Italiener in München:Mehr als 13 Stunden Arbeit am Tag - für 3,80 Euro die Stunde

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Viele Italiener finden nur schlechtbezahlte Schwarzarbeit in der Gastronomie, als Pizzabäcker etwa oder in der Eisdiele. (Foto: Catherina Hess)
  • In München leben mehrere Tausend Italiener, die nirgends registriert sind.
  • Viele kommen wegen der hohen Arbeitslosigkeit in Italien nach Deutschland und suchen hier einen Job, werden aber enttäuscht.
  • Wegen mangelnder Sprachkenntnisse werden einige leicht Opfer von Schwarzarbeit und katastrophalen Arbeitsbedingungen.

Von Thomas Anlauf, München

Es ist eine Parallelgesellschaft, eine heimliche Stadt in der Stadt: Tausende Menschen leben und arbeiten in München, ohne dass sie offiziell hier sind. Wie viele es sind, weiß keiner genau, es gibt nur Schätzungen. Beim Kreisverwaltungsreferat sind beispielsweise knapp 13 000 Bulgaren gemeldet, Dimitrina Lang, Vorsitzende des Migrationsbeirats und selbst aus Bulgarien, schätzt hingegen, dass es in Wirklichkeit 3000 oder 4000 Menschen mehr sind.

Doch nicht nur Menschen aus Osteuropa zählen in München zu jenen, die offiziell gar nicht hier und die oft als illegal Beschäftigte tätig sind. Am Donnerstag schlug das italienische Generalkonsulat Alarm: Neben den knapp 29 000 in München gemeldeten Italienern lebten mehrere Tausend hier, die nirgends registriert sind.

"In Italien ist der Mythos des deutschen Wirtschaftswunders aus den Sechzigerjahren wieder aufgelebt", sagt der italienische Vizekonsul Enrico Alfonso Ricciardi. Viele kämen deshalb nach München - ohne Sprachkenntnisse, "dann werden sie leicht Opfer von Schwarzarbeit". Mittlerweile sind es laut Ricciardi wöchentlich zwei bis drei seiner Landsleute, die verzweifelt im Generalkonsulat an der Möhlstraße auftauchen und um Geld bitten, damit sie wieder nach Italien fahren können.

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Seit 2013 verzeichnet er einen stetig steigenden Strom an Italienern, die in München ihr Glück suchen. Bayernweit sollen es Schätzungen zufolge etwa 10 000 Italiener sein, die in keiner Statistik auftauchen. Die meisten von ihnen sollen in München untergekommen sein und nach Arbeit suchen.

Vor allem die hohe Jugendarbeitslosigkeit treibt junge Italiener dazu, die Koffer zu packen und über den Brenner zu reisen. Viele kommen zunächst bei Bekannten unter und bleiben dann, voller Hoffnung, aber meist ohne Aussicht auf einen guten Job. "Wer erfolgreich nach Deutschland kommen will, muss die deutsche Sprache beherrschen und eine gute Ausbildung haben", sagt Ricciardi. Die Realität sieht jedoch anders aus. "Viele junge Leute haben in Italien keine Hoffnung auf einen Job", sagt Daniela di Benedetto. Sie ist Vorsitzende von Comites, dem Komitee für im Ausland lebende Italiener.

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"Ich wusste einfach nicht, wie es weitergehen soll": Weil sie daheim unter den Folgen der Wirtschaftskrise leiden, ziehen immer mehr junge Italiener wie Giovanni Pagliuca nach München. Die meisten sind gut ausgebildet, haben es aber schwer, hier Anschluss zu finden.

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Das Problem sei, dass viele von ihnen noch nie gearbeitet haben, nur Italienisch sprechen und sich mit dem Rechts- und Arbeitssystem in Deutschland nicht zurecht finden. "Diese Generation hat es schwer, sie kann ihre Probleme oft nicht selbst bewältigen", sagt di Benedetto. Deshalb hat das Komitee, ein gewähltes und vom italienischen Außenministerium finanziertes Gremium, nun eine Beratungsstelle gegen Illegalität und Schwarzarbeit gegründet. Der "Sportello della Legalità" will Italienern in München und Bayern Hilfe bieten, damit sie nicht in die Schwarzarbeiterszene abrutschen oder dort wieder herausfinden.

Die aus Perugia stammende Anwältin Chiara Montanucci kümmert sich nun um die Italiener in der Stadt, die meist ohne Arbeitsvertrag unter oftmals menschenverachtenden Bedingungen arbeiten. Sie berichtet von einer 48-jährigen Frau, die mit dem Versprechen auf Arbeit nach Bayern gelockt wurde. Sie fand sich daraufhin in einer Eisdiele wieder, arbeitete täglich von 9 bis 22.30 Uhr oder länger für 3,80 Euro die Stunde. Ihr italienischer Chef stellte ihr dafür ein Zimmer und Essen zur Verfügung, sexuelle Belästigungen gehörten für die Frau zum Alltag. Erst nach vielen Wochen traute sie sich, Montanucci zu kontaktieren und ihren ausbeuterischen Job aufzugeben.

Das ist kein Einzelfall: Die Anwältin und die Comites-Vorsitzende di Benedetto kennen Fälle, in denen vor allem junge Italiener als moderne Arbeitssklaven gehalten werden und keinen Kontakt zur Außenwelt halten dürfen.

Es sind viele Tausende EU-Bürger, die wegen der schlechten Wirtschaftslage in ihrer Heimat nach München kommen und hoffen, hier etwas mehr Geld zu verdienen. Doch häufig finden sie nur stundenweise entlohnte Jobs, schlecht bezahlte Schwarzarbeit als Spülkraft in der Gastronomie, als Zimmermädchen im Hotel, als Aushilfsfahrer oder am Bau. Das Los trifft Tausende Italiener ebenso wie Bulgaren, Rumänen und Griechen.

Doch nicht nur diejenigen, die in der Halbwelt, ohne gemeldet zu sein, von Schwarzarbeit leben, können üble Überraschungen erleben: Wer sich im Kreisverwaltungsreferat ganz legal anmeldet, verliert in seiner Heimat den Krankenversicherungsschutz, der in Italien kostenlos ist. Und bei der Agentur für Arbeit bekommen selbst Akademiker laut Montanucci oft nur unterqualifizierte Jobs angeboten.

© SZ vom 04.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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