Dok-Fest München:Die Lügen dokumentieren

Dok-Fest München: Kameramann und Produzent Andrii Kotliar (links) und Regisseur Roman Liubyi beim Dreh von "Iron Butterflies".

Kameramann und Produzent Andrii Kotliar (links) und Regisseur Roman Liubyi beim Dreh von "Iron Butterflies".

(Foto: Baylon'13)

Auf dem Dok-Fest läuft der Film eines ukrainischen Kollektivs, das den Absturz des Fluges MH17 umkreist. Unterstützung für "Iron Butterflies" kam auch aus München.

Von Anna Steinbauer

Im Schrecken wohnt auch ein Stückchen Poesie: Wenn sich Sonnenblumenfelder und Kohleminen in den Tatort eines Kriegsverbrechens verwandeln und Schmetterlinge zu Todesboten werden. Am 17. Juli 2014 stürzte über der Ostukraine das Passagierflugzeug MH17 ab. In der Leiche des Piloten werden schmetterlingsförmige Splitter gefunden und auch Einschusslöcher an Teilen des Flugzeugwracks weisen diese Formen auf - ein untrüglicher Beweis für die Verantwortlichen der Tragödie: Eine Rakete hatte den Abschuss herbeigeführt, sie stammte vom Buk Flugabwehrsystem der russischen Armee.

Eine vielschichtige und poetische Untersuchung der Ereignisse um den tragischen Flugzeugabsturz liefert Roman Liubyis künstlerischer Dokumentarfilm "Iron Butterflies", der nun auf dem Münchner Dok-Fest zu sehen ist. Schritt für Schritt entlarvt der ukrainische Filmemacher die perfiden Lügen und Strategien der russischen Propagandamaschinerie in seiner so feinsinnigen wie berührenden Collage aus Archivmaterial, Nachrichten und Social-Media-Clips sowie inszenierten Passagen.

Der Film erscheint wie eine schmerzhafte Aufklärung der Vorgeschichte des brutalen Angriffskrieges auf die Ukraine. Es ging Liubyi darum, eine Brücke der Ereignisse von 2014 zu 2022 zu schlagen und diese einem breiteren Publikum zugänglich machen: "Der Krieg ist die logische Folge dieses unbestraften Kriegsverbrechens", sagt der in Kiew lebende Ukrainer im Zoomgespräch.

Ebenso spannend und komplex wie "Iron Butterflies" ist auch seine Entstehungsgeschichte. Die deutsch-ukrainische Koproduktion hätte es ohne den Krieg vielleicht nie gegeben. Sie liefert nicht nur ein einzigartiges Beispiel dafür, wie Filmemachen in Kriegszeiten funktioniert. Das Projekt erzählt auch viel von Solidarität und dem Glauben daran, dass Film etwas bewegen kann.

Eine wichtige Rolle in diesem Gefüge nimmt die aus der Ukraine stammende Münchnerin Mila Zhluktenko ein. Durch die HFF-Studentin, die zunächst als dramaturgische Beraterin, später als Co-Autorin an "Iron Butterflies" arbeitete, kam dieser zur Münchner Produktionsfirma Trimafilm und aus dem ukrainischen Dokumentarfilm wurde ein für ein westliches Publikum verständlicher Hybrid. Bei einem Besuch in Kiew 2016 hatte Zhluktenko den Kameramann und Produzenten Andrii Kotliar kennengelernt, der sie wiederum mit Liubyi bekannt machte. Beide sind Teil des Filmkollektivs "Babylon'13: Cinema of Civil Society", das es sich zur Aufgabe gemacht hat, erst die Ereignisse auf dem Maidan und dann auch Kriegsverbrechen in der Ukraine zu dokumentieren. Die Idee des Kollektivs sei gewesen, Kunst mit Aktivismus zu verbinden, erzählt der Regisseur. So entstanden viele Kurz- und Langfilme, die alle frei zugänglich online zu sehen sind (babylon13.org.ua).

Dok-Fest München: Als künstlerischer Dokumentarfilm erzählt "Iron Butterflies" vom Absturz der Passagiermaschine in der Ostukraine.

Als künstlerischer Dokumentarfilm erzählt "Iron Butterflies" vom Absturz der Passagiermaschine in der Ostukraine.

(Foto: Dok-Fest München)

Am Tag nach Beginn der russischen Invasion startete Zhluktenko eine Spendenkampagne, um ihre Freunde von Babylon'13 mit wichtiger Filmausrüstung zu unterstützen. Kurz darauf bekam die HFF-Studentin bereits Unterstützung einiger Münchner Filmschaffender, darunter Daniel Asadi Faezi und David Armati Lechner von Trimafilm, um eine erste Materiallieferung mit Kameraequipment an die polnisch-ukrainische Grenze zu fahren, um sie dort an Babylon'13-Mitglieder zu übergeben.

Der Kriegsausbruch veränderte nicht nur schlagartig die Leben der Ukrainer und Ukrainerinnen, sondern verschob auch deren Fokus auf existentielle Probleme. Um "Iron Butterflies" zu beenden, der im Rohschnitt bereits fertig war, konnten Kotliar und Liubyi weder genügend Geld noch Ressourcen aufbringen. Zwar hatte der Sender Arte finanzielle Unterstützung in Aussicht gestellt, doch fehlte ein deutscher Koproduzent, um das Projekt verwirklichen zu können. Auf der Suche nach "Komplizen", wie Zhluktenko es nennt, nahm sie Kontakt zu Trimafilm auf, die nach kurzer Zeit auf das Projekt aufsprangen und große Teile der Postproduktion übernahmen.

Das Wichtigste für alle Beteiligten sei gewesen, dass der Film aus einer gemeinsamen Verantwortung und einem künstlerischen Interesse heraus entstanden sei, betont die HFF-Studentin, die auch den eigenen Kurzfilm "Waking up in Silence" über geflüchtete ukrainische Kinder in einer Schweinfurter Kaserne auf dem Dok-Fest zeigt: "Um solche Dinge umzusetzen, braucht man eine Art irrationalen Willen. Ein Gefühl von Gemeinschaft, die an einem Strang für eine Sache zieht."

Die Fertigstellung von "Iron Butterflies" war wegen des Krieges alles andere als einfach: Es gab keine stabile Elektrizität, oft war die Kommunikation schwierig, und bis das Originalfilmmaterial in München landete, dauerte es ganze vier Wochen. "Mit unserer Expertise konnten wir konkret helfen und nicht nur Geld spenden", sagt Armati Lechner. Und Trimafilm-Kollegin Isabelle Bertolone ergänzt: "Wenn du mit jemandem zoomst, bei dem jederzeit ein Alarm losgehen kann, und du merkst, dass die gemeinsame Arbeit Kraft gibt, dann spürst du die Sinnhaftigkeit des Projekts." Gegen Ende des Dokumentarfilms sieht man Bilder von Menschen, die im April 2022 eine gesprengte Brücke in Irpin überqueren. Die Aufnahmen stammen von Babylon'13, ihre Aussage ist unmissverständlich.

"Iron Butterflies", Regie: Roman Liubyi, 84 Min., OmeU, am 9. & 13.5., (beide Tage Q&A mit Co-Autorin Mila Zhluktenko), "Waking up in Silence": Regie: Daniel Asadi Faezi, Mila Zhluktenko, 13.5., Neues Maxim

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