Isarvorstadt/Sendling:Weniger ist mehr

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Erstmals haben Anwohner ihre Wünsche konkretisiert, wie der öffentliche Raum in Sendling und der Isarvorstadt künftig verteilt werden soll. Voraussetzung dafür ist fast immer, den motorisierten Verkehr zurückzudrängen

Von Birgit Lotze, Isarvorstadt/Sendling

Alles braucht Platz. Doch Platz ist endlich. Wie soll öffentlicher Raum angesichts steigender Einwohnerzahlen und Belastungen durch Schadstoffe künftig verteilt werden? Welche Form von Verkehr ist sinnvoll? Seit Monaten stellen Stadtplaner der Stadt München, Green City, Unternehmen wie BMW und Siemens, die Universität der Bundeswehr München und das Deutsche Institut für Urbanistik (difu) ihre Pläne für das gemeinsame Forschungsprojekt City2Share vor - jetzt haben auch die Anwohner bei einer Quartierswerkstatt in der Kirche St. Matthäus am Sendlinger Tor erstmals ihre Wünsche konkretisiert.

Angesichts der Vorgabe - Oberthema ist die vernetzte urbane Mobilität - ging es um Verkehr und um Parkplätze, die die Anwohner in ihrem nahen Umfeld meist lieber anders genutzt sähen als für abgestellte Blechgestelle. Es gefiel auch nicht jedem Teilnehmer, dass die Industrie stark positioniert ist in dem vom Umweltministerium geförderten Forschungsprojekt, das bis 2020 in der Isarvorstadt und in Sendling angesiedelt ist. So will BMW zum Beispiel Elektroautos im Carsharing auf die Straßen bringen. Es solle doch wohl eher vielmehr darum gehen, Autos aus dem Viertel herauszuhalten, regte ein Sendlinger an. Paul Bickelbacher, Grünen-Sprecher für Stadtplanung im Stadtrat, meinte, es gehe darum, Mobilitätsbedürfnisse zu erarbeiten, doch Ziel sei auch, darüber den Autoverkehr zu reduzieren, Raum zu schaffen und die Viertel attraktiver zu machen.

Nicht nur für Autos: ein gelungenes Beispiel für eine Zwischennutzung im Sommer auf dem ehemaligen Siemens-Parkplatz in Obersendling. (Foto: Tobias Hase/dpa)

Die meisten Anwesenden haben trotz der Innenstadt-Anbindung selbst Autos. Doch die meisten Autos stünden "einfach so da", hieß es. Viele Anwohner brauchten die Wagen kaum für mehr als den Urlaub - und für das Gefühl, bei Bedarf flexibel zu sein. Gesprochen wurde darüber, die Parklizenzgebühren drastisch zu erhöhen - von 30 auf 600 Euro jährlich, schlug jemand vor, "gerne auch über 1000". Auffallend viele Parker seien gar nicht aus dem Viertel, sagte eine Isarvorstädterin. Vor ihrer Haustür parkten viele Luxuskarossen mit mehrstelligen Ortskennzeichen. Pendel- und Einkaufsverkehr müssten beschränkt werden, eine City-Maut her.

In einem zweiten Teil widmeten sich die Teilnehmer zwei Plätzen, die mit den sogenannten Mobilitätsstationen ausgestattet werden sollen: Die MVG will Leihräder, eventuell E-Pedelecs anbieten, dann sollen Carsharing und E-Zapfsäulen dort Platz bekommen. Im Forschungsprojekt sind dafür der Zenettiplatz beim Schlachthof und der Kidlerplatz unterhalb des Harras vorgesehen. Daneben bleibt Platz für die Bürger zum freien Gestalten, 190 Quadratmeter am Zenetti-, 170 am Kidlerplatz - etwa in der Größe eines Grundstücks für ein Einfamilienhaus ohne Garten.

Auch in der Straße Am Glockenbach wurden im Juli Parkbuchten von Anwohnern zwischengenutzt. Viele hätten nichts gegen eine Dauereinrichtung. (Foto: Lukas Barth)

Die Teilnehmer sollten "einen anderen Blick auf den Straßenraum finden". Doch es werde nicht sofort alles entsiegelt, noch gehe es um Ideen, gab Moderatorin Julia Fielitz den Arbeitsgruppen mit auf den Weg. Auch laufe parallel ein Online-Dialog.

Beim Zenettiplatz - fast anwohnerfrei, "überlagert von Schlachthof und Lokalen" - wurde zunächst grundsätzlich die Sinnhaftigkeit einer Gestaltung diskutiert. Dann hieß es, dass gerade er sich für eine Aufwertung anbiete, schon weil er ungewöhnlich und südlich ausgerichtet sei. Mehr Grün, Sitzbänke, ein Brunnen wurden gefordert. Vielleicht ein offener Bücherschrank - ein schöner Ort für eine Rast. Einen Anziehungspunkt für Nachbarn wollte eine zweite Arbeitsgruppe schaffen: einen "flexiblen Platz" mit Überdachung. Man wolle nicht Mobilität, sondern Immobilität fördern und den Anwohnern einen Grund geben, nicht wegzufahren. Andere wieder bauten in Gedanken den ganzen Platz um, um ungestörter vom Autoverkehr zu sein. Sie stellten einen Kiosk auf, Mooswände für ein besseres Raumklima und als Schutz vor Verkehr. Sie plädierten für eine gezielte Beleuchtung und im Sitzbereich für "Ecken, wo die Wärme so richtig steht". Man sollte dort auch abends und ganzjährig sitzen können.

Auch für den Kidlerplatz forderten die Arbeitsgruppen mehr Licht, Hochbeete oder eine Parkanlage den Hang hinauf. Ein Open-Air-Kino, ein "Spielplatz für Erwachsene" war im Gespräch, andere wollten mit einem vergrößerten Kiosk ohne Konsumzwang den Schülern der benachbarten Gymnasien Platz schaffen. Länger diskutiert wurde, ob hier nicht Lastenräder oder Lastenanhänger in die Mobilitätsstation eingestellt werden sollten. Der Kidlerplatz am "Gelenk" zwischen dem Einkaufsbereich am Harras und dem Wohnbereich unten an der Hangkante biete sich dazu an. "Das müsste es aber auch elektrisch geben", ergänzte eine ältere Anwohnerin. "Weil, mein Knie ist nicht mehr taufrisch."

Unter www.beteiligung.city2share.de kann man sich in der ersten Runde bis 5. November am Online-Dialog beteiligen. Die zweite Quartierswerkstatt wird im Frühjahr stattfinden. Den Newsletter gibt es unter beteiligung.city2share.de.

© SZ vom 11.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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