Ausstellung im Buchheim Museum Bernried:Die Leidenschaft des Augenmenschen

Ausstellung im Buchheim Museum Bernried: Joseph Hierling erinnert sich nicht mehr, was seine Sammelleidenschaft ausgelöst hat. Aber sie dauerte über viele Jahrzehnte an. Heute ist er 80 Jahre alt.

Joseph Hierling erinnert sich nicht mehr, was seine Sammelleidenschaft ausgelöst hat. Aber sie dauerte über viele Jahrzehnte an. Heute ist er 80 Jahre alt.

(Foto: Arlet Ulfers)

Seit mehr als 50 Jahren sammelt Joseph Hierling Künstler des Expressiven Realismus. Nach vielen Stationen haben seine Bilder jetzt im Buchheim Museum eine Heimstatt gefunden.

Von Sabine Reithmaier, Bernried

Joseph Hierling kann stundenlang über seine Künstler reden. Über Paul Kleinschmidt (1883 - 1949), der vorzugsweise üppige, halbnackte Frauen malte, gern auch seine opulente Gattin. Oder über Emil Scheibe (1914 - 2008), in dessen Gemälde "Europa und ihr Stier" die Entführung der phönizischen Prinzessin für Götterkönig Zeus nicht gut ausgeht. Ein Fenster gewährt einen Blick auf einen Metzger, der gerade einen geschlachteten Stier ausweidet, während Europa in Straps und schwarzen Strümpfen gelassen auf den nächsten Freier wartet. Als souveräne Frau malt sich auch Karoline Wittmann (1913 - 1978) in ihrem "Selbstbildnis im Halbakt mit Gladiolen". "Was die alles mitgemacht hat", sagt Hierling, erzählt von der Bombennacht 1944, die das gesamte Frühwerk der Malerin zerstörte, und ihren schweren Erkrankungen. Gerade mal drei ihrer Bilder hat Wittmann zu Lebzeiten verkauft.

Alle Gemälde, die das Buchheim-Museum gerade in der Ausstellung "flores y mujeres" zeigt, stammen aus der Kollektion "Expressiver Realismus", die Hierling, langjähriger Leiter der BR-Fernseh- und Filmproduktion, vor gut einem Jahr dem Haus am Starnberger See übereignet hat. 1280 Bilder und einige Skulpturen hat Hierling gestiftet - und damit den Bestand des Museums erheblich erweitert. Daniel J. Schreiber, der Direktor des Hauses, nutzt die aktuelle Ausstellung aber nicht nur, um einen Teil der Neuzugänge vorzustellen, sondern geht der Frage nach, welche Frauenbilder die Kunst konstruiert. Inspiriert dazu hat ihn - das signalisiert schon der Titel - die Auseinandersetzung um Eugen Gomringers Gedicht "Avenidas y flores y mujeres". 2018 musste es nach einer heftigen Kontroverse von der Fassade einer Berliner Hochschule entfernt werden - die Debatte darüber lässt sich im ausgezeichneten Ausstellungskatalog noch einmal nacherleben.

Hierling sammelt seit mehr als 50 Jahren

Die Schau mit den Frauen- und Blumenbildern habe Schreiber flott inszeniert, findet der Kunstsammler. Seit mehr als 50 Jahren sammelt er figurativ arbeitende "Randkünstler" (Hierling), die durch das Raster der Kunstgeschichte fielen. Meist zwischen 1890 und 1910 geboren, feierten viele von ihnen in der Weimarer Republik erste Erfolge. Doch unter den Nationalsozialisten hagelte es Ausstellungs- und Malverbote. Und auch nach 1945 war ihnen kein Glück beschieden: Figurative Malerei galt als antiquiert, Abstraktion war angesagt. Sehr zum Unverständnis von Hierling, der abstrakter Malerei nichts abgewinnen kann."Das ist mir zu dekorativ, zu blutleer. Für mich muss inhaltlich was rüberkommen."

Was seine Sammelleidenschaft ausgelöst hat, vermag er nicht so recht zu sagen. In seinem familiären Umfeld habe sich niemand für Kunst interessiert, sagt der 80-Jährige. Ein Augenmensch freilich sei er immer gewesen, wollte schon als Kind Kameramann werden. Nach der Schule war er mit 14 zu jung für diese Ausbildung, also machte er erst eine kaufmännische Lehre in einem Fotogeschäft am Stachus. Und traf dort den ersten Maler, dessen Schaffen er 40 Jahre als Sammler begleiten sollte: Rudolf Büder (1920 - 2002), der den Lehrling bat, seine Gemälde zu fotografieren.

Ausstellung im Buchheim Museum Bernried: Karoline Wittmann malte sich als souveräne Frau auf dem "Selbstbildnis im Halbakt mit Gladiolen" von 1949.

Karoline Wittmann malte sich als souveräne Frau auf dem "Selbstbildnis im Halbakt mit Gladiolen" von 1949.

(Foto: VG Bild-Kunst 2022)

Entscheidender für sein Sammlerleben war die Begegnung mit dem Kunsthistoriker Richard Hiepe, dem Leiter der "Neuen Münchener Galerie" in der Kaulbachstraße, Herausgeber der marxistischen Kunstzeitschrift "Tendenzen" und neben Abercron der einzige Galerist, der die expressiven Realisten ausstellte. Hiepe hatte 1966 einen Grafikkreis gegründet, in dem Mitglieder handsignierte Originalgrafiken für wenige Mark kaufen konnten, eine Gelegenheit, die Hierling ausgiebig nutzte.

