Irakerinnen in München:Flucht vor Terror endet im Gefängnis

Als wären sie Straftäter: Drei irakische Christinnen sitzen seit Wochen in München in Haft, weil die Behörden über Zuständigkeiten streiten.

Bernd Kastner

Am Anfang war die Angst, inzwischen herrscht Verzweiflung. Ihre Heimat war zu gefährlich geworden: Morde, Anschläge. Also sind sie aus dem Irak geflohen, eine Mutter mit zwei Töchtern, mit dem Verkauf ihres Hauses wollten sie ihre Flucht finanzieren. Bis nach München haben sie es geschafft, doch hier ist ihr Schicksal zu einer Sache geworden, zur "Zurückschiebungshaftsache".

Irakerinnen in München: Gewalt bestimmt den Alltag im nordirakischen Mosul. 700 irakische Christen haben heuer in Deutschland bereits Schutz gefunden.

Gewalt bestimmt den Alltag im nordirakischen Mosul. 700 irakische Christen haben heuer in Deutschland bereits Schutz gefunden.

(Foto: Foto: Reuters)

Die drei Frauen christlichen Glaubens aus Mosul im Nordirak sind auf der Suche nach Sicherheit in einem Münchner Gefängnis gelandet. Seit mehr als sechs Wochen sind sie in deutscher Haft. Man hat sie noch immer nicht gefragt, warum sie geflohen sind und wie man ihnen helfen könnte. Stattdessen grübeln die Behörden darüber, was sie machen sollen mit diesen Frauen.

Es ist der 7. Oktober, als die Mutter, 53 Jahre alt, und zwei ihrer Töchter, 18 und 24, in München landen. Sie kommen mit dem Lufthansa-Flug LH 3375 aus Athen. Ein Schleuser, so berichten sie, habe sie via Türkei nach Griechenland geschafft und ihnen das Ticket organisiert. Offenbar hat er ihnen geraten: Schaut zu, dass ihr weiter nach Norwegen kommt, dort seid ihr sicherer als in Deutschland. Als die drei Frauen am Gate zum Flug nach Oslo stehen, kontrolliert sie die Bundespolizei. Sie haben falsche französische Pässe bei sich, die Beamten nehmen sie mit, es ist kurz vor halb elf Vormittag.

Nicht alles geht so schnell in dieser "Sache"

Die Polizei vernimmt sie, informiert unverzüglich die Ausländerbehörde im Landratsamt Erding. Dort entscheidet man ebenso rasch: Urkundenfälschung, Gefahr des Abtauchens - also Antrag auf Sicherungshaft bei Gericht. Die nächste Nacht verbringen die Frauen in Zellen am Flughafen, tags darauf bringen Polizisten die Frauen zu einem Erdinger Richter. Der ordnet Haft an, die Polizei fährt Mutter und Töchter nach Neudeck ins Frauengefängnis.

Nicht alles aber geht so schnell in dieser "Sache". Noch während der Vernehmung bei der Bundespolizei am Flughafen beantragen die Frauen Asyl. Was aber geschieht mit ihrem Antrag? Die Bundespolizei sagt, man habe ihn, gemäß der Vorschrift, nicht ans Bundesamt für Flüchtlinge und Migration weitergeleitet, sondern ans Landratsamt, jene Behörde, die die Frauen einsperren ließ. Landrat Martin Bayerstorfer widerspricht: Sein Haus sei für diesen Antrag nicht zuständig, habe ihn auch nicht erhalten. Wenig später korrigiert er: Doch, man habe ihn erhalten und ihn "zur Sicherheit" auch weitergeleitet. Wann? Das wisse er nicht, jedenfalls "später", soll heißen: nicht unverzüglich.

Flucht vor Terror endet im Gefängnis

Sicher ist, dass es zwei Tage dauert, bis der Antrag zum Bundesamt gelangt. Zu spät, um die Haft zu vermeiden. Wäre er vor dem Gerichtstermin eingegangen, hätten die Irakerinnen eine Aufenthaltsgestattung bekommen, das Gefängnis wäre ihnen erspart geblieben, sagt ihr Anwalt Franz Bethäuser.Stattdessen also Zurückschiebungshaft, was wiederum an Griechenland liegt. Griechenland ist formal ein sicherer Drittstaat, und wer über einen solchen einreist, muss dorthin zurück. Dublin-Verfahren, nennen Juristen diese europäische Übereinkunft.

Wer in Griechenland strandet, landet im Elend

Maria Brand ist eine der wenigen, die wissen, wie es den drei Frauen im Gefängnis geht. Die ehrenamtliche Mitarbeiterin des Gefängnis-Besuchsdienstes von Amnesty International war mehrfach in Neudeck, und jedes Mal trifft sie auf drei Frauen in Häftlingskleidung, denen es sehr schlecht geht, psychisch vor allem. Sie verstehen die Welt nicht mehr. Die Jüngste leide besonders stark. Sie weine viel, liege nachts wach, Herzklopfen, und immer diese Fragen: Was passiert mit uns? Lassen sie uns frei? Dürfen wir zur Asylanhörung? Müssen wir zurück nach Griechenland? Davor haben die Frauen Angst; man weiß, dass Flüchtlinge dort unter desaströsen Bedingungen leben.

