"Der Uwe fühlt sich schwach, will nur noch eins: ein bisschen Macht." Er findet ein paar, die so fühlen wie er. Aber die Musik, die fühlt ganz etwas Anderes. Drei, vier Minuten, 1000 Einfälle, ein hibbeliger Punk-Refrain, dazwischen irgendwieirgendwas Chanson und der Future-Sound der Achtziger, aber halt von heute. Der Uwe und seine Mitnichtdenker träumen von "goldenen braunen Zeiten": "Menschen jagen auf der Heide, bis ich endlich sie vertreibe." Besser kann Musik kaum auf das reagieren, was in diesem gemüts- und geistesdunklen Deutschland gerade passiert.
Ihre ersten Lieder schrieb Ira Blazejewska während des Studiums, danach kam erst einmal eine solide Opernkarriere, aber bei einem Alt-68er in Bordeaux. Zurück in Deutschland folgte bei ihr die Erkenntnis, dass der Opernbetrieb anders läuft als erhofft, also beschloss sie, ihr eigenes Ding zu machen. Oder besser: eigene Dinge. Alle Sparten implementierende Kunstereignisse, diverse Musikprojekte, Putin. Auf Anregung eines Galeristen malte sie 30 Putin-Porträts, nach Bildvorlage aus den Zeitungen und Medien, hellsichtige, abgründige, vielschichtige Bilder, die Ausstellung wurde Buch, 2017 war das. Der Krieg, sagt Blazejewska, hat 2014 begonnen.
Ira Blazejewska, ausgerüstet mit deutsch-inguschetischen Wurzeln, einer dunklen Stimme voller hellem Silberglanz und der Fähigkeit zu wacher, politischer Entrüstung, sitzt nun brav neben Tuncay Acar auf dem Sofa im Habibi-Kiosk der Kammerspiele; die beiden reden über den Verlust von Freiheit und den Orten dafür, reden über "Dystopianern". Name ihrer Platte, aus der sie gleich unplugged, aber mit drei Musikern drei Lieder zu theatralischen Ereignissen machen wird - die Release-Party mit fetter Besetzung ist am 25. Januar im Import-Export.
Ursprünglich suchte Blazejewska für jeden Song einen anderen Produzenten, nun vereint Frankie Chinasky die ersehnte Vielfalt in sich. Die Songs sind atemberaubend, erzürnt, sarkastisch, aber Grandezza. Der Titel verweist darauf, aktiv mit allem, was arg ist, umzugehen zu lernen, und zwar bitte mit Haltung. Die braune Raupe Nimmersatt frisst sich in die Gesellschaft hinein, Marie backt aus Tränen Kuchen. Text, Komposition, alles Blazejewska, alles groß, weit, offen, da ist Weill, dort Strawinsky, Elektro, Punk - umwerfend.
Dystopianern Concert and Party, Do., 25. Jan., 20 Uhr, Import Export, Schwere-Reiter-Str. 2h, import-export.cc