Auch sein erstes Gemälde, Albert Birkles "Leipziger Straße", kaufte er in der Galerie. Damals verdiente er gerade 400 Mark brutto im Monat, das Pastell kostete 4000 Mark. "Hiepe ließ es mich abstottern", erinnert sich Hierling. Birkle (1900 - 1986) selbst konnte es gar nicht fassen, dass der junge Mann so begeistert von seinem Frühwerk war. Ihm war sein malerischer Blick auf die Welt der Zwanzigerjahre fremd geworden. In der Buchheim-Ausstellung vertreten ist er mit der "Frau des Architekten", einem Gemälde aus den Dreißigerjahren. Eine schöne, elegante Frau, für die Gleichberechtigung eine Selbstverständlichkeit zu sein scheint.

Nur am Anfang sammelte er bekannte Namen

Anfangs sammelte Hierling bekannte Namen, Karl Schmidt-Rottluff oder Conrad Felixmüller. "Aber das habe ich alles wieder verkauft und mich auf die Maler und Bildhauer konzentriert, die keiner kennt." Über deren Facettenreichtum und die hohe Qualität des Werks war er sich mit Rainer Zimmermann einig, jenem Kunsthistoriker, der den Begriff "Expressiver Realismus" prägte, als er 1980 sein Buch "Die Kunst der verschollenen Generation" veröffentlichte und darin knapp 200 Maler vorstellte. Der Fachmann und der "blutige Laie" (Hierling) gründeten erst einen Förderkreis und 1993 ein Museum des Expressiven Realismus im Neuen Schloss Kißlegg im Allgäu. 23 Einzelausstellungen bestritten die beiden dort bis 2004. Dann war Schluss, die Gemeinde nutzte die Räume für ein Rudolf-Wachter-Museum, das nach drei Jahren seine Pforten wieder schloss.

Zimmermann war ein gefragter Experte, nahm Hierling oft zur Begutachtung von Nachlässen mit. "Manchmal war es nur Müll, manchmal fehlten schon die wichtigen Werke. Aber letztlich habe ich dadurch viele wichtige Werke erworben." In den Siebzigerjahren sei das noch möglich gewesen, heute könnte er sich die meisten der Arbeiten nicht mehr leisten, sagt der Tutzinger. In den späten Achtzigerjahren setzte nämlich eine langsame Wiederentdeckung "seiner" Künstler ein, viele seien "hochpreisig" geworden.

Ausstellung im Buchheim Museum Bernried: Walter Becker malte "Trio 3 oder Im Bad" im Jahr 1968. Es gehört auch zur Sammlung Hierling.

Walter Becker malte "Trio 3 oder Im Bad" im Jahr 1968. Es gehört auch zur Sammlung Hierling.

(Foto: Rechtenachfolge Walter Becker)

Dazu hat sicher auch die Galerie beigetragen, die Hierling 1981 in der Münchner Georgenstraße eröffnet. Kommerziell sei sie ein Flop gewesen, sagt er. "Ich war mein bester Kunde." Als Zukunftslösung für seine Sammlung eignete sich die Galerie aber nicht, daher begann er, nach anderen Möglichkeiten für eine dauerhafte Unterbringung zu suchen. Gut gefielen ihm Räume im Gautinger Schloss Fußberg. Erst sah es auch so aus, als würde der Gemeinde der Gedanke gefallen, jedenfalls stimmten die Räte für ein Museum. Hierling durfte 1998 schon mal probeweise Bilder im Schloss aufhängen. Doch dann sorgte sich die Kommune wegen der Unterhaltskosten und zog eine Unternehmensberatung als Mieterin vor.

Anders, aber ebenfalls erfolglos lief es in Feldafing. Dort verfolgte Hierling jahrelang den Gedanken, auf dem Gelände der Führungsunterstützungsschule der Bundeswehr, kurz Fernmeldeschule genannt, ein Museum einzurichten. Auch hier billigte der Gemeinderat die Idee. Doch die Bundeswehr ist noch immer nicht ausgezogen. "Angeblich soll es 2025 so weit sein", sagt der Kunstsammler, wirkt aber so, als würde er das nicht mehr so recht glauben.

Auch die Zusammenarbeit mit der Kunsthalle Schweinfurt fand nach zehn Jahren ein zumindest für Hierling unerwartetes Ende. 2009 hatte er mehr als die Hälfte seiner Sammlung in das damals noch ganz junge Museum gegeben. Das funktionierte eine Weile gut, doch als der Vertrag endete, klafften die Vorstellungen des Sammlers und der Museumsleitung über Präsentation und Bearbeitung der Werke weit auseinander. Schweinfurt entschied sich, auf Hierlings Bilder zu verzichten.

Mit dem Leiter der Buchheim-Museums verbindet Hierling eine Freundschaft

Immerhin verdankt er Schweinfurt die Bekanntschaft mit Daniel J. Schreiber. Hierling hatte für die Kunsthalle eine Ausstellung mit Werken des amerikanisch-europäischen Künstlers Holmead organisiert und suchte nach einem Kunsthistoriker, der schon über den Maler publiziert hatte. Im Internet fand er nur einen: Daniel J. Schreiber. "So haben wir uns beschnuppert."

Aus dem Beschnuppern hat sich inzwischen eine Freundschaft entwickelt. Hierling ist glücklich darüber, dass seine Sammlung für das Buchheim Museum eine Zukunftsperspektive darstellt, wie Schreiber und andere Verantwortliche immer wieder versichern. "Ich kann mir keinen besseren Platz vorstellen als hier", sagt er. Schließlich knüpfe seine Sammlung kunsthistorisch an die Expressionisten an.

Hierling besitzt übrigens auch noch eine legendäre Holzschnitt-Sammlung. Und über deren Zukunft ist noch nicht entschieden.

Flores y mujeres. Aus der Sammlung Joseph Hierling. Bis 26.2., Buchheim Museum der Phantasie, Bernried. Führung mit Joseph Hierling am 15. Januar , 15 Uhr

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: