Süddeutsche Zeitung

Jahresbericht:Warum das Amtsgericht München viel zu tun hat

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Von Ekkehard Müller-Jentsch

Wie für viele andere Einrichtungen, so war auch für das Münchner Amtsgericht das Jahr 2015 ein ungewöhnliches. Ein Thema ragte heraus, das für besonders viel Beschäftigung sorgte: die Flüchtlinge, in diesem Fall vor allem unbegleitete Jugendliche. In seiner Jahrespressekonferenz berichtete Gerichtspräsident Reinhard Nemetz zudem von den skurrilen Gruppierungen der "Germaniten" und "Reichsbürger". Und er wies auf Auswirkungen des EU-Erbrechts hin. Die Themen im einzelnen:

3800 Minderjährige in Obhut

Etwa 3800 minderjährige Flüchtlinge mussten im vergangenen Jahr vom Münchner Amtsgericht in Obhut genommen werden. Die Zahl der Sorgerechtsverfahren ist im Vergleich zum Vorjahr damit um 40 Prozent gestiegen - seit November gehen die Zahlen allerdings wieder zurück. Die meisten minderjährigen Flüchtlinge kommen dabei nicht aus Syrien oder dem Irak. 30 Prozent, also 1124 der Jugendlichen und Kinder, stammen aus Afghanistan. Aus Syrien kamen 369.

Der inzwischen zu verzeichnende Rückgang dieser Vormundschafts- und Sorgerechtsverfahren hat vor allem einen sachlichen Grund: Aufgrund einer neuen Rechtslage stellen Jugendämter erst dann einen Antrag auf einen Vormund, wenn die Betroffenen wirklich bleiben. Zuvor mussten sich die Gerichte schon dann um sie kümmern, wenn die Jugendlichen angekommen waren. Außerdem, so sagte Nemetz, habe München sein Aufnahmesoll längst erfüllt und bekomme daher weniger junge Flüchtlinge zugewiesen.

Zugleich betonte der Präsident, dass sich die hohe Zahl von Flüchtlingen nicht auf die Zahl der Strafverfahren ausgewirkt habe - diese seien insgesamt um 3,4 Prozent rückläufig. Er sagte aber auch, dass Verfahren gegen Flüchtlinge oft sehr aufwendig seien. Viele Angeklagte hätten keine Ausweispapiere. So koste es oft schon viel Zeit und Geld, um herauszufinden, ob Täter tatsächlich noch unter 21 Jahre alt seien und damit vor den Jugendrichter gehören. Oft hätten die Täter viele Identitäten, könnten nicht selten untertauchen; zudem sei es nicht leicht, für seltene Sprachen und Dialekte Dolmetscher zu finden. Nicht zuletzt an Sprachbarrieren scheitere oft auch die Vollstreckung pädagogischer Maßnahmen wie etwa soziale Trainingskurse.

Drohungen durch "Germaniten"

Zu einem Dauerbrenner werden Rechtsverstöße von sogenannten Germaniten und Reichsbürgern: Das sind Personen, die die Existenz der Bundesrepublik Deutschland nicht anerkennen wollen. Oft kommt es aus ihren Kreisen zu massiven Drohungen gegen Justizbeamte. Zudem werden die Dienststellen mit langen abstrusen Schriftsätzen traktiert, die dennoch rechtsstaatlich bearbeitet werden müssen.

Und wenig lustig finden es zum Beispiel Gerichtsvollzieher, wenn Angehörige dieser Gruppierungen etwa die Daten der Dienstkonten ins Internet stellen - und darüber unberechtigte Abbuchungen abgewickelt werden. Alleine von solchen bösen Scherzen waren 37 Gerichtsvollzieher betroffen. 20 "Reichsbürger" und "Germaniten" wurden 2015 wegen versuchter Erpressung oder Beleidigung verurteilt. Rechtlich vorgehen will Nemetz auch gegen die Datenbank "Upik", die das Münchner Gericht nicht als Behörde, sondern nur als "Firma" aufführt - und damit Leugnern des deutschen Staats als Argumentationshilfe für ihre Thesen diene.

Drogentreffpunkt Hauptbahnhof

Auch wenn die Zahl der Betäubungsmitteldelikte in und um den Münchner Hauptbahnhof lediglich um zwei Prozent zugenommen hat, so sorgt sich Reinhard Nemetz angesichts von 2061 einschlägigen Gerichtsverfahren im vergangenen Jahr, dass dieser zentrale Bereich in der Stadt sich stetig zu einer Drogenszene entwickeln könnte.

Neuerungen im Erbrecht

Neuland kommt auf das Amtsgericht mit dem EU-Erbrecht zu. Bisher wurde in der Regel das Erbrecht je nach Staatsangehörigkeit bearbeitet. "Jetzt gilt das Recht des letzten gewöhnlichen Aufenthalts", sagt Nemetz. Wenn etwa ein Münchner in seiner Finca auf Mallorca gestorben ist, zählt vor spanischen Gerichten spanisches Erbrecht. Ebenso ist für alle EU-Ausländer, die zuletzt in Deutschland gelebt haben, das deutsche Nachlassgericht zuständig, auch wenn die Erben im Ausland leben.

"Wer als Deutscher möchte, dass in jedem Fall das deutsche Erbrecht für seinen Nachlass gilt, muss dies testamentarisch verfügen", sagt der Präsident. Beim Nachlassgericht München haben derzeit rund 53 000 Münchner ihren letzten Willen hinterlegt - diese Testamente sind auch beim Zentralregister der Bundesnotarkammer gemeldet. So kann in jedem Fall geprüft werden, ob jemand sein Testament hinterlegt hat. Diese besondere amtliche Verwahrung kostet lediglich insgesamt 93 Euro. Die Kosten für notarielle Testamente richten sich gewöhnlich nach dem Nachlasswert.

Beim Münchner Amtsgericht kommen in Durchschnitt alljährlich mehr als 1000 Testamente dazu. Wer seinen letzten Willen hier hinterlegt, wird zwar nicht wie beim Notar rechtlich beraten. Dennoch darf er damit rechnen, dass wenigstens ein Blick darauf geworfen wird, ob die Formalien eingehalten sind. "Wir wollen schließlich keine Nachlässe horten, die sich später als rechtlich unwirksam herausstellen", meint Nemetz.

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Quelle:
SZ vom 15.04.2016
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