Jagd auf Graffiti-Sprayer in München:Illegalen Zeichen auf der Spur

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Mehr als 3000 Anzeigen wegen illegaler Graffiti gibt es in München pro Jahr. Die Polizei hat viel zu tun. Doch nicht jeder Sprayer, der erwischst wird, wird bestraft - denn Sozialarbeiter haben einen Deal mit den Beamten ausgehandelt.

Florian Fuchs

Es gibt anmutigere Gebäude als Trafohäuser, aber das an der Wolfratshauser Straße ist wirklich hässlich. Kein Wunder, schließlich ist es Schauplatz eines "Krieges". Zumindest sprechen sie bei der Polizei von einem Krieg, selbst die Sozialarbeiter vom Projekt Graffiti München drücken sich martialisch aus. Und auch Cosimo, der seinen echten Namen nicht nennen will, bestätigt: "Ja, es ist ein Krieg."

An der Tumblingerstraße in München dürfen sich Sprüher teilweise legal austoben - meist sind Graffiti in München aber illegal. (Foto: Robert Haas)

Cosimo hat dabei verloren, und es ist unwahrscheinlich, dass er noch einmal einsteigen wird in den Kampf, denn das, was er jetzt machen muss, das wird ihm eine Lehre sein. Das Trafohaus an der Wolfratshauser Straße ist mit silberner Farbe beschmiert, darüber erkennt man blaue und rote Schriftzüge, "1860" steht da und "FCB".

Es sind die Zeichen dieses Graffitikrieges, den sich Anhänger der Löwen und der Bayern nicht nur hier, sondern an vielen Wänden in München liefern. Die einen schmieren ihr Zeichen an den Beton - die anderen kontern. Nur auf ein Kürzel können sich beide Fanlager einigen, meist steht es neben den Vereinsnamen: "acab", die Abkürzung für "all cops are bastards" - eine üble Beschimpfung von Polizisten. Sprayer Cosimo muss die Schrift an der Wolfratshauser Straße nun selbst wieder übermalen. Ihn haben sie dort im Sommer beim Sprühen erwischt.

Es sind natürlich nicht nur die Fußball-Anhänger, die in München Wände, Brücken oder Bahnen beschmieren. Da gibt es noch viele andere, die sich auch andere Motive einfallen lassen als die immer gleichen Vereinsnamen. Die jüngste Statistik für Festnahmen stammt aus dem Jahr 2009, da hat die "Kogram", die Koordinierungsstelle Graffiti München der Polizei, 266 Personen erwischt - bei mehr als 3000 Anzeigen.

Das sind noch lange keine Berliner Verhältnisse, trotzdem haben die Polizisten gut zu tun, und deshalb sind sie froh über die Hilfe der Sozialarbeiter vom Projekt Graffiti München, kurz "Program". Denn die kümmern sich um die Ersttäter unter den Graffitisprayern und haben dafür einen Deal ausgehandelt: Wer das erste Mal beim Sprühen erwischt wird, kommt straffrei davon, wenn er seine Schmierereien selbst wieder entfernt.

Cosimo haben sie bereits im Juli erwischt. Es war ein Uhr nachts, als er diesen verhassten roten FCB-Schriftzug auf dem Trafohaus verschwinden lassen wollte. 20 Minuten hat die Aktion gedauert, dann prangte dort in blau das Gründungsjahr des TSV: "1860". Kurz darauf schnappte eine Zivilstreife den Sprayer, die Sprühdose lag noch im Rucksack.

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Während er die Geschichte seines Aufgriffs erzählt, trägt Cosimo einen blauen Ganzkörperschutzanzug, damit er seine Kleidung nicht bekleckert, und streicht mit einem Pinsel die Tür des Trafohauses in dunkelbrauner Farbe. Es ist die Strafarbeit, die er aufgebrummt bekommen hat. Dafür kriegt er weder ein Strafverfahren noch eine Geldstrafe.

Auch das Kafe Kult in München wird immer wieder neu bespüht - legal. (Foto: Robert Haas)

"Das ist pädagogisch auf jeden Fall sinnvoller als der normale Rechtsweg", sagt Sabine Schneider. Die Sozialarbeiterin betreut die Jugendlichen in dem Programm, 60 Fälle hat die Initiative 2011 abgeschlossen, 40 laufen noch. Ihre Klienten sind zwischen 14 und 21 Jahre alt, laut Statistik werden nur zwei Prozent von ihnen rückfällig und sprühen wieder. "Die merken sich das", sagt Schneider, die alle Putzaktionen überwacht. "Ein Graffiti wegzumachen, kann eine Schweinearbeit sein."

Cosimo merkt das schon bei der Tür des Trafohauses: Er benötigt eine Stunde, um sie mit brauner Farbe zu bepinseln. Im Frühjahr, wenn es wieder wärmer ist und die Farbe besser hält, wird er die Wände streichen müssen. Seine Liebe zum TSV, das beteuert er schon jetzt, wird er dann anders ausleben. Mit Farbe Wände zu besprühen, das Risiko will er nicht mehr eingehen. 20 Minuten hatte die Aktion im Juli gedauert, allein eine Stunde musste er nun die Tür streichen. "Und die Wände, das wird auch noch einmal ewig dauern, das tue ich mir nicht mehr an", sagt er.

Werner Schellmoser hört solche Sätze gerne. Der Kriminalhauptkommissar arbeitet bei der Koordinierungsstelle Graffiti München. Gerade haben Polizei und die für die Bahnanlagen zuständige Bundespolizei ihre Kooperation im Kampf gegen Sprüher verlängert.

Es gibt nur wenige Orte in München, wie an der Tumblingerstraße im Schlachthofviertel, an denen man legal sprühen darf. Aber es gibt Hunderte Orte in München, an denen illegale Sprayer aktiv sind - und nur sechs Beamte, die den Fällen nachgehen. "Der Schaden geht in die Millionen", sagt Schellmoser.

Der Polizist schätzt, dass es etwa 200 "Hardcoresprüher" in München gibt, also zumeist junge Leute, für die es ein Kick ist, nachts illegal Graffiti zu produzieren. Damit diese Klientel nicht all zu stark wächst, ist Schellmoser heilfroh über "Program", das sich über die Stadt München und über Spenden finanziert. "Das hilft uns ungemein, weil es die Jugendlichen pädagogisch vom Sprühen wegbringt."

Und manchmal bringt das Projekt jugendliche Graffitisprayer nicht nur vom illegalen Sprühen ab. Manchmal, wie bei Flow, helfen die Sozialarbeiter auch beim Start hoffnungsvoller Karrieren. Flow, so der Künstlername des 17-Jährigen, ist mit 15 Jahren beim Sprühen erwischt worden. In tagelanger Arbeit hat er dann ein halbes Dutzend Wände wieder sauber machen müssen. Heute verdient er sogar Geld mit seinen Graffiti.

Sozialarbeiterin Schneider hat ihm einen legalen Auftrag verschafft, er durfte die Wände eines Parkhauses verzieren. "Das sieht echt gut aus", sagt Schneider. "Ich sprühe jetzt nur noch legal", beteuert Flow.

© SZ vom 21.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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