Süddeutsche Zeitung

Jazz:Stimmberechtigt

Gesangsmusik ohne Text? Der junge Münchner Kilian Sladek steckt voller Talente

Von Oliver Hochkeppel

Am vergangenen Montag hatte der Jazzsänger Kilian Sladek einen Auftritt im Frühstücksfernsehen. Allerdings nicht im deutschen, sondern im georgischen, als Begleiter seines von dort stammenden Freundes, des Gitarristen Beka Buchukuri, der in München Komposition studiert. In Georgien war es 9.30 Uhr, in München erst 6.30 Uhr, als sie per Videoschalte den Antonio-Carlos-Jobim-Standard "Wave" vortrugen. Aber was macht man derzeit als Künstler nicht alles, um so etwas wie einen Auftritt zu haben.

Normalerweise stünde Sladek derzeit wohl viel auf der Bühne, denn sein Debütalbum "Syllabulism" ist gerade erschienen. Produziert vom Organ Explosion-Schlagzeuger Manfred Mildenberger in dessen Studio und eingespielt mit Sladeks Quartett, in dem einige der größten Talente sitzen, die derzeit an der Münchner Musikhochschule studieren: der Pianist Maximilian Hacker, der Bassist Thomas Ganzenmüller und der Schlagzeuger Manuel Pliefke, dessen öffentliches Abschlusskonzert man am Dienstag, 2. Februar, als Stream aus dem Jazzclub Unterfahrt sehen kann. Auf Sladeks Album finden sich nun allerdings keine Standards, alle sieben Songs stammen aus seiner Feder. Und das Besondere an den Stücken ist, dass hier Gesangsmusik ohne Texte erklingt. Sladek setzt - obwohl er mit seinem für Crooner-Gesang sehr tauglichem Bassbariton sonst durchaus gerne Standards singt, wie sein georgisches Gastspiel beweist, und er auch Songtexte schreibt - seine Stimme nur lautmalerisch oder scattend ein. Schon deswegen ragt "Syllabulism" deutlich aus der Flut der Jazz-Neuerscheinungen heraus: Sind männliche Jazzsänger ohnehin rar, hört man sie üblicherweise "vor" der Band, also von ihr begleitet, nicht wie hier als gleichberechtigter instrumentaler Teil von ihr.

Sladeks mutige Entscheidung kommt indes nicht von ungefähr: "Ich habe als Kind mit Klavier und der Trompete begonnen, komme also vom Instrument. Deshalb sehe ich mich auch als Sänger mehr als Instrumentalist denn als Interpret von Texten." Nicht nur in diesem Punkt spiegelt "Syllabulism" den bisherigen Werdegang Sladeks: "Es steckt voller Erfahrungen, die ich als Sänger sammeln durfte, und voller Musik, die mich beeinflusst hat", sagt er selbst. Grund genug, genauer nachzuschauen.

Der 26-jährige Kilian Sladek stammt aus dem niederbayerischen Niederalteich auf, als Sohn einer sehr musikalischen Familie. Im Knabenchor entdeckte er die Liebe zum Gesang, in der Schul-Bigband die zum Jazz. Vorbilder aus dieser Zeit sind Frank Sinatra (dessen Version auch das von Sladek fürs georgische Fernsehen ausgewählte "Wave" berühmt machte), Al Jarreau und Bobby McFerrin, vor allem wegen ihres experimentellen Ansatzes. Als Sladek später ein Konzert von McFerrin besuchte, hatte er das große Glück, von ihm aus dem Publikum herausgepickt zu werden, wie Bobby McFerrin das stets gerne macht. "Zehn krasse Minuten lang haben wir gemeinsam mit der Stimme improvisiert, die Bälle sind zwischen uns hin und her geflogen. Diesen Abend in der Philharmonie werde ich nie vergessen", erinnert sich Sladek. So ist es sicher kein Zufall, dass das Stück "Inner Peace" auf "Syllabulism" stark an McFerrin erinnert.

Ein anderer wichtiger Schritt war Sladeks Eintritt in die Bayerische Chorakademie nach dem Abitur, in der er fünf Jahre blieb. Das Ensemble führte viel zeitgenössische Chormusik auf, zum Teil eigene Kompositionen. "Mit einem 75-köpfigen Chor experimentelle Stücke zu machen, da habe ich die Stimme noch einmal ganz anders kennengelernt als bei der geistlichen Musik im Knabenchor", berichtet er. Was seine Entscheidung, die Musik zum Beruf zumachen, verfestigte. Dafür hatte er sowieso ein naheliegendes Vorbild: seinen fünf Jahre älteren Bruder, den Posaunisten Roman Sladek. Er "hat meinen Weg vorgezeichnet." Unter anderem den an die Münchner Hochschule für Musik und Theater, wo Kilian Sladek 2013 ein Gesangsstudium mit Schwerpunkt Jazz bei Anne Czichowsky, Sanni Orasmaa und Philipp Weiss aufnahm. Und als Roman mit seiner Jazzrausch Bigband durchstartete, war auch Kilian anfangs dabei. Auch nach Peking, wo sein Bruder das Programm eines Jazzclubs betreute, begleitete er ihn einmal. Der auf Syllabulism zu hörende Song "Mao Tai" ist dort entstanden.

Inzwischen freilich sucht Kilian seine eigenen Pfade. Wozu auch ein akademisches Auslandsjahr 2015/2016 an der lettischen Musikakademie Jazepa Vitols in Riga gehört. "Das war eine prägende Erfahrung für mich", berichtet Sladek. "Der Kontrast zum Leben und Arbeiten bei uns ist groß, das lässt einen die Dinge klarer sehen. Die erst 1990 wiedergewonnene Freiheit setzte nicht nur ein ungeheures künstlerisches Potenzial frei, sondern auch ein großes Verlangen nach Kommunikation und kulturellem Austausch. Alle drei baltischen Länder zeichnen sich durch große Offenheit gegenüber Neuem und Anderem aus." Einige der Stücke von "Syllabulism" sind in Riga entstanden, den Kontakt hält Sladek bis heute. So stellte er im Dezember 2018 zusammen mit einem Kommilitonen im Gasteig das Festival "Baltic Breeze", zu dem er lettische Musiker nach München holte. Das Unternehmen war langfristig angelegt, man wird sehen, was nach Corona daraus wird.

Schon zuvor hatte er das Projekt "Stimm(ungs)macher" gegründet, in dem er musikalisch mit geflüchteten unbegleiteten Minderjährigen arbeitete; er hatte wie schon sein Bruder auch noch ein Kulturmanagement-Studium begonnen; und er wurde ins BuJazzO aufgenommen, das Jugendjazzorchester der Bundesrepublik, aus dem viele große Namen hervorgegangen sind. Aktuell sitzt er auch noch in der Band Lauraine der jungen Sängerin Laura Glauber an Keyboards und Synthesizer, demnächst soll die erste EP erscheinen. Offensichtlich hat Kilian Sladek also auch den Fleiß seines großen Bruders geerbt. Am Talent hat ohnehin keine Zweifel, wer "Syllabulism" hört. Danach bleibt nur der Wunsch, Sladeks großartiges Gefühl für Stimmungen, Steigerungen, Rhythmen und Interplay bald auch wieder live erleben zu können.

Kilian Sladek: Syllabulism, Unit Records, Infos unter www.kiliansladek.com

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SZ vom 25.01.2021
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