So war die Lesung von Joachim Meyerhoff in den KammerspielenSeelenkur mit Whisky und Feuerquallen

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Großartiges Solo: Der Schauspieler und Schriftsteller Joachim Meyerhoff liest in den Kammerspielen aus seinem Buch „Man kann auch in die Höhe fallen“.
Großartiges Solo: Der Schauspieler und Schriftsteller Joachim Meyerhoff liest in den Kammerspielen aus seinem Buch „Man kann auch in die Höhe fallen“. (Foto: Johannes Simon)

Joachim Meyerhoff  ist ein Bühnentier. Wenn er aus seinen Büchern liest, dann ist das immer auch großes Theater. Eindrücke vom Abend in den Münchner Kammerspielen.

Von Jutta Czeguhn

Tags zuvor berserkerte Joachim Meyerhoff noch als Platonow in Anton Tschechows „Die Vaterlosen“. In einer Dernière der Münchner Kammerspiele zu Ehren des Dramaturgen Carl Hegemann, der Anfang Mai gestorben ist. Nun sitzt er wieder auf dieser Bühne, im ruhigen Schein der Tischlampe, neben sich das Wasserglas. Die Speicher in seinem Körpergedächtnis müssen überlaufen: Erinnerungen an seine Zeit an der Otto-Falckenberg-Schule, als Kartenabreißer im Theater durfte sich der Student manchmal auf freie Plätze schleichen. Und seine Großmutter Inge Birkmann gehörte hier einst zum Ensemble. Man kennt sie als Hohe Priesterin des 18-Uhr-Whiskys aus „Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“. Senta Berger wird sie nun spielen, im Film.

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Dazu muss Meyerhoff dem Publikum, das ihn zur Lesung frenetisch begrüßt, noch mal eben kurz was erzählen. „Kann jemand meine Großeltern spielen?“, das habe er sich ernstlich gefragt. Und jeder im Saal hat sogleich die dauerilluminierten Nymphenburger Villenbewohner aus dem dritten Teil seiner Familien-Saga „Alle Toten fliegen hoch“ vor sich. Die beiden Alten gurgeln schon morgens mit hochprozentigem Mundwasser, zwitschern zum Frühstück Champagner, Weißwein zum Lunch, dann der Whisky, Rotwein zum Dinner. Simon Verhoeven verfilmt das Buch, mit seiner Mutter Senta Berger als Inge Birkmann. Joachim Meyerhoffs Zweifel an der Besetzung sind mittlerweile verflogen. „Ich war bei Senta Berger zu Hause, es war genauso wie bei meinen Großeltern.“ Wie er das jetzt wohl meint?

Ja, diese Über-Mütter. In Meyerhoffs Familie sind sie von ganz besonderem Kaliber. Seine Mutter Susanne, so hat er das mal erzählt, bekam jedesmal Zustände, wenn „Derrick“ im Fernsehen lief und ihre Mutter Inge dort mal wieder einen mondänen Auftritt hatte. Was die beiden Frauen jedoch verbindet, ist das Ritual des 18-Uhr-Whiskys – und dass Meyerhoff ihnen als Romanfiguren ein Denkmal gesetzt hat. Auch wenn Susanne, mittlerweile 87 und Protagonistin im aktuellen, sechsten Band „Man kann auch in die Höhe fallen“, am Ende sagt: „Ich würde, ehrlich gesagt, lieber doch nicht drin vorkommen.“

Das kann man wohl als reine Koketterie abhaken, schließlich ist diese vitale Frau durch das Buch mittlerweile selbst so etwas wie ein Star und liest auch hin und wieder, ohne ihren berühmten Sohn, aus dem Bestseller. Wenn sie nicht gerade mit Holzhacken beschäftigt ist, in der Ostsee ganz weit raus schwimmt und dann wie ein „Bond-Girl“ den Wellen entsteigt. Oder sich, wenn sie jemanden vom Bahnhof abholen muss, einen triefenden Döner gönnt.

Verausgabung auf der Bühne: Joachim Meyerhoff als Platonow in Anton Tschechows „Die Vaterlosen“ an den Münchner Kammerspielen.
Verausgabung auf der Bühne: Joachim Meyerhoff als Platonow in Anton Tschechows „Die Vaterlosen“ an den Münchner Kammerspielen. (Foto: Armin Smailovic)

Mit dieser Szene des Ankommens bei Muttern auf dem Land in Schleswig-Holstein beginnt auch dieser „Roman“, in dem sich – wie immer bei Meyerhoff – Fakt und Fiktion, Slapstick und Tragik unentwegt streifen. Wohl selten wird in den Kammerspielen so viel gelacht wie an diesem Abend. Der Held, der Sohn, ist zur Seelenkur nach Hause geflohen, aus dem toughen Berlin, das sich als „Säurebad“ erwies für jemanden in seinem Zustand. Ein Mittfünfziger in einer kapitalen Lebenskrise nach überstandenem Schlaganfall. Einer, der sich selbst nicht wiedererkennt. Nichts mehr zu Wege bringt, auch nicht das Schreiben.

Eigentlich überhaupt nicht lustig, und doch. Joachim Meyerhoff ist ein Soloperformer vor dem Herrn. Man merkt, dass diese kuriosen autobiografischen Geschichten einst als Bühnenprogramm auf die Welt kamen, ehe sie ihren Weg zwischen zwei Buchdeckel fanden. Da ist dieses Situative in Meyerhoffs Erzählen, Dialoge, die meist pfeilgerade auf eine Pointe zuschnellen. Kein Wunder, dass es mittlerweile Theaterfassungen von „Lücke“ gibt  (etwa am Münchner Metropoltheater) und auch die Verfilmung des ersten Bands „Wann wird es endlich so, wie es nie war“.

„Scham und Bühne“, an diesem Schreibprojekt arbeitet sich der Held ab, zwischen Heckenschneiden, Feuerquallen und Mutters Apfelkuchen. Ein Buch im Buch quasi. Und immer wenn Meyerhoff in den Kammerspielen aus diesen Kapiteln liest, dann kommt das Publikum aus dem Wiehern nicht mehr heraus. Es sind Geschichten über absurde Regie-Missgriffe in der Provinz, monströse Text-Blackouts. Joachim Meyerhoff lüftet auf der Bühne den Vorhang seines gnadenlosen Theaterberufs. Und die da unten, sie lachen Tränen. Doch man wüsste zu nur gerne, was er wirklich über sie denkt.

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