Wenn sich die Säulen der Bayerischen Staatsoper in Schale werfen, wissen die Münchner: Es ist Festspielzeit! Operngänger haben sie durchschritten, Liebhaber der Apollon Stufenbar dazwischen Platz genommen. Doch die Säulen draußen, die in diesem Jahr in zarten blau-rosa Pastelltönen leuchten, sind nur die Ouvertüre zu einer künstlerischen Intervention im Haus, die womöglich selbst die Opernbesucher bisher nicht wahrgenommen haben.
Denn ausgerechnet Ligetis Oper „Le Grand Macabre“, mit der die Festspiele wie mit einem Paukenschlag in Form eines teils höchst unterhaltsamen Hupkonzerts eröffnet wurden, entbehren einer Pause – und damit der Gelegenheit für Opernfreunde, gen Königssaal lustzuwandeln. Eben dort befindet sich aber das Hauptwerk des diesjährigen Festspielkünstlers, des Australiers Jonny Niesche.
Die Anfrage von den Festspielen im vergangenen Jahr habe ihn überrascht, erzählt Niesche bei einem Rundgang. Der Kommunikationschef der Staatsoper, Michael Wuerges, kannte seine Arbeiten – und über Niesches Wiener Galerie Zeller van Almsick kam die Zusammenarbeit zustande. Als er zum ersten Mal im prunkvollen Königssaal gestanden sei, habe ihn die Opulenz des Saals schwer beeindruckt. Dagegen eine Moderne zu setzen, die sich behaupten kann – keine leichte Aufgabe.
Niesche ist Jahrgang 1972 und hat bei Heimo Zobering an der Wiener Akademie studiert. Der klassizistischen Opulenz setzte er modernen Minimalismus entgegen, band wie immer das Zusammenspiel von Licht, Farbe und Architektur ein. Auch deshalb wollte er eine ortsspezifische Arbeit realisieren. Der Australier verehrt Vertreter der US-amerikanischen Minimal Art wie den Herrn der Linie Donald Judd, die Lichtkünstler Dan Flavin und James Turrell sowie den Farbfeldmaler Ellsworth Kelly. Letzterer sei einer seiner „Helden“.
Der hölzerne Kassettenfußboden des Königssaals gab die ideale Struktur ab für die streng geometrische Werkgruppe, die Niesche dann umsetzte. 18 pastellfarbene Bildelemente in Rot und Lila, über Blau, Grün bis hin zu Gelb und Orange proben gewissermaßen die Quadratur des Farbkreises. Gefasst sind die Bildflächen, deren Farbverläufe aus reinen Pigmenten zum Rand hin ausbleichen, von mehreren Zentimetern hohen silbrig verspiegelten Sockeln. Da diese den Boden widerspiegeln, scheinen die Farbflächen gleichsam zu schweben. Je nach Lichteinfall von draußen verändert sich zudem ihre Intensität.
Überhaupt das Draußen. Den Link zu den Säulen stellt Niesche schon in den Aufgängen her. Dort hat er zwei Wandarbeiten installiert. Die Farben der Flächen pulsieren einmal in Rot und einmal in Blau und korrespondieren mit den Farben der Oper. Hier sind die Randverspiegelungen golden eingefärbt, schimmern warm im Ton der Beleuchtung und nehmen die Umgebung auf, sodass der Raum Teil des Kunstwerks wird. Betrachter, die seitlich davor stehen, werden ebenfalls Teil von Niesches Kunst.
Einen weiteren Link zur Architektur sind die mit Goldfolie beklebten Fenster des Königssaals. Das nimmt nicht nur den Effekt der Bildrahmen im Aufgang auf. Bei schräg stehender Sonne verleiht es dem Opernhaus ein goldenes Leuchten, das weit über den Max-Joseph-Platz hinaus strahlt. Drinnen nimmt man es nur in ganz besonderen Momenten wahr. Jonny Niesches pastellenes Farbenspiel hingegen können die Operngänger noch bis zum Ende der Festspiele vor den Vorstellungen und während der Pausen erleben.