100 Jahre Freistaat Bayern:"Majestät, genga S' heim, Revolution is"

100 Jahre Freistaat Bayern: Friedenskundgebung auf der Theresienwiese: Die versammelten Menschen fordern den Rücktritt des Kaisers, den sofortigen Waffenstillstand und eine Demokratisierung der Verfassung.

Friedenskundgebung auf der Theresienwiese: Die versammelten Menschen fordern den Rücktritt des Kaisers, den sofortigen Waffenstillstand und eine Demokratisierung der Verfassung.

(Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo)

Auf der Theresienwiese beginnt am 7. November 1918 die Revolution, die zur Gründung des Freistaats Bayern führt. Ein Überblick über die Münchner Schauplätze.

Von Wolfgang Görl

Theresienwiese

Vier Tage nach dem Kieler Matrosenaufstand, am Nachmittag des 7. Novembers 1918, versammeln sich gegen 15 Uhr Zehntausende Münchner - die Angaben schwanken zwischen 40 000 und 100 000 - zu einer Friedenskundgebung auf der Theresienwiese, zu der die SPD und die Unabhängigen Sozialdemokraten (USDP) aufgerufen haben. Der SPD-Spitzenmann Erhard Auer fordert in seiner Rede vor seinen Anhängern unterhalb der Bavaria zwar die sofortige Beendigung des Krieges und den Thronverzicht des Kaisers, zu Streik oder Revolution ruft er jedoch nicht auf, er setzt auf Reformen.

Ganz anders der Münchner USPD-Chef Kurt Eisner, der ebenfalls seine Gefolgsleute, darunter viele Arbeiter aus den Münchner Rüstungsbetrieben und kriegsmüde Soldaten, um sich geschart hat: Er geht weitaus härter mit den Herrschenden ins Gericht, und am Ende seiner Ansprache ruft der junge USPD-Aktivist und Eisner-Vertraute Felix Fechenbach: "Es hat keinen Zweck mehr, viele Worte zu verlieren. Wer für die Revolution ist, uns nach!" Während die meisten Anhänger Auers mit Musik zum Friedensengel marschieren, folgt der kleinere Teil der Menge dem "blaß" und "toternst" (so der Schriftsteller Oskar Maria Graf) voranschreitenden Eisner. Die Demonstranten, angeführt von Eisner, dem blinden Bauernführer Ludwig Gandorfer und Fechenbach, ziehen Richtung Westend.

Guldeinschule

In der Schule an der Guldeinstraße ist eine Landsturm-Kompanie stationiert. Ohne Gegenwehr laufen die Soldaten auf die Seite der Revolutionäre über und schließen sich dem Demonstrationszug an. Dieser teilt sich in kleinere Trupps, die zu anderen Münchner Kasernen marschieren. Auch an der Marsfeldkaserne, der Türken- und der Max-II-Kaserne treffen die Revolutionäre kaum auf ernsthaften Widerstand. Zeitzeuge Graf schreibt: "Die meisten Kasernen übergaben sich kampflos. Es kam auch schon ein wenig System in dieses Erobern: Eine Abordnung stürmte hinein, die Masse wartete. In wenigen Minuten hing bei irgend einem Fenster eine rote Fahne heraus, und ein mächtiger Jubel erscholl, wenn die Abordnung zurück kam." Bis zum Abend ist die ganze Münchner Garnison übergelaufen.

Mathäserbräu

Ein großer Trupp der Demonstranten begibt sich in Münchens größten Bierkeller, den Mathäser in der Bayerstraße. Gegen Abend trifft auch Kurt Eisner ein. Ein Arbeiterrat wird gewählt, dessen Vorsitzender der USPD-Führer ist, auch ein Soldatenrat konstituiert sich. Bis zum späten Abend besetzen die Revolutionäre die wichtigsten öffentlichen Gebäude wie den Hauptbahnhof und das Telegrafenamt.

Landtag

Gegen 22 Uhr marschieren die Aufständischen zum Landtagsgebäude in der Prannerstraße. Dort hält der Arbeiter-, Bauern- und Soldatenrat im Saal der Abgeordnetenkammer unter der Leitung Kurt Eisners seine erste Sitzung ab. Eisner hält eine Rede. Der gesamte Wortlaut ist nicht überliefert, nur einige, allerdings entscheidende Passagen daraus: "Die bayerische Revolution hat gesiegt. Sie hat den alten Plunder der Wittelsbacher-Könige hinweggefegt." Und weiter sagte Eisner: "Der, der in diesem Augenblick zu Ihnen spricht, setzt Ihr Einverständnis voraus, dass er als provisorischer Ministerpräsident fungiert."

"Hoch die Republik"

Residenz

Im bayerischen Königshaus scheint am Vormittag des 7. November noch alles in bester Ordnung zu sein. Die Töchter König Ludwigs III. besuchen die Heilige Messe, der Monarch selbst hält Audienz. Am Nachmittag ergötzt sich Ludwig im Englischen Garten, wo er - so jedenfalls ist es auf einer später angefertigten Zeitungskarikatur zu sehen - von zwei Passanten angesprochen wird: "Majestät, genga S' heim, Revolution is." In einer anderen Lesart ist es ein radelnder Polizist, der Ludwig warnt. Egal, wer es war und ob die Geschichte stimmt oder nicht - eines lässt sich nicht leugnen: So richtig im Bilde ist der König nicht über die Stimmung im Lande.

