Johanneskirchen:"Es zerreißt mir das Herz"

Der neue Eigentümer des Freischützgartens an der Johanneskirchner Straße hat vielen langjährigen Gewerbemietern gekündigt. Praxen, Läden und Studios werden in Wohnungen umgewandelt

Von Ulrike Steinbacher, Johanneskirchen

Am Stadtrand in Johanneskirchen werden bald ein paar alteingesessene Läden verschwinden. Dafür könnten Edelgeschäfte entstehen. Grund ist wieder einmal der Münchner Bauboom. Der Druck auf den Wohnungsmarkt ist massiv, das Geschäft lukrativ. Gefragt ist aber nicht nur Platz zum Wohnen, die Leute brauchen auch Einkaufsmöglichkeiten, Ärzte, Restaurants. Wie der Zuzug eine Gegend verändert, ist an der Ecke Freischütz-/Johanneskirchner Straße gut zu sehen. Dort, im Stadtteilzentrum, hat der neue Eigentümer vielen Gewerbemietern gekündigt. Ein Teil der Praxen, Läden und Studios wird in Wohnungen umgewandelt.

Der Freischützgarten, wie die Anlage zwischen Johanneskirchner und Grimmeisenstraße heißt, entstand Anfang der Neunzigerjahre. In den Dachgeschossen der sechs Häuser liegen Wohnungen, im Erdgeschoss, dem ersten und zweiten Stock Gewerbeflächen. Heute gibt es dort Filialen von Sparkasse, Metzgerei- und Bäckereiketten, dazu Fotoladen, Optiker, Friseur und Änderungsschneiderei, ein Sonnen- und ein Kosmetikstudio, einen Tattoo-Shop, diverse Ärzte, einen Physiotherapeuten, Ballettschule und Kampfkunststudio, Modeladen und Tanzakademie, italienische und griechische Restaurants. Die Mietfläche ist etwa 7500 Quadratmeter groß, knapp 20 Prozent davon sind Wohnungen.

Als die Mieter im Mai 2016 erfuhren, dass der Freischützgarten einen neuen Eigentümer hat, waren sie wenig überrascht; bis dahin war die Anlage bereits alle paar Jahre verkauft worden. Allzu gepflegt wirkt sie nicht, Mieter berichten von Dachlawinen, fehlender Außenbeleuchtung, Stromkreisen, die mit denen im Nachbarhaus verflochten sind.

Zuletzt war die Miete an die Deutsche Wohnen AG mit Sitz in Frankfurt gegangen, nun hat die Munich Residential GmbH (MR) aus Pöcking das kleine Stadtteilzentrum gekauft. Im Internet bezeichnet sich MR als "Familienunternehmung" mit den Tätigkeitsfeldern "strategische Projektentwicklung und professionelle Realisierung von Bauträgermaßnahmen in München und Umgebung". Geschäftsführer sind laut Handelsregister Roman Krulich und Moritz Opfergeld.

Johanneskirchen: Seit den Neunzigern ist das Zentrum Freischützgarten eine beliebte Adresse im Viertel.

Seit den Neunzigern ist das Zentrum Freischützgarten eine beliebte Adresse im Viertel.

(Foto: Catherina Hess)

Die neue Hausverwaltung, die Immobilien Krulich GmbH, zu deren Geschäftsführern Roman Krulich ebenfalls gehört, teilte den Leuten im Freischützgarten mit, "dass sich für Sie als Mieter durch die neuen Eigentumsverhältnisse nichts ändern wird". Das war im Mai, Anfang August dann ließ die Verwaltung vielen Gewerbemietern per Bote die Kündigungen überbringen. Die meisten müssen zum 31. März raus, einige haben ein paar Monate länger, manche verhandeln noch.

Was die Munich Residential mit dem Freischützgarten vorhat, darüber will das Unternehmen am Donnerstag, 9. Februar, von 19 Uhr an die Kommunalpolitiker im Unterausschuss Planung informieren. Man müsse in der Anlage Mängel beseitigen, es gehe nicht nur darum, sie "aufzuhübschen", sagt Andrea Rau von der Geschäftsleitung. Für die Praxen und Studios im ersten und zweiten Stock hat das Unternehmen eine Nutzungsänderung beantragt, der die Stadt zugestimmt hat. Die Mieter dort müssen also zugunsten neuer Wohnungen raus.

