Süddeutsche Zeitung

Josef S.:Ehrenerklärung für den Ehrenbürger

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Der mutmaßliche Kriegsverbrecher Josef S. war in Ottobrunn hoch angesehen - mit den Vorwürfen tut sich die Gemeinde schwer.

Rita Baedeker

Ein "Gegengewicht zur subtilen Vorverurteilung" wollte Ottobrunns Bürgermeister Thomas Loderer, CSU, schaffen, als er im Juni eine "Ehrenerklärung" für Josef S. abgab. "Ich bin von seiner persönlichen Integrität und von seiner Unschuld überzeugt", sagte er. Obwohl ihm bewusst sei, dass er damit ein politisches Risiko eingehe, sehe er es als seine "persönliche Fürsorgepflicht" an, dem mehr und mehr isolierten Mann zu helfen.

Der 90-Jährige, der seit Montag vor Gericht steht, lebt seit Kriegsende in Ottobrunn - als geachteter Bürger. Er gehörte 20 Jahre lang als Vertreter der heute nicht mehr existierenden "Parteifreien Wählergemeinschaft" dem Gemeinderat an und ist außerdem Ehrenkommandant der Feuerwehr. Als Ottobrunn vor drei Jahren 50-jähriges Bestehen feierte, wurde S. für seine Verdienste um den Ort knapp außerhalb Münchens sogar die Bürgermedaille verliehen.

Der Prozess wegen 14-fachen Mordes im Jahr 1944 sei eine "unangenehme Situation", aber kein Grund, dem Mann die Ehrung sofort wieder abzuerkennen, argumentiert Bürgermeister Loderer. Als Josef S. 2005 die Auszeichnung erhielt, so die Presseerklärung nach der jüngsten nichtöffentlichen Sitzung des Gemeinderats zu dem Fall, seien keinem Mitglied die Vorwürfe gegen ihn bekannt gewesen.

Der Ältestenrat, der sich mit den Beschuldigungen befasste, kam zu dem Schluss, dass für Josef S. wie für jeden anderen bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung die Unschuldsvermutung gelte. Die Räte wollen einen Schuldspruch im Münchner Verfahren abwarten, bevor sie ihrem Ehrenbürger die Ehrenmedaille aberkennen.

Dass Josef S. zu den "alten Kameraden" der Mittenwalder Gebirgsjäger, denen er seit 1937 angehört, die ganze Zeit über Kontakt hielt, war bekannt. Man traf sich in einer Gaststätte in Thalkirchen und bei der umstrittenen jährlichen Veteranenfeier am Hohen Brendten in Mittenwald.

"Die Kriegsverbrechen in Falzano sind eine schlimme Tat", sagt Sebastian Lumpe, Fraktionssprecher der Grünen in Ottobrunn. "Es ist gut, dass die Geschichte jetzt aufgearbeitet wird. Ich gehe davon aus, dass man ein Urteil fällt, das von jedem akzeptiert wird. Dann ist die Diskussion hoffentlich zu Ende." Das hoffen auch viele andere Ottobrunner, die nicht ohne weiteres glauben können, dass ihr Ehrenbürger schwere Verbrechen begangen haben soll.

Als etwa 50 Demonstranten des Arbeitskreises "Angreifbare Traditionspflege" im Mai vergangenen Jahres am S-Bahnhof Ottobrunn Transparente hochhielten, auf denen Sätze standen wie "Das Schweigen durchbrechen - Keine Ruhe für NS-Täter", fanden sie wenig Zustimmung. "Das war Krieg, junger Mann", herrschte eine ältere Frau einen Demonstranten an, die meisten interessierten sich nicht dafür.

In Italien stößt vor allem das Verhalten des Gemeinderates auf Befremden. Er würde sich zwar freuen, wenn es Kontakte zu Ottobrunn gäbe, erklärte vor einiger Zeit Andrea Vignini, Bürgermeister von Cortona, wo am 27. Juni 1944 die Verbrechen geschahen. Aber er habe Zweifel, ob es eine gemeinsame Basis gibt. "Ich verstehe nicht, was dort vorgeht", sagte Vignini. Die Ermittlungen der Münchner Staatsanwälte und der Beginn des Gerichtsprozesses sprächen jedoch "für den Anstand der Deutschen".

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SZ vom 16.09.2008/sonn
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