Jahreswirtschaftsbericht:Münchens Wirtschaft geht es bestens

Die Erkenntnisse des aktuellen Jahreswirtschaftsberichtes sind wenig überraschend. Doch die Stärke der Stadt ist auch ihre Schwäche.

Von Pia Ratzesberger

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Blick über München, 2017

Quelle: Johannes Simon

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Der Zweite Bürgermeister hat keine schweren Stunden vor sich, als er sich am Dienstagmorgen an den Tisch im sechsten Stock seines Wirtschaftsreferates setzt. Josef Schmid (CSU) wird vorstellen, wie es der Münchner Wirtschaft geht, dem Tourismus, dem Arbeitsmarkt. Und natürlich lautet die Antwort in München wieder einmal: allen geht es gut. Es gibt so wenige Arbeitslose wie in den vergangenen zwanzig Jahren nicht (40 500), die Kaufkraft ist irre hoch (32 139 Euro pro Einwohner) und die Wirtschaft in der Stadt wächst (das Münchner Bruttoinlandsprodukt lag zuletzt bei 104,2 Milliarden Euro, ein Zuwachs von mehr als vier Prozent). Alles gut also? Natürlich nicht.

Hochhäuser in München

Quelle: Alessandra Schellnegger

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Erfolg an einer Stelle bedeutet immer auch Misserfolg an einer anderen, und so steht die Stadt vor allem vor zwei Problemen: Weil die Wirtschaft so produktiv ist, brauchen die Unternehmen mehr Fachkräfte, die sie aber nicht kriegen - die Menschen in der Stadt, die keinen Job haben, bringen oft nicht die passende Ausbildung mit. Und die Menschen mit der passenden Ausbildung wollen oft nicht nach München kommen, weil das Leben so teuer ist, insbesondere das Wohnen. Die Stadt, sagt Schmid, tue bereits alles, um mehr Wohnungen zu bauen - "ich wundere mich, dass die Unternehmer nicht endlich selbst in Wohnraum für Mitarbeiter investieren".

Er frage sich, wann die Schmerzgrenze erreicht sei, denn die Marktpreise würden absehbar nicht sinken, man müsse nur einmal nach Großbritannien schauen. "In London kostet die Wohnung so viel wie in München. Aber in der Woche." Nicht nur gegen die fehlenden Wohnungen kämpft die Stadt, sondern auch gegen die fehlenden Flächen für Firmen. In Zukunft, sagt Schmid noch, werde man es sich nicht mehr leisten können, einen eingeschossigen Supermarkt zu bauen. München müsse weiter wachsen. In die Höhe.

Ordnung muss sein: Fluch und Segen der Clean Desk Policy

Quelle: dpa-tmn

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Ausbildung

615 Kauffrauen für Büromanagement haben im vergangenen Jahr ihre Ausbildung abgeschlossen: Kein anderer Ausbildungsberuf war unter Frauen so beliebt. Sieht man sich die Berufswahl genauer an, zeigt sich ein Unterschied, über den so viele Unternehmen klagen: Wenige Frauen entscheiden sich für einen Job in der IT. Während unter den Männern im vergangenen Jahr die meisten eine Ausbildung zum Fachinformatiker abgeschlossen haben (510 Auszubildende), findet sich der Beruf bei den Frauen nicht in der Liste der zehn beliebtesten Berufe. Dort steht stattdessen auf den vorderen Plätzen zum Beispiel die Zahnmedizinische Fachangestellte (549 Auszubildende), die Medizinische Fachangestellte (537 Auszubildende), weiter hinten auch die Industriekauffrau (177 Auszubildende), die Steuerfachangestellte, die Rechtsanwaltsfachangestellte und die Tiermedizinische Fachangestellte.

Bei den Männer dagegen sind der Kraftfahrzeugmechatroniker (408 Auszubildende), der Koch (201) und der Anlagenmechaniker (192) beliebt. Nur vier Berufe sind der Statistik zufolge bei beiden Geschlechtern begehrt: Kauffrau/Kaufmann im Einzelhandel, Verkäuferin/Verkäufer, Kauffrau/Kaufmann für Büromanagement sowie Hotelfachfrau/Hotelfachmann.