Auf der MR-Homepage im Internet steht das Johanneskirchner Projekt unter dem Stichwort "Bestandsentwicklung". 28 Millionen Euro sind für den Umbau eingeplant, der bis 2018 abgeschlossen sein soll. Mit den Ladenbetreibern aus dem Erdgeschoss sei die MR im Gespräch, sagt Andrea Rau. Wie die Flächen künftig vermietet werden, stehe noch nicht fest: "Es sollte was sein, was zum Wohnen passt."

Viele Geschäftsleute plagt jetzt die Existenzangst, denn: Nach dem Umbau werde die Miete verdoppelt. Und es sei auch nicht mehr jeder willkommen, da die MR einen zeitgemäßen, hochwertigen Branchenmix anstrebe. Die Gewerbetreibenden baten den Bezirksausschuss (BA) Bogenhausen um Hilfe. Doch der hat keine Handhabe. "Leider sind wir nicht in der Position, inhaltlich sehr viel zu verändern", bedauerte die Vorsitzende Angelika Pilz-Strasser (Grüne), auch wenn es "extrem traurig" sei, dass da ein Stadtteilzentrum zerschlagen wird. Wolfgang Helbig (SPD) sprach von der Verantwortung des Eigentümers, der die Nahversorgung des Viertels nicht zerstören dürfe, Xaver Finkenzeller (CSU) kritisierte das Vorgehen als "soziale Unverschämtheit". Einstimmig stellten sich die Stadtviertelvertreter hinter einen Antrag der SPD, dass die Stadt der Kampfsportschule Ausweichräume für ihre Kinderkurse zur Verfügung stellen soll; Unterstützung gab es auch für die Forderung der CSU, die Läden im Erdgeschoss per Bebauungsplan und Veränderungssperre abzusichern.

Johanneskirchen: Zu denen, die nun aus dem Zentrum Freischützgarten ausziehen müssen, zählt auch das Kampfkunststudio Budokan, in dem vor allem viele Kinder trainieren.

Zu denen, die nun aus dem Zentrum Freischützgarten ausziehen müssen, zählt auch das Kampfkunststudio Budokan, in dem vor allem viele Kinder trainieren.

(Foto: Robert Haas)

Die Stadt aber wird sich raushalten, das signalisiert die Antwort des Planungsreferates auf eine Anfrage aus der Bürgerversammlung: Der Eigentümer habe das Recht, seinen Mietern zu kündigen, heißt es da. Und weiter: "Gewerbliche Mietverträge stehen im Gegensatz zu Wohnraumvermietungen nicht unter besonderem gesetzlichem Schutz." Auf Objekte auf dem freien Markt habe die Stadt wenig Einfluss, und außerdem sei die Nahversorgung sichergestellt. Es gebe rundherum genug Geschäfte.

Da nützen den gekündigten Ladenbetreibern auch die Solidaritätsadressen ihrer Kunden nichts. Mit Blick auf die Aufwertungspläne des Eigentümers hatte Elisabeth Scholz aus der Freischützstraße geschrieben: "Wir wollen hier kein Neu-Bogenhausen." Die Händler "haben mühevoll in den letzten 25 Jahren ihre Existenz aufgebaut". Dieses "lebenswerte, gewachsene Johanneskirchen" müsse erhalten bleiben, "in dem jeder, der bisher hier gewohnt und gearbeitet hat, weiter existieren kann".

Für einige Mieter aber wird das schwer werden, bezahlbare Räume in der Umgebung sind dünn gesät. "Ich hätte nicht gedacht, dass es so schwierig ist", sagt Physiotherapeut Harald Hering. Genau wie die Ärzte in der Anlage hat auch er Patienten, die nur eingeschränkt mobil sind. Zieht er aus dem Viertel weg, muss er seine Praxis gezwungenermaßen neu aufbauen. Vor einem ähnlichen Problem steht die Kampfkunstschule Budokan. Seit 2007 unterrichten Christian Gembe und sein Team die Johanneskirchner in traditionellem Karate. 80 bis 90 Prozent der Schüler sind Kinder und Jugendliche und damit ortsgebunden, sagt seine Tochter Veronika. Die Gembes hoffen jetzt, dass es ihnen die Stadt ermöglicht, mit ihren Kinderkursen zukünftig in Schulturnhallen in der Umgebung auszuweichen. Denn bezahlbare Ersatzräume haben sie bisher nur in Perlach, Moosach oder im Hasenbergl gefunden. So weit aber würden die Kinder, die sie seit Jahren trainiert, nicht fahren können, sagt Veronika Gembe: "Und das alles nur für diesen Architektur-Einheitsbrei, in den dann Singles und Pärchen mit zwei Chihuahuas einziehen. Es zerreißt mir das Herz ..."

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