Süddeutsche Zeitung

Kritik:Berauschend

Jamie Cullum kann Konzerthallen zum Dampfen bringen - das gelingt ihm auch in der Isarphilharmonie München.

Von   Ralf Dombrowski, München

Murnau, meinte Jamie Cullum, sei 2001 überhaupt das erste Mal gewesen, dass er außerhalb von Großbritannien gespielt habe. Schon deshalb verbinde ihn eine spezielle Erinnerung mit dem bayerischen Fleckchen Erde. Nun mit zweieinhalb Jahren Verspätung in die Region zurückzukehren, sei ihm daher ein besonderes Fest. Man glaubt es ihm, wie überhaupt alles, was er in der Isarphilharmonie sagt und spielt und präsentiert. Denn auch wenn der Sänger und Pianist aus Essex inzwischen zum Fortysomething geworden ist, hat er sich auf der Bühne die jungenhaft fröhliche Unmittelbarkeit erhalten, die ihn schon vor Jahren erst Clubs, dann Konzerthallen zum Dampfen hat bringen lassen.

Schauer der Rührung

Cullum bietet Perfektion, eine von der Spannungsgestaltung über die sorgsam portionierte Solistik bis zu den anspornenden Animationen bis ins Detail ausgetüftelte Show, und es gelingt ihm gleichzeitig, seine Erfahrung in keinem Moment wie Routine erscheinen zu lassen. Im Gegenteil: Wenn er sich ans Klavier setzt und allein, mit zugleich kraftvoller und brüchiger Stimme hinreißend sentimental das über Jahrzehnte abgeschliffene "What A Diff'rence A Day Makes" anstimmt, geht ein Schauer der Rührung durch den Saal. Und wenn er das Publikum singen und aufspringen lässt, selbst wie ein Hip-Hop-Youngster über die Bühne wirbelt und seine Musiker und Musikerinnen anfeuert, bebt der Raum vor Energie.

Im Laufe von zwei knappen Stunden packt Cullum dabei erstaunlich viel Unterschiedliches in das Programm, straighten Achtziger-Pop und Afrobeat-Anklänge, Gospel-Chorales und Power-Klarinetten-Swing im Carnegie-Hall-Modus mit Goodman-Krupa-Faktor, ein wenig Rap und Funk, vor allem aber viel zeitlos souljazziges und rockendes Entertainment mit der Geste der Selbstverständlichkeit, ein Publikum im Allgemeinen und seine Leute in der Isarphilharmonie im Besonderen unterhalten zu wollen. Und diese Nähe, dieser Austausch, diese Ehrlichkeit geben ihm die Überzeugungskraft, die Menschen ein Konzert lang mit Musik zu berauschen.

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