Süddeutsche Zeitung

Jazz in München:Warum hat München nur einen Jazzclub?

In der Stadt gibt es eine Vielzahl exzellenter Jazzmusiker, aber die legendären Clubs gehören der Vergangenheit an. Immerhin hört man heute Bigband-Klänge im Elektroclub.

Von Oliver Hochkeppel

Früher war der Jazz in München ordentlich über die Stadt verteilt, vom "Hot Club" im Haus der Kunst über das "Café Stadt Wien" am Hauptbahnhof oder das "Tabarin" am Isartorplatz bis zum "Keller-Club" in Freimann. Vor allem aber war er in Schwabing und der Maxvorstadt beheimatet: Im "Jazz-Keller" und im "Allotria", in der "Nachteule", im "Studio 15", im "Kleinen Rondell" und natürlich in Ernst Knauffs legendärem, weltweit bekanntem "Domicile", erst in der Sieges-, später in der Leopoldstraße. Vielen setzte schon die Beat-Bewegung der Sechzigerjahre zu, Ende der Siebziger begann dann endgültig das große Club-Sterben. Steigende Mieten, Konflikte mit Anwohnern, aber auch der starke Dollar, der die Auftritte von US-Musikern teuer machte, und der Niedergang Schwabings als Künstlerquartier machten ihnen zu schaffen.

Heute - und schon seit vielen Jahren - gibt es in München noch exakt einen Jazzclub, der dafür aber zu den weltweit besten und renommiertesten gehört: die Unterfahrt in Haidhausen, die gerade groß ihren 40. Geburtstag gefeiert hat. Ergänzt wird das Jazz-Angebot - abgesehen von einigen Restaurants und Cafés, die gelegentlich ein Jazzkonzert veranstalten - von den prominent besetzten regelmäßigen Konzerten im Nightclub des Bayerischen Hofs und von genau zwei Jazzbars: dem schlafzimmergroßen Kuriosum "Mister B.'s" in der Herzog-Heinrich-Straße und der Jazzbar Vogler in der Rumfordstraße, die streng genommen die einzige kontinuierliche Auftrittsmöglichkeit für einheimische Jazzprofis bietet.

Für eine auf gut 1,5 Millionen Einwohner angewachsene Metropole, die sich "Musikstadt" nennt, ist das paradox. Zumal seit jeher die wichtigsten Independent Labels des Jazz - ecm, Act und Enja - hier ansässig sind, ebenso wie die Deutschland-Zentrale des Major Labels Sony Music. Vor allem aber, weil im Lauf der vergangenen zwei Jahrzehnte aus einer Subkultur für Nachtschwärmer die "zweite Klassik" und die mit Abstand innovativste und vielseitigste Kunstmusik geworden ist. Das beweist auch das Interesse der "Institutionen": Jazzreihen gehören in vielen Bürgerhäusern und Kulturzentren des reichen Umlands zum guten Ton, und improvisierte Musik hat mit "Bühne frei im Studio 2" im Funkhaus des BR ebenso einen festen Live-Platz wie mit dem "Jazz Award" in der BMW Welt.

Die wohl wichtigste Entwicklung der vergangenen Jahre ist aber, dass der Jazz alle anderen Genres und Stile entdeckt und vereinnahmt hat und schon deshalb eigentlich ein breites Publikum erreichen müsste. Die Zeiten, als sich die Münchner Jazz-Gründerväter wie Freddie Brocksieper, Max Greger oder Joe Haider mit Swing und Bebop ausschließlich an amerikanischen Vorbildern orientierten - so sie denn wie ein Al Porcino, ein Mal Waldron oder ein Dusko Goykovich nicht gleich selbst welche waren -, sind lange vorbei.

Mag die hiesige Jazz-Landschaft auch nicht so jung und wild wie die Berliner und nicht so vielköpfig wie die Kölner sein, auch hier hat die Zahl hochkarätiger, innovativer Berufsjazzer kontinuierlich zugenommen. Was auch mit der Akademisierung des Jazz zusammenhängt, die in München mit Joe Haiders privater "Jazz School" begann und mit der von Kurt Maas aufgebauten Jazz-Abteilung am Richard-Strauss-Konservatorium die klassischen Institutionen erreichte.

