Süddeutsche Zeitung

Jelinek-Uraufführung in den Kammerspielen:"Wir haben ein Gesetz, und das Gesetz heißt Orgie"

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Reichtum und Schönheit, Mode und die Maximilianstraße: Für ihr Stück "Die Straße. Die Stadt. Der Überfall" hat sich Elfriede Jelinek mit Münchens teuerster Gegend befasst. Und dabei trotzdem einen thematischen Rundumschlag vollzogen - samt Moshammer-Kopie und Brad-Pitt-Doubles.

Egbert Tholl

Es ist ein Geschenk, aber keine Überraschung. Vor zwei Wochen feierten die Münchner Kammerspiele die ersten einhundert Jahre ihres Bestehens, und ihr Intendant Johan Simons wünschte sich ein neues Stück von Elfriede Jelinek. Das Thema bestellte er gleich mit, die Maximilianstraße und die Mode, die man dort kaufen kann, wenn man viel Geld für Kleidung ausgeben will.

Das Ersehnte hat er erhalten: einen Riesentexthaufen von klassischer Jelinekscher Façon, 130 Seiten ohne viel Punkt und Komma, aus denen er sich aussuchen konnte, was ihm gefällt. Ein Drittel davon wird er wohl verwendet haben für seine Inszenierung, genau kann man das nicht sagen, weil den Text, der "Die Straße. Die Stadt. Der Überfall" heißt, außerhalb des Theaters niemand lesen darf, nicht vor der Premiere und nicht danach, kein anderes Theater soll ihn je nachspielen - das Geschenk ist exklusiv.

Simons erweist sich als sehr höflicher Beschenkter. Er tut alles, um aus dem mitunter verworrenen, mythisch aufgeladenen, von Idiosynkrasien seiner Autorin durchzogenen Text einen faszinierenden Theaterabend zu machen. Dazu bietet er alles auf, was die Kammerspiele hergeben.

Alles, was die Kammerspiele hergeben

Sechs männliche Darsteller, die größtenteils abenteuerliche Gestalten verkörpern, scharen sich um Sandra Hüller, leuchtendes Zentrum des skurrilen Treibens. Fünf Musiker sitzen in einem halboffenen Glaskasten, spielen Bühnenmusik und einige herrliche Songs für Hüller und Benny Claessens, die nach Großstadt und Vaudeville duften - die Musik schrieb Carl Oesterhelt, welcher über das "Tied & Tickled Trio" mit den Gebrüdern Acher von "The Notwist" verbunden ist, daran erinnert der Sound zwischen Wehmut, Pathos und Asphalt.

Die Bühne ist weit ins Parkett hineingebaut, ein Teil des Publikums sitzt im Hintergrund der Bühne selbst, die Zuschauer schauen sich gegenseitig an, schließlich geht es hier ja um den schönen Schein, und zu Beginn verteilen Bühnenarbeiter sorgsam Eis, das in hundert Plastiksäcken auf der Bühne gelagert worden war. Die Kälte der Maximilianstraße mag damit gemeint ist; auf jeden Fall knirscht es sehr schön, stöckeln die Schauspieler darüber hinweg.

Ein sehr seltsamer Catwalk ist das. Zu Beginn steigen aus der Tiefe der Unterbühne Stephan Bissmeier und Hans Kremer, das Publikum gackert aufgekratzt, einer der Musiker starrt die beiden fassungslos an. Kremer trägt eine figurverbessernde Unterhose und eine Louis-Vuitton-Handtasche, Bissmeier einen kurzen Pelzmantel, beide tragen sonst nichts außer Pumps.

Sie sind zwei Varianten einer Figur, die mit der Mode hadert und der aus dieser erwachsenden Verpflichtungen. "Wir haben ein Gesetz, und das Gesetz heißt Orgie", und Orgie bedeutet kaufen. Dieses Gesetz wird im Text in unendlichen Varianten wiederholt, die Straße selbst postuliert es - verkörpert durch Steven Scharf mit blutunterlaufenem, flackernden Blick.

Doch es gibt ein Problem. Der wohl wichtigste Motor für Elfriede Jelineks Schreiben ist der Widerwillen, ist der Hass. Jelinek aber mag Mode, sagte einmal, sie würde sich vom Nobelpreishonorar eher ein japanisches Kleid kaufen als damit einen Psychiater zu bezahlen. Das gebiert zweierlei: Erstens eine Kennerschaft in Modefragen, in Fragen nach Saison, Marken, Plagiat und Original, der man als (männlicher) Zuschauer machtlos gegenüber steht.

Und zweitens eine für Jelinek seltsame Milde. Da kann Sandra Hüller noch sehr (und sehr schön) an ihrem teuren Rock verzweifeln, der sie doch nicht so aussehen lässt wie die Frauen, die ihn in der Werbung tragen, sie also nicht zu einer anderen macht. Ihre Erkenntnis, "ich möchte mir nicht gehören, wenn ich der Rock wäre", offenbart zwar viel Traurigkeit, aber lässt den Nimbus der Mode letztlich unangetastet.

Zwischen Moshammer-Kopie und Brad-Pitt-Doubles

Dies gilt auch für den zweiten Teil, in welchem Benny Claessens zu einer aberwitzig perfekten Moshammer-Kopie wird und wiederum traurig beklagt, dass ihn die Stadt nicht liebte. Und ähnlich verhält es sich mit Marc Benjamin und Maximilian Simonischek, die beide so aussehen wie Brad Pitt in "Meet Joe Black" und ein wunderschönes Paar bilden, Mann und Frau in einer auf zwei Menschen aufgeteilten Figur vereinen.

Aus Jelineks Raunen macht Simons hier ein glitzerndes Fluidum, durch das dann doch noch ein paar Worte der Wut geistern. Die Wut über das Finanzamt, das in Jelineks Münchner Wohnung eindrang, weil die Stadt bezahlt werden will. Die Trauer über die Familienmitglieder, die die Nazis umbrachten. Das muss schon alles mit hinein. Aber die wahre Erkenntnis liegt in einem Lied, das Hüller rau, kehlig, reichlich großartig und voller Wehmut singt: "Wir erreichen einander nie ganz, die Schönheit und ich."

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Quelle:
SZ vom 29.10.2012
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