Das ändert sich, als er am Abend mit dem Vorsitzenden des Ministerrats Otto von Dandl und Innenminister Friedrich von Brettreich spricht. Die königlichen Minister raten ihm dringend, München vorerst zu verlassen, zumal sich auch die Residenzwache der Revolution angeschlossen hat. Der Aufenthalt in sicheren Gefilden außerhalb der Stadt, so versicherten Dandl und Brettreich, werde nur vorübergehend sein, so lange, bis sich die Lage beruhigt habe oder loyale Truppen einträfen. Dummerweise hat auch der königliche Chauffeur bereits die Fronten gewechselt und auch die offiziellen Automobile sind fahruntüchtig, weshalb der Monarch mit einem Mietauto vorliebnehmen muss, das dann auch noch eine Panne hat.

Zwei Soldaten, die ahnungslos auf dem Lande weilen, müssen die Limousine aus dem Morast ziehen. Der König und seine Familie suchen zunächst auf Schloss Wildenwart im Chiemgau Zuflucht, später dann in Österreich auf Schloss Anif bei Salzburg. Am 13. November entbindet er dort die bayerischen Beamten und Soldaten von ihrem Treueeid.

Sendlinger Straße

In der Nacht zum 8. November besetzen Revolutionäre die Druckerei der Münchner Neuesten Nachrichten. Die Zeitung mit Sitz in der Sendlinger Straße ist die einzige, die am nächsten Morgen in der Stadt erscheinen darf. Auf der Titelseite ist die Proklamation des Freistaates Bayern abgedruckt: "An die Bevölkerung Münchens! Das furchtbare Schicksal, das über das deutsche Volk hereingebrochen, hat zu einer elementaren Bewegung der Arbeiter und Soldaten geführt. Ein provisorischer Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrat hat sich in der Nacht zum 8. November im Landtag konstituiert. Bayern ist fortan ein Freistaat."

Angekündigt wird ferner eine konstituierende Nationalversammlung, für die auch Frauen das Wahlrecht haben, außerdem verspricht Kurt Eisner den Menschen: "In dieser Zeit des sinnlos wilden Mordens verabscheuen wir alles Blutvergießen. Jedes Menschenleben soll heilig sein." Und auf überall in der Stadt verbreiteten Plakaten steht zu lesen: "Die Dynastie Wittelsbach ist abgesetzt. Hoch die Republik!"

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Blutiges Ende

Nach dem Sturz der Monarchie in der Nacht auf den 8. November beruft Kurt Eisner den "Provisorischen Nationalrat" ein, und er stellt eine provisorische Regierung zusammen, der auch SPD-Chef Erhard Auer, eigentlich sein politischer Kontrahent, angehört. Als Ministerpräsident bleibt Eisner seinen ethischen Prinzipien treu, die der Moralphilosophie Immanuel Kants folgen. Er wird von der radikalen Linken ebenso angegriffen wie von der bürgerlichen oder monarchistischen Rechten. Dennoch kann Eisner Teile seines Programms durchsetzen: Achtstundentag, Frauenwahlrecht oder die Aufhebung der geistlichen Schulaufsicht. Zudem strebt er eine Politik der die Völkerversöhnung an.

Um jedoch eine solidarische, friedliche Gesellschaft zu schaffen, fehlt ihm die Zeit: Die Landtagswahl am 12. Januar 1919 wird ein Debakel für Eisner. Seine USPD erringt nur drei von 180 Sitzen. Auf dem Weg zur konstituierenden Sitzung des neuen Landtags, vor dem Eisner am 21. Februar 1919 seinen Rücktritt erklären will, wird er von dem völkisch-nationalistischen Offizier Anton Graf Arco auf Valley ermordet. Die Folge ist eine Radikalisierung der politischen Kräfte auf beiden Seiten. Am 7. April beschließt der Münchner Zentralrat die Ausrufung der "Räterepublik Baiern", woraufhin der mittlerweile zum Ministerpräsidenten gewählte SPD-Mann Johannes Hoffmann mit seiner Regierung zunächst nach Nürnberg und schließlich nach Bamberg zieht.

Am 13. April kommt es zu einem Umsturzversuch konterrevolutionärer "Republikanischer Schutztruppen", der in einem Scharmützel am Hauptbahnhof niedergeschlagen wird. Danach proklamieren die Kommunisten, angeführt von Eugen Leviné und Max Levien, eine Räterepublik nach sowjetischem Vorbild. Reichswehrminister Gustav Noske (SPD) will ebenso wie Ministerpräsident Hoffmann den Münchner Revolutionären mit Waffengewalt den Garaus machen. Reichswehr und Freikorps marschieren am 1. Mai in München ein, wo die siegreichen Weißen Truppen ein Massaker veranstalten, dem nach jüngsten Schätzungen etwa 1200 Menschen zum Opfer fallen. wolfgang görl

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