Klassik:Herbe Verzierungen

Pianist Evgeny Kissin interpretiert Bach, Mozart, Chopin und Rachmaninow in der Isarphilharmonie mit konsequent durchgehaltener Spielhaltung. Dafür gibt es stehenden Applaus.

Von Andreas Pernpeintner

Nachdem der Zugabenteil in Rachmaninows cis-Moll-Prélude op. 3 Nr. 2 kulminiert ist, dessen Akkorde Evgeny Kissin in der Isarphilharmonie mit majestätischer Langsamkeit ausgekostet hat, steht das Publikum. Es ist das Finale eines Klavierabends, der in Kissins konsequent durchgehaltener Spielhaltung endet, wie er begann - und gerade dadurch in der Wirkung anders endet, als er begann.

Den großen Ton, der bei Rachmaninow zu solchem Genuss führt, schlägt Kissin eingangs nämlich auch bei Bachs Chromatischer Fantasie und Fuge BWV 903 an. Hier ist der Genuss nicht so eindeutig. Natürlich muss man Bach nicht den historisch Musizierenden überlassen; dieses Werk verträgt sich mit der Opulenz eines modernen Flügels. Bach wird dabei zwar korpulent gezeichnet, aber wenn man den Stift derart kraftvoll andrückt, entstehen trotz breitem Pedal griffige Konturen.

Schade ist, wenn die Prägnanz auf Kosten der Präzision geht. Kissins Triller sind mitunter verklebt. Auch bei Mozarts D-Dur-Sonate KV 311: Verzierungen, die nicht feingliedrig sind, wirken eher belastend als verzierend. Nun, leichtfüßige Eleganz will Kissin nicht erzielen, sonst täte er es - wie gut er das beherrscht, zeigt sich später bei Rachmaninows "Flieder"-Liedtranskription. Bei Mozart sucht er das Herbe, akzentuiert die betonten Zählzeiten nachdrücklich. Tatsächlich sorgt dieses fast überbetont dezidierte Spiel im Andante für einen überzeugend klaren Schritt.

Bevor Rachmaninow übernimmt (Flieder, Préludes op. 32 Nr. 8 und op. 23 Nr. 10 sowie fünf Études tableaux aus Opus 39) folgt noch Chopins fis-Moll-Polonaise op. 44. Kissin hat sie anstelle von Debussys "Estampes" ins Programm genommen. Als Aussage gegen den russischen Imperialismus, wie das Programmheft mitteilt. Und wie Kissin die Dunkelheit dieser Komposition zelebriert, die zwar (inklusive etwas hellerem Mazurka-Mittelteil) den Namen von Tanzmusik trägt, aber ein angsteinflößender Tanz von Riesen ist, ist großartig.

Zur SZ-Startseite

SZ PlusOper
:"Im vergangenen Jahr kamen mir natürlich Zweifel, ob ich es machen sollte"

Der Russe Dmitri Tcherniakov inszeniert an der Bayerischen Staatsoper "Krieg und Frieden" - obwohl viele ihm davon abrieten. Der Dirigent Vladimir Jurowski steht bereits auf der Schwarzen Liste der Zensurbehörde.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: