Musik:Block'n'Roll

Kuu Band

Wieder auf Sendung: "KUU!" um Sängerin Jelena Kuljić (rechts oben).

(Foto: Act / Gregor Hohenberg)

Aus Bruchstücken der Musikgeschichte Neues schaffen, das gelingt "KUU!" ganz formidabel. Nun stellt die Band um Schauspielerin Jelena Kuljić ihr neues Album an den Kammerspielen vor.

Von Egbert Tholl, München

Die Musik beginnt so voraussetzungslos, dass man glaubt, die Band habe seit dem Erscheinen des letzten Albums einfach weitergespielt. Irgendwo an einem verborgenen Ort, zu dem man jetzt die Tür öffnet und schon wird man überrollt. Man tritt ein ins zornige Klangwunderland von KUU!, das nie verschwunden war. "It's easier to believe fiction than real life", Erfundenes ist leichter zu glauben als Wahrheit, als das echte Leben, also weiß man gleich, das wird kein dummduseliges Liebesbefindlichkeitserlebnis, diese Begegnung mit KUU!, nein, hier geht es um etwas. Um unser Leben, unsere Welt, unsere Gesellschaft, jetzt, dringlich, daran lässt die Musik keinen Zweifel.

Live erleben kann man dies am Donnerstag, 21. Oktober, um 20 Uhr im Schauspielhaus der Kammerspiele. Dort stellen KUU! mit Unterstützung von Clara Pazzini ihr neues Album mit dem auf eine dystopische Zukunft verweisenden Titel "Artificial Sheep" vor. Die Stimme der Band ist Jelena Kuljić, die von drei fabelhaften Musikern begleitet wird, die in sehr unterschiedlichen, aber nie simplen Gefilden der Musik unterwegs sind. Der eine Gitarrist, Frank Möbus, ist von der Band Der rote Bereich, der andere, Kalle Kalima, der auch die meisten Songs geschrieben hat, hat mit Simon Stockhausen gearbeitet, der Schlagzeuger, Christian Lillinger, mit dem Siemens-Musikpreisträger Beat Furrer. Und alle mit vielen anderen.

So großartig die Band als disparates, aber doch geschlossenes Instrument fungiert, über allem singt, schwelgt, schimpft, röhrt Jelena Kuljić. Seit Beginn der Intendanz von Matthias Lilienthal an den Münchner Kammerspielen ist sie dort im Ensemble, ein strahlend heller, sehr freundlicher Stern, der auch unter der Intendantin Barbara Mundel weiterleuchtet. In Serbien wurde sie 1976 geboren, machte in der Heimat Punk und ging zum Jazzstudium nach Berlin. Sie vereint auf abenteuerliche Weise Singen und Performen, ihr Gesang ist vokale Darstellungskunst. "Wenn wir vor Publikum spielen, ist es das reine Paradies."

2018 brachten KUU! (ebenso wie nun "Artificial Sheep" beim Label Act) ihr zweites Album heraus, "Lampedusa Lullaby", das schlichtweg eine Sensation war, und genau da knüpfen sie nun an, musikalisch und inhaltlich. Lampedusa war ja längst keine Insel mehr, die man in Sonnenuntergängen besingen kann, sie stand und steht für Flüchtlingselend, Tod, Illegalität. Dem stand eine dunkle, schwere, raue Poesie gegenüber, eingebettet in einen Sound, der an den Art Rock der frühen Siebziger erinnert, an Psychedelisches, Jazz, Punk. Immer sperrig, immer aufregend.

Sie machen kubistische Rockmusik

Dieser fabelhafte Eindruck wiederholt nun mit dem künstlichen Schaf. Die vier, das kann man ohne viel Federlesen annehmen, kennen jede Musik, haben sie aber wieder vergessen und bauen nun aus Bruchstücken etwas völlig Neues zusammen, immer unter der Prämisse, dass es laut und kraftvoll und so noch nie gehört sein muss. Zwei Cover-Songs sind auf dem Album vertreten, der eine von Arcade Fire, der andere von den Beastie Boys. Die erkennt man zwar wieder, aber sie wirken so, als hätte KUU! sie sorgfältig in kleine Blöcke zerteilt und dann mit wüster Spielfreude wieder zusammengesetzt. Der Eindruck, den man vor drei Jahren hatte, er ist wieder da und das ist großartig: KUU! machen kubistische Rockmusik - ja, das gibt es! - , über der als singuläres Ereignis die Stimme von Kuljić liegt, mal dunkel grollend, dann auf jedem Wort als Einzelereignis insistierend, dabei unendlich schön, frei, auch mal hymnisch, immer drängend, immer energiegeladen.

Fünftes Lied, "Miss Stress". Kuljić zitiert die Aktivistin Emma Goldman. Lässig hüpft der Beat daher, die Stimme geht ebenso lässig mit den Worten spazieren. Bäng! Fragmente härterer Klangwelten tauchen auf. Text: Berühre mich oder nicht, liebe mich oder verlass' mich, aber nur, wenn ich es sage. Wenn ich es will!

Letztes Lied, "Book of Nihil": Immer genau neben der harmonischen Spur, eine große Hymne, die sich hart neben den Gefilden klanglicher Sicherheit abspielt. Das singt Kuljić. Wir haben alle Angst vor dem Riss in jedem Klang. Aber die Risse sind ja überall, auch wenn wir das nicht wahrhaben wollen: "No one has friends, we are always alone."

KUU!, Donnerstag, 21. Oktober, 20 Uhr, Schauspielhaus der Kammerspiele

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