Autoproduktion im BMW Werk München, 2016

Quelle: Robert Haas

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Wirtschaftsleistung

23,5 Prozent der Wirtschaftsleistung werden im produzierenden Gewerbe erwirtschaftet. Obwohl heute viel weniger Menschen in diesen Berufen arbeiten als noch in den Achtzigerjahren, ist der Anteil an der Wirtschaftsleistung in den vergangenen acht Jahren wieder leicht gestiegen. Auch wenn in einer Großstadt wie München, in der vor allem Handel und Hotels das Stadtbild prägen, die Fabriken schnell vergessen werden, haben Unternehmen wie MAN, die Lkw und Busse fertigen, oder MTU, die Triebwerke für die Luftfahrt herstellen, große Bedeutung für die Münchner Wirtschaft.

Dass all diese Unternehmen heute weniger Menschen beschäftigen als noch vor drei Jahrzehnten, hat auch mit dem Fortschritt zu tun, der Digitalisierung. Immer mehr Arbeit wird von Maschinen übernommen, von Robotern - die Wertschöpfung ist aber nach wie vor groß und liegt heute bei 22, 1 Milliarden Euro. Die größte Leistung schaffen mittlerweile die Dienstleistungen, aus der Finanz- und Versicherungsbranche zum Beispiel, auch das Grundstücks- und Wohnungswesen: 30,1 Milliarden Euro kamen in der Stadt so zuletzt zusammen. Bei Handel, Verkehr, Gastgewerbe und den Kommunikationsfirmen betrug die Wertschöpfung 23,7 Milliarden Euro. In den Branchen Erziehung, Gesundheit und in den öffentlichen Dienstleistungen waren es 17,9 Milliarden Euro.

Bruttoinlandsprodukt (BIP)

Quelle: dpa

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Kaufkraft

32 139 Euro kann jeder Münchner pro Jahr ausgeben. In der Theorie zumindest. Denn so hoch ist im Durchschnitt die Kaufkraft in der Stadt. Damit sind alle verfügbaren Nettoeinkünfte gemeint, also das Geld, mit dem man Einkaufen geht, seine Miete bezahlt und sein Sparkonto füllt. In keiner anderen Stadt in Deutschland liegt die Kaufkraft so hoch wie in München, in Düsseldorf hat jeder im Schnitt 27 307 Euro zum Ausgeben, in Hamburg sind es 25 431 Euro und in Berlin 21 227 Euro. München liegt 40 Prozent über dem Bundesdurchschnitt, allerdings sind auch in keiner anderen Stadt die Mieten so hoch. Im Übrigen ist nur in einem Landkreis die Kaufkraft noch höher als in München: in Starnberg.

Pflegeserie - Allgemeine Features

Quelle: Photographie Peter Hinz-Rosin

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Neue Beschäftigte

27 3000 neue Beschäftigte sind im vergangenen Jahr in der Stadt dazugekommen. Das ist ein Rekord, das letzte Mal lag die Zahl vor 18 Jahren so hoch. Die mit großem Abstand meisten Jobs sind dabei in den Dienstleistungsberufen entstanden - nämlich 23 635 der 27 300 Stellen. Neue Mitarbeiter wurden vor allem in technischen Berufen gesucht, in der Wissenschaft, aber auch in Krankenhäusern und Kindertagesstätten. Im sogenannten verarbeitenden Gewerbe kamen 2530 neue Beschäftigte dazu, zum Beispiel im Fahrzeug- und Maschinenbau oder in der Metallindustrie. Während heute in München nur noch knapp 16 Prozent im produzierenden Gewerbe arbeiten, waren es in den Achtzigerjahren noch um die 35 Prozent.

