Jagdsaison:Frühmorgens, wenn Menschen und Tiere noch tapsig sind

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Die Jäger sind nicht unbedingt glücklich darüber, dass sie nun den Schutz von Jungbäumchen übernehmen sollen. (Foto: Stephan Rumpf)

Die Schonzeit für Rehböcke ist vorbei, es darf wieder geschossen werden. Doch für Hubertus Reygers geht es bei der Jagd um weit mehr. Ein Besuch auf dem Hochsitz.

Von Jakob Wetzel

Um sechs Uhr morgens ist Hubertus Reygers plötzlich hellwach. Es dämmert. Mit jeder Minute, die vergeht, kann er den Waldrand und die Wiesen nun deutlicher erkennen, die Bäume, das Gras, die Hecken und auch, dort, auf der Wiese im Westen, die Rehe. Mit dem Feldstecher zählt Reygers erst vier, dann fünf, dann sechs Tiere, und sie kommen direkt auf ihn zu. 200 Meter trennen sie noch von dem Hochsitz, auf dem Reygers seit einer Stunde hockt und wartet. Gerade will der Jäger zur Waffe greifen, seine Repetierbüchse mit Zielfernrohr, Kaliber .30-06, lehnt in der Ecke. Da fällt von links bereits ein Schuss.

Die Schonzeit ist vorbei. Von Mai an dürfen in Bayern Rehböcke geschossen werden, und deshalb sei es unter Jägern Tradition, gleich zum 1. Mai früh aufzustehen, so hat es Hubertus Reygers erklärt. Noch vor Sonnenaufgang ist der Münchner Galerist in die Dunkelheit um Röhrmoos im Landkreis Dachau gefahren. Dort sind sie alle in ihre Hochsitze gestiegen: Reygers und sein Sohn Victor sowie zwei Jäger, die das Revier mitgepachtet haben. Seitdem haben sie still ausgeharrt und gewartet: darauf, dass die Sonne aufgeht, dass die vom kniehohen, feuchten Gras nassen Hosen trocknen. Und darauf, dass sich etwas rührt, da unten am Waldrand. Am besten ein Bock.

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20 Rehe müssen Reygers und seine Mitjäger in jedem Jahr erlegen, das entspreche etwa 30 Prozent des Bestandes im Revier, erklärt er. Auf den 440 Hektar Wald und Wiesen leben also knapp 70 Rehe, außerdem Hasen und Füchse, Wildschweine und Dachse. Freie Auswahl haben die Jäger freilich nicht, die Regeln sind streng. Sie dürfen nicht zu viel schießen: Geschossen werden nur Tiere, von denen es viele gibt, die gejagt werden dürfen und die gerade keine Schonzeit genießen.

Sie dürfen umgekehrt aber auch nicht zu wenig schießen. Wenn sie ihre Quote nicht erfüllen, bekommen die Jäger Ärger mit den Naturschutzbehörden und mit den Reviereigentümern, in diesem Fall mit den Bauern der Jagdgenossenschaft. Dann müssen sie für Schäden geradestehen, die das Wild angerichtet hat, etwa für von Rehen verbissene Bäume oder für von Wildschweinen verwüstete Äcker.

An diesem Tag möchten sie Rehe schießen, aber nicht einfach irgendwelche. "Böcke, Spießer bis Lauscher", hat Reygers gesagt, das heißt: männliche Rehe, deren Geweih kleiner ist als die Ohren, die also relativ klein sind und schwach. Die stärkeren Böcke sollen sich im Sommer noch einmal fortpflanzen. Die anderen sollen weg.

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Die Bedingungen sind gut. Es ist kühl, am Vorabend hat es geregnet, das Gras ist saftig und frisch. Der Wind weht günstig von Süden und Westen her, kein Tier kann die Jäger wittern. Er habe zuletzt Dutzende Rehe im Revier gesehen, hat Sohn Victor Reygers auf der Hinfahrt erzählt. Und frühmorgens sei eine gute Jagdzeit: Da seien Rehe ähnlich tapsig wie Menschen, die eben erst aufgestanden sind.

Doch jetzt hocken die Jäger in ihren Hochsitzen, und sie sehen keine Rehe, können sie lange Zeit nur hören. Es bellt im Wald, es klingt wie Hundegebell, Rehe warnen sich so vor Gefahren. Bald sind auch Schüsse zu hören, es knallt zweimal, doch die Schüsse fallen im Revier nebenan. Am Waldrand rührt sich nichts.

