Theater:Aufregender Blick ins Innere

Theater: Spiel der Identitäten: (v.l.) Magdalena Laubisch und Anna Graenzer in Wajdi Mouawads Stück "Vögel" am Metropoltheater.

Spiel der Identitäten: (v.l.) Magdalena Laubisch und Anna Graenzer in Wajdi Mouawads Stück "Vögel" am Metropoltheater.

(Foto: Jean-Marc Turmes)

Wie ein unglaublich spannender Krimi: Jochen Schölch inszeniert am Metropoltheater "Vögel" von Wajdi Mouawad.

Von Egbert Tholl, München

Das dürfte eine der schönsten, drolligsten Liebesverblödungen sein, die je in ein Theaterstück hineingeschrieben wurde. Hunderte Male war Eitan in der Bibliothek der Universität, Hunderte Male sah er dort ein Buch liegen, "Kitab Wafayat al-A'yan", von dem es in dieser riesigen New Yorker Bibliothek nur ein Exemplar gibt, und stets fragte er sich, wer das denn lese. Und dann sieht er sie, Wahida, die dieses Buch liest, und er erzählt ihr irgendwas von Zufällen und Nichtzufällen, von der "makellosen Harmonie der Koinzidenz", welche er in Wahida verkörpert sieht, die man sich tatsächlich makellos vorstellen muss, ohne jede Koinzidenz. Und überhaupt, schuld an dieser Begegnung sei der Big Bang, der sich offenbar gerade im Kopf und im Herzen von Eitan wiederholt. Er, der Genetiker, hat so etwas noch nie erlebt, er schwärmt und spinnt, Wahida lächelt, beide sind schlagartig verliebt - und Magdalena Laubisch und Leonard Dick einfach nur entzückend.

Wajdi Mouawad hat sein Stück "Vögel" selbst uraufgeführt, 2017 in Paris, vor vier Jahren brachte es Burkhard C. Kosminski zum ersten Mal auf Deutsch heraus, in Stuttgart. Er nahm die Viersprachigkeit des Textes - Deutsch, Englisch, Hebräisch, Arabisch - und schuf ein babylonisches Riesentableau des israelisch-palästinensischen Konflikts. Jochen Schölch macht es am Metropoltheater ganz anders und schafft damit ein aufregendes Kunststück: Er verdichtet den Text in ungeheurer Konzentration und Klarheit, schafft elegante Szenenübergänge, lässt alle deutsch sprechen und bohrt in die Tiefe der Figuren. Ein introspektivischer Krimi.

Und da "Vögel" eben auch ein Erkenntniskrimi wie etwa "König Ödipus" ist, darf man den Inhalt gar nicht erzählen, weil man künftigen Zuschauern nicht diese Spannung rauben will. Aber so viel: Das Stück springt zwischen Zeiten und Orten - New York, Berlin, Israel - hin und her, zwischen Liebe und Grauen. Wahida ist Araberin, Eitan aus jüdischer Familie. Seine Eltern sind ob seiner Liebe unterschiedlich entsetzt, Anastasia Papadopoulou als Mama eher analytisch gewitzt, Michele Cuciuffo als Papa dampfend, rasend, verzweifelt, angsteinflößend. Das ist schon mal großartig, dann gibt es noch die Großeltern, Sarah Camp und Wolfgang Jaroschka, und was Camp macht, ist reine Sensation, eisenhart, lebensweise, stimmig in jeder Sekunde. Alle funkeln hier im Spiel der Identitäten. Anna Graenzer ist als israelische Soldatin von Wahida ebenfalls hingerissen, Gerd Lohmeyer schwebt als Gelehrter in der Luft oder reitet auf einem weißen Elefanten. Er wüsste die Lösung, die nicht kommt. Was kommt, sind Krieg, Attentate, Massaker im Nahen Osten, die Liebe stirbt. Oder nicht?

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