Isartal:Die Traumata der Vögel

Isartal: Manfred Siering, Vorsitzender der Ornithologischen Gesellschaft in Bayern, liebt selbst Sport im Freien. Doch er sieht darin immer auch ein ethisches Problem. Denn jeder, der sich in unberührter Natur bewegt, stört dort.

Manfred Siering, Vorsitzender der Ornithologischen Gesellschaft in Bayern, liebt selbst Sport im Freien. Doch er sieht darin immer auch ein ethisches Problem. Denn jeder, der sich in unberührter Natur bewegt, stört dort.

(Foto: Schunk)

Der Ornithologe Manfred Siering fordert mehr Schutzzonen

Interview von Lea Frehse, Pullach

Auf in die Natur, heißt es für viele in Stadt und Landkreis München, sobald es die Zeit zulässt. Und dann wandern und kraxeln sie über Berge oder paddeln über Seen und durch Flüsse. Das Paradoxe daran: Je mehr Menschen die unberührte Natur genießen, desto weniger unberührt bleibt sie zurück. Die SZ-Redaktion erreichte nun die Zuschrift von Günter Soldner, der bei einem Spaziergang am Isarkanal zwischen Großhesselohe und Pullach mit anschauen musste, wie ein Freizeit-Paddler bei seiner Fahrt entlang dem Uferschilf Dutzende Wildvögel aufschreckte. Gedankenlos und egoistisch habe sich der Freizeitsportler verhalten, findet Soldner, schließlich seien die Vögel gerade im Winter auf Ruhe angewiesen. Alle müssten Rücksicht nehmen, denn: "Die Natur hat keinen Anwalt."

Einige engagierte Fürsprecher aber hat die Natur. Und für die Vögel des Isartals tritt kaum jemand so fachkundig ein wie Manfred Siering, Vorsitzender der Ornithologischen Gesellschaft in Bayern, der sich zu dem Vorfall äußert.

SZ: Herr Siering, Paddeln wirkt harmlos. Kann es Vögeln wirklich schaden?

Manfred Siering: Sport in der Natur ist immer ein ethisches Problem. Jede Sportart hat Folgen, sei es für Pflanzen am Kletterfels oder Vögel am Wasser. Ich liebe Natursport selbst. Aber jeder Sportler muss sich klar machen, dass er auch stört. Im Winter sind die Auswirkungen schwerwiegender. Dann brauchen Tiere besonders viel Energie, um warm zu bleiben. Wasservögel sind dann permanent im Stress: Ohne Laub an den Bäumen haben sie weniger Deckung vor ihrem Feind, dem Habicht, und müssen ständig wachsam sein. Außerdem müssen sie besonders viele Kalorien in sich reinstopfen. Wenn sie dann aufgescheucht werden, raubt das wichtige Energie - und versetzt sie in Todesangst.

Sportler wollen den Vögeln aber doch nichts Böses?

Fast jeder Wildvogel trägt ein Trauma in sich - und nicht wenigen steckt Schrot im Leib! Viele Vögel, die auf unseren Gewässern überwintern, leben sommers in Gegenden so weit entfernt wie West-Sibirien. Dort werden die Tiere gejagt, oft von Booten aus. Einen Paddler sehen sie also als Gefahr, ebenso schnelle Mountainbikes oder Hunde. Spaziergänger hingegen sind in der Regel kein Problem.

Wie ließen sich Störungen vermeiden?

An den bayerischen Seen haben die Behörden bereits vielerorts ufernahe Schutzzonen eingerichtet. An der Isar steht das noch aus. Ob Schutzzone oder nicht: In Deutschland ist es gesetzlich verboten, Tiere an ihren Rückzugsorten zu stören. Das gilt im Naturschutzgebiet wie in der Stadt.

Wer wird da eigentlich gestört?

Am Wasser sehen Sie zur Zeit am häufigsten Blesshühner, Stockenten und Gänsesänger. Einige verbringen auch die Brutzeit und den Sommer hier, doch die meisten sind im Frühjahr dann als prächtige Schwärme zu sehen, wie sie gen Nordosten fliegen.

Und wo im Landkreis München beobachten Sie Ihre Schützlinge denn besonders gern?

Im Winter gehe ich an die Aumühler Brücke am Isarkanal. Die ist überdacht, ideal bei Schnee und Regen. Gen Westen ist eine Fichte zu sehen, an der eine Futterstelle hängt. Da kommen auch seltenere Vögel wie der Grauspecht und die Weidenmeise gerne vorbei. Und auf den Kiesbänken staksen Bergpieper, zu Gast aus den Alpen.

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