Hubertus Reygers nimmt es mit Geduld. Er hockt da, tippt ein paar Nachrichten an die anderen Jäger in sein Mobiltelefon, aber die sehen auch keinen Bock. Auf einem Ast nebenan lässt sich eine Amsel nieder und zwitschert, ein zweiter Vogel stolpert über das Dach des Hochsitzes, Reygers hört es rumpeln und lächelt.

Der 61-Jährige hat sich auf den Morgen gefreut, so wie immer, wenn er in den Hochsitz kann. Ein-, zweimal die Woche komme er hierher, sagt er. Seit vier Jahren kümmert er sich um dieses Revier, aber jagen geht er im Grunde schon sein Leben lang. Für ihn sei das Jagen ein Ausgleich, in der Stille entkomme er dem Stress im Beruf, sagt er. Reygers führt eine Galerie in der Isarvorstadt, und er müsse abends viele Termine wahrnehmen, sagt er, neue Leute treffen, das Netzwerk weiterknüpfen. Am Waldrand bei Röhrmoos ist er bei sich. "Das erdet einen", sagt er. "Schießen ist das Wenigste."

Es ist tatsächlich weit mehr zu tun, als anlegen und abdrücken. Manchmal repariert Reygers einen der Hochsitze, von denen es im Revier etwa ein Dutzend gibt. Oder er legt einen Wildacker an, so wie vergangene Woche; das ist ein Feld, von dem zum Beispiel Rehe fressen sollen. Umgekehrt sollen diese dann weniger Knospen von den Bäumen knabbern. Für die Behörden fällt das unter "Wildtier-Management". Reygers sagt dazu: "das Gleichgewicht bewahren". Kein Jäger schieße freiwillig sein Revier leer, "aber es macht auch keinen Sinn, einen Zoo hochzuziehen". Zuletzt haben sie Fasane ausgesetzt, "mal sehen, ob sie durchkommen". Es hängt auch davon ab, ob sie genügend Füchse schießen.

Schießen mag das Wenigste sein, aber jetzt hätte Reygers doch gerne einen Bock erwischt. Er wartet im Hochsitz und friert, legt sich eine Jacke über den Schoß. "Am ersten Mai knallt es eigentlich immer", sagt er. "Dass es so ruhig ist, das habe ich selten erlebt." Doch die vier Jäger haben kein Glück. Als sich endlich Rehe zeigen und näher kommen, als Hubertus Reygers gerade zur Büchse greifen will, da geht es schief. Der Jäger im Hochsitz nebenan schießt, der Schuss verschreckt die Rehe, sie springen davon.

Ob er eines getroffen hat, ist unklar, liegen bleibt keines, aber manchmal laufen tödlich getroffene Tiere noch voller Adrenalin davon, bevor sie zusammenbrechen. Er habe aber keinen Aufprall gehört, sagt Reygers, "das hat sich nicht gut angehört". Später werden sie das Stück Wiese, auf dem das Tier zuletzt stand, ansehen und mit einem Hund nach einer Schweißspur suchen, "Schweiß", das ist Jägersprache für Blut. Doch sie werden keines finden.

Als die Sonne am Himmel steht, ziehen die vier Jäger weiter. In den umliegenden Revieren ist einige Male geschossen worden, doch bei ihnen hat sich kein Rehbock mehr blicken lassen, nur ein Hase ist vorbeigehoppelt, aber auf Hasen schießt man nicht mit dem Repetiergewehr, sondern mit einer Schrotflinte, und außerdem gebe es im Revier ohnehin kaum Hasen, sagt Reygers.

Die vier Jäger sind verfroren, es ist ein langer, kühler Morgen gewesen. Sie werden nun gemeinsam Weißwürste frühstücken gehen, der Chef der Jagdgenossenschaft hat sie eingeladen. Und Hubertus Reygers wird später noch einmal ins Revier zurückkehren, er ist noch nicht fertig mit der Jagd. Zweimal noch wird er am Abend Rehe beobachten, einen Bock und zwei Weibchen, ein einjähriges Tier mit seiner Mutter; junge Weibchen dürfen ab Mai ebenfalls gejagt werden. Doch der Bock wird Reygers zu jung sein, die anderen in dem Moment einfach zu schön anzusehen. Schießen wird er nicht.

© SZ vom 05.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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