte in einer Klasse, in der er niemanden kannte, und fand hier seine Mitstreiter für ein Subkulturnetz - die Basis des Backstage. 25 Jahre Backstage, 14.-17. Januar 2016: Donnerstag mit Benuts, Finn Nelè, u.a. Freitag mit Danko Jones,Mustasch, u.a. Samstag mit ZSK, Schmutzki, u.a.

© SZ vom 14.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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