Johanneskirchen:Party-Veranstalter Nöth: "Jetzt greife ich wieder an"

Wolfgang Nöth, neue Theaterfabrik, Kulturhalle in Johanneskirchen, Musenberstr. 40

Aufbrausender Typ: der 74-jährige Wolfgang Nöth.

(Foto: Florian Peljak)

Wolfgang Nöth ist mit München noch nicht fertig. Aus einem ehemaligen Holzlager in Johanneskirchen hat er die Neue Theaterfabrik gemacht - am Sonntag steigt das erste Konzert.

Von Michael Zirnstein

Der Dickschädel unter der Baseballkappe leuchtet im legendären Nöth-Rot. Er wird schon wieder laut. "Scheißdreck", plärrt er ins Telefon, es fallen noch Wörter wie "Ausräumen", "die Affen" und "Grinsekatze".

Letzteres ist der Name eines Technoclubs auf dem Optimolgelände, Wolfgang Nöth regelt offenbar gerade die Abwicklung des Ausgeh-Areals am Ostbahnhof. 14 Jahre lang war die ehemalige Schmierölfabrik eine Oase - manche finden auch: ein Moloch - aus Konzertstätten und Partybuden, die jetzt Büros und Schnösel-Apartments weichen. Wolfgang Nöth als Hausherr der Club-Untermieter muss auch weichen.

Wie schon aus dem einstigen Militärdepot Alabamahalle, dem Terminal des Flughafens Riem oder den zum Kunstpark Ost umfunktionierten Kartoffellagern von Pfanni. Seine Vision von einem Kunstpark Nord bei der Fußball-Arena ist verpufft - blockiert vom Liegenschaftsamt, sagt Nöth immer noch verbittert. Auch aus der Betriebsgesellschaft des Areals um die Mehrzweck-Riesenhalle Zenith ist er raus - rausgeflogen sagen die einen, rausgegangen sagt er: "Mit solchen Leuten mag ich nicht zusammenarbeiten."

Ein Hallenkönig ohne Reich, Untertanen und Verbündete? Mitnichten. In der Küche einer ehemaligen Holzhandlung in Johanneskirchen hält Wolfgang Nöth Audienz. Schaut er aus dem Fenster, sieht er das Ortsschild von Unterföhring. Da drüben hat er 1983 - die strenge Münchner Sperrstunde austricksend - seine erste große Kulturhalle in einem Backsteinbau eröffnet: die Theaterfabrik, legendär in der Szene durch die Disco Orange der Bhagwan-Jünger und Konzerte von Blondie bis Rammstein. Das gab's damals sonst nicht.

Wie oft in den vergangenen Wochen ist der Konzertveranstalter Frank Bergmeyer, Chef von Propeller Music & Events, in das alte Holzlager an der Musenbergstraße herausgekommen. Die beiden haben bereits bei den Georg-Elser-Hallen zusammengearbeitet. "Erst haben sie uns gekündigt, dann haben sie's drei Jahre lang leer stehen lassen, eine Lumperei!" Nöth regt sich schon wieder auf, Bergmeyer besänftigt ihn: "Ruhig, Wolfgang." Gemeinsam wollen sie hier am östlichsten Rand der Stadt die Neue Theaterfabrik betreiben: Eine praktische Halle ohne Säulen mit quadratischem Grundriss für 1400 Gäste.

Daneben gibt es noch einen zweiten größeren Saal, der vorerst nur für Hochzeiten und Betriebsfeiern genutzt wird. Der Bedarf ist da, sagt Bergmeyer, Betreiber des Strom-Clubs und Veranstalter aller bisherigen Robbie-Williams-Shows in München.

Die Muffathalle sei überbucht und zu klein, die Tonhalle ein Provisorium, die Philharmonie zu teuer, der Postpalast (an dem Nöth beteiligt war) wird dichtgemacht, das Kesselhaus ist jetzt eine "Motorworld". Vom Angebot einiger Disco-Betreiber, ihre Hallen wie das Nachtwerk (früher Nöths Konzertsaal) unter der Woche für Bands zu nutzen, hält er nicht viel: "Zu abgerockt." Das genaue Gegenteil ist die Neue Theaterfabrik: ein Schmuckkasten.

Trödelkönig Nöth hat sie mit Prunkstücken aus seiner Antik-Sammlung ausstaffiert. 70 beleuchtete Plastikkinderstühle im Eck an der Bar auf der Empore - "ein Kunstwerk!" Die prächtigen, hohen Holzfensterrahmen - "aus Marseille!" Auf der Galerie hat Nöth eine nostalgische Ladenzeile arrangiert.

