Jazz:Losgelöst

Der in München lebende französische Saxofonist Matthieu Bordenave stellt sein vom Lyriker René Char inspiriertes Album "La traversée" vor

Von Oliver Hochkeppel

So wie sich der französische, seit langem in München lebende Tenorsaxofonist Matthieu Bordenave entwickelte, dachte man sich schon seit längerem, dass er eigentlich gut zu Manfred Eicher und seinem berühmten ECM-Label passen würde. "Contemporary Musik" (wofür ja die Buchstaben im Labelnamen stehen) war das mehr und mehr geworden, ein Autorenjazz mit unverwechselbarer Handschrift, und auch mit der Kultiviertheit, Introspektion und dem meditativen Element, wie es so viele ECM-Künstler auszeichnet. 2018 war er als Sideman im Shinya Fukumori Trio schon bei einer Veröffentlichung des Labels dabei, und als Bordenave im Februar 2019 mit seinem neuen Trio beim BMW Welt Jazz Award eingeladen war, munkelte man bereits, dass diese Besetzung und das Programm "Archipel" sein Debüt dort werden würden.

Jetzt ist es tatsächlich so weit, soeben ist "La traversée" erschienen, und am 1. Oktober stellt Bordenave das Album in der Unterfahrt vor. Damit ist ein Lokalmatador beim internationalsten und renommiertesten Münchner Jazzlabel vertreten, denn Bordenave gehört seit zwölf Jahren fest zur hiesigen Szene. Der Mann aus den Pyrenäen studierte zunächst in Paris klassisches und Jazz-Saxofon, bevor er über Masterstudium und Assistentenstelle an der Münchner Musikhochschule hier hängen blieb. Schnell bespielte er die lokalen Spots, demonstrierte seine weiche Intonation und ausgeprägte Melodik bei einer Edith Piaf-Hommage mit seinem Trio "Le Café Bleu", dem Projekt "Bedtime Stories" und bei der deutlich experimentelleren Zusammenarbeit mit dem Gitarristen Geoff Goodman. Mit dem bei 2017 bei Enja erschienenen Album "Terre de Sienne" machte er erstmals überregional auf sich aufmerksam. Seine Synästhesie wurde da zum Thema, also die bei manchen Menschen ausgeprägte Eigenart des Gehirns, Tönen auch Farben zuzuordnen.

Matthieu Bordenave

Feingeist, Synästhet und Lyrik-Freund: Mit einigem Anlauf und allen Corona-Widrigkeiten zum Trotz hat der Saxofonist Matthieu Bordenave offensichtlich seinen Weg, seinen Stil und sein Label gefunden.

(Foto: Adrian Schätz/ECM)

Seine seit jeher ausgeprägte lyrische Ader nicht nur in virtuosen Linien, sondern auch mit ruhenden, alle Schattierungen nutzenden Klänge und langen Tönen auszuspielen, kam da schon zum Tragen, auf "La traversée" blüht sie nun voll auf. Hat sich Bordenave doch zum einen für sein All-Star-Trio mit Florian Weber am Piano - einst Finalist beim ersten BMW Welt Jazz Award und neben dem damaligen Sieger Michael Wollny international vielleicht der bekannteste jüngere deutsche Jazzpianist - und dem Schweizer Bassisten Patrice Moret vom luftigen Spiel des legendären Jimmy Giufre Trios inspirieren lassen. Zum anderen ist die Grundidee von "Archipel" erhalten geblieben, sich an Gedichten und Aphorismen des bei uns unbekannten, in Frankreich aber allgegenwärtigen französischen Lyrikers René Char zu orientieren. Meist ganz entrückt und ätherisch, manchmal dramatisch zugespitzt, in jedem Fall losgelöst vom ursprünglich stark Ausnotierten, das im Studio oft der Lust am Improvisieren weichen musste.

Ein wichtiger Schritt für den 37-Jährigen, der ihm wohl einige Aufmerksamkeit eintragen wird. Und doch hätte man auf den Live-Genuss dieser faszinierenden Musik fast verzichten müssen, denn während des Corona-Lockdowns war Bordenave fast so weit, seine Karriere aufzugeben. Erst die Anstellung als Lehrer an einem musischen Gymnasium hat ihm wieder Boden unter den Füßen verschafft. Alles andere wäre ein Jammer gewesen, wie man hören und nun auch wieder sehen kann.

Matthieu Bordenave Trio: "La traversée" (ECM), Donnerstag, 1. Oktober, 19 und 21 Uhr, Unterfahrt, Einsteinstraße 42

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