Süddeutsche Zeitung

Restaurant Iveria:Beinahe im Schlaraffenland

Lesezeit: 3 min

Die georgische Küche lebt vom schwebenden Zusammenspiel aus Kraft und Eleganz. Das gelingt im Restaurant Iveria mal besser und mal schlechter.

Von Carolus Hecht

Als der alttestamentarische Esau seine Erstgeburt für ein Linsenmus dahingab, muss es ihm geschmeckt haben wie uns die Chartscho, die Rindfleischsuppe mit Reis, Tomaten und vielen Kräutern. Mit ihr ließ sich auf Anhieb erfahren, was die georgische Küche so legendär macht: ihre Kunst, Kraft und Eleganz in den selben Geschmacksreigen zu kleiden, hinter massiven Gewürzkaskaden die Feinheiten nicht zu verkleistern. Georgiens Küche ist ein wenig wie sein ungemein dekoratives Alphabet, schwungvoll, mit fülligen Rundungen und doch filigran. Koriander, Knoblauch, Bockshornklee, Granatapfel, Walnüsse, das sind - sehr grob - die Eckpfeiler des Würzens, wobei natürlich auch noch regionale Eigenheiten kommen, namentlich ob und wie scharf ein Gericht sein darf.

Um es vorweg zu nehmen: Das kulinarische Paradies schließt sich dem des Georgischen Unkundigen im Iveria nicht wirklich auf. Iveria - welch Anspruch, ist das doch immerhin der antike Name Georgiens, so alt vielleicht wie die Sage von Medea, Jason und den Argonauten, die das goldene Vlies aus Kolchis raubten, das mit Sicherheit in Georgiens griechischsprachigem Küstenstreifen am Schwarzen Meer lag. Dies schwebende Zusammenspiel aus Kraft und Eleganz bringt die Küche des Iveria nicht zustande, verlegt sich eher aufs Derbe, dies allerdings nicht ganz undelikat.

Bei den Vorspeisen zunächst aber das Gegenteil. So betörte uns wahrhaft die Mchali (6 Euro), eine Art Mousse, aus der Roten Beete (die im Kaukasus nie aus der Mode war), wogegen die Mchali aus Spinat und die aus Lauch sowie die gebratenen Auberginen (6,30) uns zu zurückhaltend erschienen. Kräftig marinierte Salate (zwischen 3,90 und 8,50) entbehrten weithin des würzenden Witzes, auch wenn Sauerspezialisten die eingelegten Gurken und Tomaten, die immer mal als Beilage auftauchten, allemal als Fest empfanden.

Wie bei fast allen Völkern des europäischen Ostens darf in Georgien der Gast nie den Verdacht hegen, Gastgeber oder Wirt seien knauserig. Im Iveria herrschte Üppigkeit in allen Phasen. Und wenn das alles doch sehr kräftig klingt, weiß man auch mit dem eher zarten Fisch differenziert umzugehen, wie etwa dem saftigen Zanderfilet (16,90), der wird sonst gern trocken. Sonst Gemüse reichlich und Fleisch überreichlich, allzumal beim Schaschlik, eine Art Nationalgericht, das nicht mit dem sperrigen Spieß auf dem Teller erscheint.

Wir haben den vom Lamm (17,50) probiert, den wir mit Thymian und dem ganzen Kräuterreigen genossen. Der Schweineschaschlik (13,90) enttäuschte gewaltig. Er war eigentlich nur salzig, hatte nichts von differenzierter Würze. Schaschlik wird immer zuvor eingelegt, und da scheint man es im Iveria mehr mit der derben Beize als mit der feinen Marinade zu halten. Ähnliches geschah dem Lamm in Form der eher langweiligen Koteletts (18,90).

Die Teigtaschen sind ein besonderer Leckerbissen

Der Mensch ist doch eine allüberall gleichgewirkte Spezies, das erweist sich in der Vorliebe für Teigtaschen. Für Georgier ist das ein ganz besonderer Leckerbissen. Die Lamm-Chinkali (9,50), mit Lamm- und Rinderhack gefüllt, entfalteten eine Duftexplosion, war man erst durch die (vorschriftsmäßig) bleiche Teigpanzerung vorgestoßen. Desgleichen die mit Rinder-Schweine-Hack (9,00). Oft als eine Art Zwischengericht gereicht, empfiehlt sie das Iveria zu Recht, weil sehr sättigend, als Hauptgericht in großer und kleiner Portionierung, wie man vieles andere auch groß oder klein haben kann.

Bei den Topfgerichten hatten wir wieder geteiltes Glück. Shqmeruli, das halbe Hühnchen in Knoblauchsahnesauce, nicht im Ganzen, sondern zerhackt, was die Sache mühsam, aber eigentlich umso schmackhafter macht, überfiel uns mit derartiger Penetranz, das selbst dem Rezensenten, einem ausgemachten Knoblauchliebhaber, der Spaß verging. Das Tschakapuli, Lamm mit estragonbetonten Kräutern und Mirabellen in Weißwein (16,50), beschwor bei uns hingegen neuerlich die betörenden Erinnerungen an den biblischen Esau.

Redliche kuchendefinierte Nachspeisen hinterließen wenig Eindruck, mit Ausnahme der delikaten eingelegten schwarzen Walnuss mit dem weißen Weinbrand dazu. Angepasst an deutsche Gepflogenheiten geht man mit dem Fladenbrot stiefmütterlich um, serviert es auf Nachfrage nur kalt und alt, das in seiner Heimat frisch und heiß das Zentrum der Tafel wäre. Der Wein ist zu empfehlen, aber leider nicht repräsentativ für die Fähigkeiten dieses uralten Weinlandes. Immerhin, der Weiße, der früher oxidativ auf russischen Geschmack getrimmt war, frommt uns Westlern würzig und klar und knackig. Der samten schmeichelnde Rote verrät aber nicht wirklich, was die Weingärten am Südhang des Kaukasus so zu vollbringen vermöchten.

Die Portionen im Iveria sind für den Preis allesamt ordentlich, der Wein und das vorzügliche Maierbräu aus Altomünster im üblichen Münchner Rahmen. Das vom Interieur her recht gewöhnliche Etablissement ist bei jüngeren Menschen beliebt wie nichts. Hier brummt's nur so, es gälte also immer vorzubestellen. Um Vorahnungen des Füllhorns Georgien zu schnuppern, mag das Iveria hinreichen, das Sesam-öffne-dich für die wahre Delikatesse dieses Wunderlandes ist es leider nicht. Äußerst gewitzte Ober allerdings wissen das Fremdeln des georgienungewohnten Gastes witzig und originell zu zerstreuen und lassen auch sonst nie äußerste Aufmerksamkeit missen - gewiss ein Grund für den immensen Erfolg dieser Botschaft eines so exotischen und doch noch europäischen Landstrichs.

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Quelle:
SZ vom 10.01.2019
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