In einer Branche wurden im vergangenen Jahr auffällig viele Jobs gestrichen: bei den Finanz- und Versicherungsdienstleistern. Dem Wirtschaftsreferat zufolge liegt das vor allem daran, dass viele Versicherungsunternehmen Stellen im Außendienst eingespart haben; auch Banken schließen immer mehr Filialen und sparen Jobs am Schalter ein. Die Zahl der Land- und Forstwirte in der Stadt ist ganz leicht zurückgegangen, von 578 auf 551 Menschen - sie stellen schon immer die kleinste Gruppe in der offiziellen Statistik der Münchner Wirtschaft. All diese Zahlen beziehen sich wohlgemerkt stets auf die sozialversicherungspflichtigen Jobs: Für die Statistik zählt also jeder, der kranken-, renten- und pflegeversicherungspflichtig ist. Wer Beamter ist oder selbständig, wird darin nicht erfasst.

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Quelle: Voxbrunner Carmen Mittelstetten

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Insolvenz

957 Mitarbeiter waren im vergangenen Jahr von einer Unternehmensinsolvenz betroffen. Das muss nicht heißen, dass die Menschen ihren Job verloren haben, es kann zum Beispiel auch sein, dass sie in eine sogenannte Transfergesellschaft wechseln und dort erst einmal weiterarbeiten konnten. 413 Firmen hatten in München Insolvenz angemeldet, eine davon war die Roeckl Handschuhe & Accessoires GmbH. Die Traditionsfirma in sechster Generation stellte ihren Antrag im vergangenen März - nahm ihn nur sechs Wochen später aber schon wieder zurück und konnte die Insolvenz abwenden. Ein weiteres Beispiel ist der Outdoor-Spezialist Lauche und Maas, der in diesem Frühjahr Insolvenz anmeldete. Auch seine Geschichte ging gut aus, für die Firma ist ein Käufer gefunden. Sieht man sich die Statistik der Insolvenzen aus den Jahren 2016 und 2017 im Vergleich an, mussten zuletzt deutlich weniger Unternehmen anmelden, dass sie nicht mehr zahlungsfähig sind. Die Zahl sank um etwa sechs Prozent.

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Quelle: Robert Haas

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Tourismus

7,8 Milliarden Euro Umsatz bringt der Tourismus in München ein. Für diese Summe zählt nicht nur das Geld für ein Bett im Hotel, sondern auch für ein Dinner im Restaurant, einen neuen Pullover aus der Kaufingerstraße und die Taxifahrt nach einer durchzechten Nacht. Die meisten Touristen kamen im vergangenen Jahr aus den USA, den arabischen Golfstaaten und Großbritannien nach München. Danach folgen Italien, Schweiz, Österreich. Während im Jahr 2016 deutlich weniger Touristen kamen als zuvor - auch aufgrund der Terroranschläge in verschiedenen europäischen Städten und des Amoklaufs am OEZ - stieg die Zahl der Übernachtungen im vergangenen Jahr wieder an. Betten gibt es ohnehin genug, 74 552 in der ganzen Stadt. Das waren noch einmal 5500 mehr Betten als im Jahr zuvor, denn 21 neue Gästehäuser sind eröffnet worden.

BMW-Welt in München, 2012

Quelle: Florian Peljak

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Unternehmen

92 400 Unternehmen gibt es in München. Auch wenn jeder zuerst an Dax-Konzerne wie die Allianz, BMW oder Linde denkt - 91 Prozent der Unternehmen sind kleine Firmen mit bis zu neun Mitarbeitern. Etwa sieben Prozent machen die Betriebe mit zehn bis 49 Angestellten aus und nur einen Bruchteil die großen Firmen mit mehr als 250 Angestellten - 0,5 Prozent, in absoluten Zahlen sind das 458 Unternehmen. Weil die Wirtschaft wächst und die Firmen neue Mitarbeiter suchen, machen sich weniger Menschen selbständig in der Stadt. Im vergangenen Jahr ging die Zahl der Gewerbeanmeldungen zurück, gleichzeitig wurden aber auch weniger Gewerbe abgemeldet als sonst, so dass es am Ende mehr Anmeldungen als Abmeldungen gab. Und knapp 3000 neue Firmen.

© SZ vom 27.06.2018/vewo
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