Unter der Neckermann-Leuchtreklame blickt er durchs Schaufenster auf ein Motorrad, einen Kühlschrank-Oldie, einen Schminktisch und in seine Jugend: Beim alten Neckermann hat er 1956 als 13-Jähriger in der damals einzigen Filiale in Würzburg eine Lehre gemacht. Überall gibt es etwas zu schauen. "Es darf nicht nur eine Halle mit Künstlern sein. Die Leute wollen ein Event, ein Erlebnis."

Nöth als "Segen und Strapaze für die Stadt"

So sehr Nöth die Stadtverwaltung auch stets nervte, er hat die Münchner Kultur abseits von Oper und den Orchestern mit seinen Ideen geprägt wie kein anderer. Die jungen Macher, die jetzt die Blicke nach München lenken, bauen auf seinen Notlösungen auf, die er zu Dauer-"Nöthlösungen" machte. Wie Daniel Hahn vom Bahnwärter Thiel und der MS Utting.

"Der Zirkusdirektor mit seinem Schiff", nennt ihn Nöth: "Er ist die jugendliche Hoffnung." Dann wird er grundsätzlich: "Münchner Freiheit, Spider Murphy Gang, Sportfreunde Stiller - drei Kapellen, das ist das ganze Produkt einer Millionenstadt über all die Jahre!" Der Zusammenhang: Große Rockkultur braucht große Hallen, aber "nur für den BR geben die eine halbe Milliarde aus um so einen Scheißdreck hinzubauen". Er meint das geplante Konzerthaus im Werksviertel, auf seinem einstigen Spielplatz.

Wolfgang Nöth, neue Theaterfabrik, Kulturhalle in Johanneskirchen, Musenberstr. 40

Nöth möchte in der Neuen Theaterfabrik im Münchner Nordosten noch einmal Gas geben.

(Foto: Florian Peljak)

Wolfgang Nöth will wieder mehr. Mehr als nur eine Theaterfabrik: "Eine Halle für 8000 Leute für uns allein. Wir wollen nicht ständig vom Wohlwollen der anderen abhängig sein." Er habe Geld, er habe den richtigen Grund in einem Gewerbegebiet in Aussicht, er werde alle Veranstalter zusammenbringen - "jetzt will ich, dass wir kaufen und Kultur machen dürfen." Und das ist das Problem: Im Rathaus sind ihm - "Segen und Strapaze für die Stadt", wie Christian Ude mal sagte - nicht alle so wohlgesonnen wie Thomas Rehn.

Der Stadtbauamts-Vizechef habe ihn in Johanneskirchen sehr unterstützt ("Der setzt sich ein, der hat ein Hirn für die Kultur.") Ansonsten fühlt sich der Hitzkopf kaltgestellt. Jetzt will er "dem Neuen" - Dieter Reiter, Oberbürgermeister seit 2014 - "zeigen, was Sache ist. Ich habe lang genug mein Maul gehalten, jetzt greife ich wieder an."

Der 74-Jährige ist voller Tatendrang. Er hat sich einen neuen Gabelstapler gekauft, keinen kleinen. "Mein Spielzeug, da hebst du 15-Tonnen-Container um." Aber wird man ihm an den Stadtrand folgen, wo die bequemen Nachtschwärmer längst in den City-Clubs feiern? "Schmarrn. Da wird es bald richtig Ärger mit den Bewohnern der teuren Innenstadt-Eigentumswohnungen geben", prophezeit Nöth. Hier draußen stört er niemanden, die S 8 fährt die ganze Nacht durch im 20-Minuten-Takt, und überhaupt: "Nicht ,wo" ist wichtig, sondern ,wer' - der Künstler zählt." Für einige müsse man nicht mal plakatieren. Die beiden Konzerte von Ed Sheeran im Olympiastadion - veranstaltet von Bergmeyer - seien in Minuten ausverkauft gewesen.

Am Sonntag, 4. März, geht es los, mit Brian Fallon, dem Frontmann der US-Rocker The Gaslight Anthem. Danach hat Propeller die Halle für Blue October, The Wombats und Kamasi Washington gebucht. Bergmeyer will die Halle aber nicht für sich, am 11. März hat er sie an die Kollegen vom Club 2 für den Auftritt der Australier King Gizzard & The Lizard Wizzard vermietet. Alle sollen etwas von der Neuen Theaterfabrik haben. "Live is life", sagt Wolfgang Nöth, lächelt, strahlt erstmals mit liebevollen Augen und diktiert der Zeitung noch etwas: "Schreibt: Wir wollen nichts Böses."

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