Ein aktueller Bericht von Pro Asyl spricht von einer "humanitären Krise" in Griechenland. Das Asylverfahren verletze rechtsstaatliche Normen. Von September bis Oktober sei die zentrale Asylbehörde in Athen fünf Wochen lang geschlossen gewesen, und als sie an einem Sonntag wieder öffnete, begehrten etwa 3000 Flüchtlinge Einlass. Chaos und Tumult waren die Folge. Im ersten Halbjahr 2008 seien 8387 Asylanträge in erster Instanz entschieden worden - 8387-mal negativ.

Die Vereinten Nationen bemängelten, dass sich die Behörden nicht mit den Fluchtgründen befassten. Wer in Griechenland strandet, landet im Elend. In Notquartieren leben in einem einzigen Zimmer bis zu drei Familien mit Kindern, andere Flüchtlinge fristen ihr Dasein in Parks und auf der Straße, Jungen prostituieren sich auf dem Straßenstrich. Alle Flüchtlinge, die aus Deutschland zurückgeschickt wurden und die der Pro-Asyl-Rechercheur traf, seien obdach- und mittellos.

"Interner Verfahrensablauf entsprach rechtmäßiger Handhabung"

"Herrin" des Haftverfahrens für die drei Christinnen ist das Landratsamt Erding. Dort besteht man darauf, dass die Frauen in Haft bleiben. Und das, obwohl das Bundesamt ans Landratsamt schrieb, dass "ein weiteres Verbleiben in der Haft nicht für erforderlich gehalten wird". Das Landratsamt könnte seinen Haftantrag zurückziehen, wenn es wollte, sagt Anwalt Bethäuser.

Nein, entgegnet Landrat Bayerstorfer (CSU). Er habe zwar erst durch die SZ-Anfrage von den Frauen erfahren, die sein Amt vor sechs Wochen inhaftieren ließ. Aber seine Mitarbeiter, das sei sicher, hätten korrekt gehandelt. Eine Freilassung sei unmöglich, weil die Haftgründe noch immer vorlägen. "Das wäre ein Verwaltungsakt ohne Rechtsgrundlage."

Flucht vor Terror endet im Gefängnis

Die nächste involvierte Behörde ist das Bundesamt: die Zentrale in Nürnberg sowie die Außenstellen in München und Dortmund. Die Akten gehen von Nürnberg zuerst nach Dortmund, dann nach München, dann zurück nach Dortmund. Auch sechs Wochen nach ihrer Festsetzung hat kein Amtsmitarbeiter die Frauen angehört. Das liege daran, so eine Sprecherin, dass in diesem sogenannten Dublin-Verfahren eine Anhörung gar nicht vorgesehen sei, man müsse nur klären, welcher Staat zuständig ist. "Unser interner Verfahrensablauf entsprach der rechtmäßigen Handhabung", betont die Sprecherin.

Hoffnung auf Karlsruhe

Die entscheidende Frage aber ist immer noch unbeantwortet: Besteht das Bundesamt auf einer Rückführung nach Griechenland? Die Bundesrepublik könnte das Verfahren auch selbst führen, dann bliebe den Flüchtlingen das Elend an der Ägäis erspart. Der Landrat sagt, wenn Deutschland übernehme, würden die Frauen freikommen, sofort. Am heutigen Freitag, nach Wochen des amtlichen Nachdenkens, sollen die Frauen im Gefängnis vom Bundesamt informell befragt werden. Dann will Nürnberg entscheiden: Griechenland oder nicht.

Solange bleiben sie in Neudeck. Anwalt Bethäuser hat von Anfang an den Rechtsweg beschritten, um seine Mandantinnen zumindest aus dem Gefängnis zu bekommen. Doch das Landgericht Landshut bestätigte die Haft, und das Oberlandesgericht München auch. Bethäuser blieb nur noch Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe: Die Haft sei unverhältnismäßig, die Behörden hätten den Frauen die Chance genommen, in Freiheit das Verfahren abzuwarten.

"Sie sind verzweifelt", sagt Amnesty-Mitglied Brand über die drei christlichen Flüchtlinge. "Die Haft ist unbegreiflich für sie." Neulich sei es gelungen, Kontakt zu einer weiteren Tochter der irakischen Mutter aufzunehmen, sie lebt in Deutschland. An einem Samstag ist sie von Essen nach München gereist, um ihre Familienmitglieder zu besuchen. Nach einer Stunde musste sie Neudeck wieder verlassen. Eine Stunde pro Monat nur darf ein Häftling Besuch empfangen, ein Straftäter ebenso wie ein Flüchtling.

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