Josef Scheungraber haftunfähig:NS-Kriegsverbrecher zu krank fürs Gefängnis

Wegen eines Massakers an italienischen Zivilisten wurde er zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt: Doch der NS-Kriegsverbrecher Josef Scheungraber aus Ottobrunn muss nach Informationen der SZ wohl nicht ins Gefängnis - der 92-Jährige gilt als dement.

Christian Rost

Der wegen zehnfachen Mordes und versuchten Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilte Josef Scheungraber muss nicht ins Gefängnis. Die Staatsanwaltschaft am Landgericht München I hat über die Haftverschonung des 92-jährigen ehemaligen Kompanieführers der Gebirgsjäger zwar noch nicht formal entschieden. Nach einem medizinischen Gutachten, das die Staatsanwaltschaft in Auftrag gegeben hatte, ist Scheungraber aber mittlerweile ein schwerer Pflegefall und dement - und somit nicht mehr in der Lage, geistig den Sinn des Strafvollzugs zu erfassen. Damit muss der Verurteilte nicht in Haft.

Urteilsverkündung gegen Josef Scheungraber, 2009

Der ehemalige Wehrmachtsoffizier Josef Scheungraber hatte in Falzano di Cortona ein Massaker angeordnet. (Archivbild von der Urteilsverkündung)

(Foto: lok)

Revisionsanwalt Gunter Widmaier sagte der SZ: "Herr Scheungraber ist nicht mehr von dieser Welt."

Der ehemalige Wehrmachtsoffizier aus Ottobrunn ist am 11. August 2009 vom Münchner Schwurgericht wegen eines Massakers im Zweiten Weltkrieg an Zivilisten in einem toskanischen Dorf verurteilt worden. Er war damals, im Juni 1944, Chef der 1. Kompanie des Gebirgspionierbataillons 818. Die Soldaten setzten nahe des Weilers Falzano di Cortona eine Brücke instand.

Zwei Kompanieangehörige gerieten dabei in einen Hinterhalt von Partisanen und wurden erschossen. Scheungraber gab den Befehl zum Racheakt. Elf Italiener wurden in einem Bauernhaus zusammengetrieben. Die Soldaten sprengten das Gebäude und schossen anschließend mit Maschinengewehren in die Trümmer. Nur der damals 15-jährige Gino M. überlebte das Massaker schwer verletzt.

Die Verteidigung Scheungrabers, die die Vorwürfe bestritten hatte, legte Revision gegen das Urteil des Schwurgerichts ein. Der Antrag wurde im Oktober 2010 verworfen. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs war die Tat nicht durch das Kriegsvölkerrecht als "Kriegsrepressalie" gedeckt. Dagegen sprachen die damalige militärische Situation, das teils geringe Alter der Opfer und die Art der Tatbegehung. Scheungraber könne sich nicht auf einen Befehlsnotstand berufen, so der BGH, weil er selbst Initiator der Aktion gewesen sei. Auch ein Gericht im italienischen La Spezia hatte Scheungraber 2006 wegen des Massakers zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.

Zu krank zum Telefonieren

Das Urteil des Münchner Schwurgerichts wurde durch die BGH-Entscheidung rechtskräftig. Die Staatsanwaltschaft hätte den ehemaligen Wehrmachtsoffizier, der nach dem Richterspruch über "Saustall und Schwindel" gewettert hatte, sofort ins Gefängnis bringen lassen können. Auf Drängen von Anwalt Widmaier, der bei Scheungraber in Telefonaten eine zunehmende Verwirrung bemerkt hatte, sahen die Strafverfolger von einer Festnahme ab und beauftragten einen Landgerichtsarzt mit der Begutachtung.

Falzano

In Falzano di Cortona erinnern ein Kreuz und eine Gedenktafel mit den Namen der Opfer an das Massaker im Juni 1944.

(Foto: Julius Müller-Meiningen)

Der Gutachter kommt zum Ergebnis, dass der 92-Jährige aufgrund einer Verkalkung des Gehirns völlig desorientiert ist. "Eine Freiheitsstrafe hat aber nur Sinn, wenn der Betroffene weiß, dass er eine Strafe erleidet", so Widmaier. "Das ist bei Herrn Scheungraber nicht mehr der Fall."

Der Anwalt sieht somit die Voraussetzungen für Paragraph 455 der Strafprozessordnung gegeben, wonach die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe aufzuschieben ist, "wenn der Verurteilte in Geisteskrankheit verfällt" oder von der Haft "Lebensgefahr für den Verurteilten zu besorgen ist". Laut Gutachten könnte sich der Gesundheitszustand Scheungrabers im Gefängnis erheblich verschlechtern.

Auch in dessen Heimatgemeinde Ottobrunn, wo er bis zu seiner Verurteilung Träger der Bürgermedaille und Ehrenkommandant der Feuerwehr war, fiel nach dem Tod seiner Ehefrau eine rapide Vergreisung des 92-Jährigen auf. Zuletzt waren kaum mehr Telefonate mit Scheungraber möglich.

Die Staatsanwaltschaft wollte sich am Mittwoch nicht zum Fall Scheungraber äußern. "Es gibt noch keine endgültige Entscheidung", sagte Oberstaatsanwältin Barbara Stockinger.

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