Seit das Konservatorium 2008 in die Musikhochschule überführt wurde, hat dessen von Claus Reichstaller geleitete Jazzinstitut zuletzt immer famosere Jahrgänge mit überragenden Absolventen hervorgebracht: Preisgekrönte, mindestens national erfolgreiche Musiker wie die Gitarristin, Sängerin und Bigband-Leiterin Monika Roscher, den Pianisten Leo Betzl, die Bassisten Maximilian Hirning und Martin Brugger, den Schlagzeuger Sebastian Wolfgruber, den Saxofonisten Moritz Stahl oder die Trompeter Matthias Lindermayr und Vincent Eberle, der vor wenigen Tagen die wichtigste deutsche Auszeichnung gewann, den Neuen Deutschen Jazzpreis.

Sie alle passen ins Profil der neuen Generation europäischer Jazzer: Alle verfügen sie über eine klassische Grundausbildung, sind automatisch mit Rock und Pop aufgewachsen, haben sich aber dem Jazz-Spirit verschrieben. Nun bedienen sie sich für ihre jeweils individuelle Musik aus einem ganz großen Werkzeugkasten, in dem die komplette Musikgeschichte bereit liegt. Was sie dann mit ihren Bands wie Fazer, LBT oder Ark Noir spielen, hätte man vor 20 Jahren sicher nicht Jazz genannt - wie so vieles auf dem aktuellen Jazzmarkt.

Das Kulturreferat der Landeshauptstadt fördert den Nachwuchs inzwischen nach Kräften - im Gegensatz zum Freistaat, der ihn über die von ihm getragenen Musikhochschulen ausbildet, ihm danach aber jegliche Förderung verweigert. Während man in den Klassikbetrieb Hunderte Millionen Euro fließen lässt, ist der jahrelange Versuch des Bayerischen Jazzverbands, dem Kunstministerium das funktionierende baden-württembergische Fördermodell schmackhaft zu machen, erneut gescheitert. Kosten: 485 000 Euro im Jahr.

Indessen warten die Musiker der jungen Jazzer-Generation nicht mehr darauf, bis das Publikum zum Jazz findet, sie holen es auch an bislang jazzfernen Orten ab. "Der Jazz-Habitus, diese elitäre Verweigerungshaltung, hat viel zerstört", sagt der Posaunist Roman Sladek, der ebenfalls zu den erwähnten Absolventen gehört. "Wir Jazzer müssen uns demütig anschauen, was es alles an Musik gibt, es beherrschen lernen und etwas damit machen. Wir müssen mit dem Jazz in die Jetztzeit zurückfinden. Und selbstbewusst klar machen, dass unsere Musik vielleicht finanziell ein schlechtes Standing, aber musikalisch und kreativ das größte Potenzial hat."

Dieser Erkenntnis folgend hat Sladek binnen vier Jahren seine Jazzrausch Bigband zur Allzweckwaffe des Münchner Jazz geformt. Mit ihren monatlichen Auftritten im "Harry Klein" und im "Ultraschall" ist sie die inzwischen weltweit bestaunte erste "Resident Bigband" in Techno- und Electro-Clubs, war im vergangenen Herbst als erstes deutsches Jazzorchester ans New Yorker Lincoln Center eingeladen und ist heuer auf nahezu jedem europäischen Festival präsent. Neben Techno- spielt sie auch Bruckner-, Hip-Hop-, Swing- oder Modern-Programme. Zum Beispiel bei der montäglichen Bigband-Night in der Unterfahrt, wo auch Formationen wie das VerwornerKrauseKammerorchester, Earforce, die Hard Days Night Bigband oder die Orchester von Dusko Goykovich, Christian Elsässer und Alessandro de Santis München zur heimlichen Bigband-Hauptstadt machen.

Es fehlt der Münchner Szene also weder an Talenten noch an Vielfalt. Wohl nicht einmal an Publikum. Es mangelt geradezu grotesk an Auftritts- und Vernetzungsmöglichkeiten. Wie schwer sich etwas bewegen lässt, zeigt das "Jazzkombinat" des Bassisten Jerker Kluge. Vor einem Jahr hatte Kluge gegenüber seiner "Music Academy" in der Tumblingerstraße einen für Akustik-Sessions idealen Keller unter einem China-Restaurant entdeckt, der früher mal eine Disco beherbergt hatte. Doch nach der Startphase "ruht die Sache vorerst", sagt Kluge zu dem zwischen Hausbesitzer, Untervermieter, KVR und einem klagenden Anwohner zerriebenen Projekt. Dabei bräuchte München einen Ort für die heimischen Jazzer mindestens so dringend wie einen neuen Konzertsaal.

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Quelle:
SZ vom 17.04.2018/axi
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