Münchner Bach-Chor:Die richtigen Fragen stellen

Münchner Bach-Chor: Als Tochter eines Religions-Lateinlehrer-Paares hat Johanna Soller ein entspanntes Verhältnis zur Tradition.

Als Tochter eines Religions-Lateinlehrer-Paares hat Johanna Soller ein entspanntes Verhältnis zur Tradition.

(Foto: Jakob Schad)

Mit Johanna Soller wird erstmals eine Frau den Münchner Bach-Chor leiten. Und die Organistin und Cembalistin weiß schon recht genau, wie sie sich die Zukunft des traditionsreichen Ensembles vorstellt.

Von Rita Argauer

Ein Traditionsensemble. Mit so einer schweren Vokabel wird der Münchner Bach-Chor oft beschrieben. Doch manchmal muss man die Tradition eben ein bisschen abkratzen, um wieder zum Kern zu kommen. Besonders, wenn es um die Musik von Johann Sebastian Bach geht. Strukturell reißt die Tradition beim Münchener Bach-Chor jetzt sowieso erst einmal ab. Von der Saison 2023/24 an wird Johanna Soller Hansjörg Albrecht als Leiterin des Münchener Bach-Chores und des Bach-Orchesters ablösen. Johanna Soller ist die erste und mit Anfang 30 auch noch eine sehr junge Frau auf diesem Posten. Doch Johanna Soller ist auch eine, die sich mit Traditionen auskennt. Die Organistin, Dirigentin und Cembalistin bewegt sich beruflich quasi immer in Traditionen. Traditionen sind ihr Metier.

"Das ist schon eine Aufgabe und eine Herausforderung", erklärt Soller trotzdem, angesprochen auf den Bach-Chor und seine Traditionen. Und fügt noch etwas Bemerkenswertes an: "Doch jedes Ensemble muss sich ständig hinterfragen." Welche Fragen man als erstes stellen muss und wie ein Traditionsensemble heute klingen könnte, da hat Soller auch schon Ideen. Aber erst einmal zu ihr. Johanna Soller ist in München aufgewachsen. Musik war ihr präsent seit der Kindheit. Sie hatte Klavierunterricht. Doch anders als die vielen anderen Kinder und Jugendlichen, die Klavierunterricht haben, stieg Soller auf die Orgel um.

"Das hat mich als Jugendliche sehr mitgenommen, da habe ich sehr viel gespielt", erzählt sie. Jugendliche suchen sich ja oft so etwas, was sie sehr intensiv betreiben. Und die Orgel mit ihrem mächtigen Raumklang, die wurde das eben bei Johanna Soller. So sehr, dass sie ein Jungstudium an der Musikhochschule absolvierte. Doch es ist schon auch etwas außergewöhnlich. Orgel übt man nicht zu Hause. Da habe es so ein Programm von der Diözese gegeben, das es ermöglichte, in verschiedenen Kirchen zu üben, erzählt sie. Und die verschiedenen Klänge der verschiedenen Instrumente und Orgeln an sich, das habe Soller fasziniert. Einen "Dialog mit dem Raum" nennt sie es. Gegensätzlich dazu steht Sollers zweites Instrument, das sie dann im regulären Musikstudium begann: das Cembalo. Denn das klingt ja eher eng, mit wenig Gestaltungsspielraum oder Klangvarianz. "Das Cembalo hat einen Raum aufgemacht, den die Orgel nicht hat", erklärt sie. Etwas Kammermusikalisches, Konkretes und Direktes, was sie selbst als Interpretin mitgestaltet.

Johanna Soller ist ein ruhiger Mensch, aber kein scheuer.

Neben der Kirchenmusik und Orgel als Konzertfach, studierte sie dann noch Cembalo und Chordirigieren. Als sie das erste Mal vor einem Chor gestanden habe, war sie klar aufgeregt, aber eine "positive Aufregung", wie sie es ausdrückt. Keine Aufregung, die durch die Angst erzeugt wird, jetzt diese Menschen anleiten zu müssen, jetzt etwas liefern zu müssen. Johanna Soller ist ein ruhiger Mensch, aber kein scheuer. Sie weiß sehr genau, was sie mag, was sie kann und was sie will. Nach dem Studium machte sie einige Assistenzen, bei den Händel-Festspielen in Göttingen und auch beim Münchener Bach-Chor. Oper macht sie auch immer noch; in dem Fall als musikalische Leiterin der Münchner Kammeroper auch mal eher antitraditionell.

2016 begann sie als Organistin in Sankt Peter. Da hat sie erst einmal durchgesetzt, dass die Orgel dort eine Grundreinigung bekam. "Das hat dem Instrument gut getan", sagt sie. Die Leitung des Müncheners Bach-Chors ist so auch gar nicht die erste prestige- und traditionsreiche Stelle, die sie hat. Sankt Peter ist immerhin die älteste Stadtkirche Münchens, traditioneller Name: Alter Peter. Doch auch hier reißt Johanna Soller die Tradition mit der sie arbeitet ein bisschen auf. Neben der Gestaltung der "sehr rauschhaften Musik" in dieser Kirche mit den Orchestermessen am Sonntag, veranstaltet sie in der Filialkirche Sankt Stephan am Südfriedhof auch eine Konzertreihe mit Bachkantaten und dem selbst gegründeten Ensemble "capella sollertia".

So ein entspanntes Verhältnis zur Tradition hat Johanna Soller aber vielleicht auch deshalb, weil sie als Tochter eines Religions-Lateinlehrer-Paares den Wert gewisser Traditionen familiär erfahren hat. Steckengeblieben ist Johanna Soller in solch einer Werttreue aber eben keineswegs. Fragt man sie die Gretchenfrage, wie gläubig man sein muss als Kirchenorganistin, antwortet sie reflektiert. Lässt Zweifel zu, lässt Werte zu. Kommt zu keiner eindeutigen Antwort und hat trotzdem einen Bezug zum Glauben, der heutzutage vielleicht gerade mit Zweifeln auch besonders wahrhaftig funktionieren kann.

Und wenn es um Musik geht, dann weiß sie völlig abseits ausgetretener Pfade, was sie will. Was macht die Musik Johann Sebastian Bachs so universal gültig? Die Musik sei "pur, extrem pur, nicht aufgesetzt. Eine große Schlichtheit, eine sehr reflektierte Musik, nie eine Schicht zu viel". Und was will der Münchener Bach-Chor im 21. Jahrhundert? "Das ist ja schon auch ein moderner Konzertchor", erklärt Soller, und da wolle sie auch eine musikalische Breite, eine "Sensibilisierung für die Epochen". Brahms klingt anders als Bach. Das soll man auch hören bei Chor und Orchester.

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