Süddeutsche Zeitung

"Into Somethin" im Muffatcafé:Tanzmeister der Tiefe

Die legendäre Club-Reihe "Into Somethin" soll noch einmal aufgelegt werden. Zum Revival im Muffatcafé spricht die SZ mit den DJs über Hochzeiten, Deepness und Japaner.

Michael Zirnstein

Florian Keller legt feixend eine Single auf in Michael Reinboths Büro am Ostbahnhof. "Ihr müsst raten, wer das ist! Da sind alle gerade heiß drauf." Mit "alle" sind Raritäten-DJs wie er gemeint. Reinboth, Chef des weltweit beachteten Elektro-Labels Compost, nickt wissend. Ein stampfiger Beat zwingt zum Mitwippen, könnte neu sein, oder alt, dazu Affenschreie und eine kieksende Stimme. Cooler als Prince, Disco deluxe.

"Den kennt ihr!", ruft Keller. "Das ist Paul McCartney!" Tanzbar, voller Soul und Funk, überraschend - die Nummer hat gute Chancen, heute Nacht im Muffatcafé Furore zu machen. Da legen Reinboth, Keller und Theo Thönnessen nach zwei Jahren Pause beim einmaligen Revival ihrer legendären Party "Into Somethin'" auf. 1991 hatten die drei gegen die Masse der Kommerz-Diskos eine Clubnacht gestartet, die erstmals in München Jazz-, Soul- und Elektroklänge verband.

SZ: 65 mal gab es "Into Somethin'", die Stereo MCs, Jazzanova, Gilles Peterson und viele weitere Club-Größen waren zu Gast. Jetzt hat Blumenbar das Buch "Mjunik Disco" herausgebracht. "Into Somethin'" ist mit einem einzigen Satz in einer Fußnote erwähnt. Kränkt Sie das?

Reinboth: Eine Frechheit! Wir sind die einzige Münchner Party, die in Zeitschriften wie The Face besprochen wurde.

Keller: Also, das Buch hat der Mirko Hecktor gemacht, der ist saujung, der hat einen anderen Blick. Am Anfang war ich auch angefressen. Der hat Michi und mich tagelang ausgequetscht. Es fehlt noch einiges mehr: Da sind Fotos von Mick Jagger und Freddy Mercury im P1 drin, aber die waren doch immer im Charly M. Es fehlen Cadillac, Eastside und California New, alles, was Hip-Hop war.

SZ: Immerhin gibt es einen Artikel über Ihr Lebenswerk, Herr Reinboth. Sie werden so zitiert: "Als DJ musst du auf Hochzeiten auflegen." Und das von einem coolen Club-Maestro wie Ihnen!

Reinboth: Auf einer Hochzeit hast du von Kindern bis zur Oma mehrere Generationen. Das ist genau das, was wir machen: Eine jazzige Rock'n'Roll-Nummer, ein Soul-Funk-Stück von Marvin Gaye und eine Achtziger-Jahre-Elektro-Nummer von Human League so rüberzubringen, dass es keine platte Ü-30-Party ist. Dazu muss man als DJ Entsprechendes durchlebt haben. Ein Zwanzigjähriger, der gerade die neuesten Technoplatten kennt, wird niemals eine Hochzeit meistern. Alle großen DJs sind über 30 oder 40. Man braucht die Vielfalt, so kann man spannende Exkursionen unternehmen - von seinem Gebiet aus. Bei "Into Somethin'" habe ich mehr die technoiden, elektronischen Sachen eingebracht; Florian war eher retro mit Funk und Rare Groove; und Theo war der Brazil-Soul-Connaisseur. Das Schöne beim Revival ist: Die Musik spielt uns gerade wieder in die Hände, in den Clubs geht wieder viel Soul.

SZ: Was ist die "Deepness", die Sie, so liest man oft, nach München brachten?

Keller: DJ-Sein ist eine Dienstleistung, selbstverständlich, aber der Unterschied liegt in der Herangehensweise. Man kann das Publikum einfach bei Laune halten, wenn man ihm gibt, was es haben will; völlig legitim, aber auf Dauer total langweilig. Und die Deepness ist das Gegenteil, dass man versucht, die Leute zu nicht so offensichtlichen Dingen hinzukicken.

Reinboth: Für mich bedeutet Deepness die Momente in der Musik, die einem nicht gleich entgegenspringen wie ein Hook oder ein Gitarrenriff. Ganz viele Platten im Jazz sind tanzbar, aber sie haben eine Schräglage, die eine andere Hemisphäre im Gehirn oder sonstwo berührt.

SZ: Und um solche Stücke auszugraben, mussten Sie anfangs nach Amerika und Brasilien reisen?

Keller: Ja. Gerade Soul- und Funk-Platten gab es in Deutschland kaum. Unsere Eltern kennen vielleicht noch Aretha Franklin und Marvin Gaye. Die erste Station war England, die hatten eine Soul-Kultur, da war es aber wahnsinnig teuer. Da war klar: Wir müssen nach Amerika. Das hat sich dann auf Ebay verlagert. Und weil man jetzt fast jeden Song nach 1965 für einen Dollar aus dem Internet runterladen kann und man nicht mehr 600 Dollar für eine seltene Platte hinlegen muss, hat sich das DJ-Geschäft demokratisiert. Jetzt ist wichtiger, in welchem Kontext man ein Lied spielt.

SZ: Fragen Sie immer noch Gäste, was Sie da gerade spielen? Reinboth: Permanent. Wir hatten Japaner da, die standen mit Bleistift und Block dabei und schrieben sich alles auf. SZ: Sie hatten lange Zeit die längsten Warteschlangen der Münchner Szene. Warum ließ das Interesse auf einmal nach? Reinboth: Wir wollten auch viele neue Stile auflegen, die unser Stammpublikum, das die alten Blue-Note-Platten hören wollte, verschreckten. Und die Konkurrenz in der Club-Szene wurde größer.

SZ: Haben Sie noch den Traum, einen eigenen Club aufzumachen?

Reinboth: Definitiv. Das haben wir über all die Jahre verpasst.

Keller: Ich sehe das auch so. Aber im Moment würde ich lieber noch zwei Jahre warten. München hat derzeit die höchste Club- und Party-Dichte der ganzen Erde, aber oft stimmt die Qualität nicht. Ich glaube, da wird einiges den Bach runter gehen, und ich bin lange genug dabei, darauf warten zu können.

SZ: Als Sie 1991 und als einer der ersten neuen Clubs in die Innenstadt gingen, sagten Sie, die Stadt München mache sich durch das ganzen Genehmigungsgezicke ihre Ausgehkultur kaputt. Was hat sich seit damals geändert?

Reinboth: Die Stadt hat gesehen, dass Clubkultur ein großer Umsatzbringer ist. Keller: Sie kommt den Betreibern entgegen, auch was Zwischennutzungen wie in der "Registratur" angeht. Heute muss man nicht die Stadt schimpfen, sondern die Ausgeher. Die faulen Säcke bekommen ihren Arsch nicht hoch, sobald irgendwas außerhalb des Altstadtrings ist.

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Quelle:
SZ vom 30.01.2009/agfa
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