Interview: Ude zur Wahl:"Bei Merkel wird es ähnlich wie bei Bush"

Münchens Oberbürgermeister Christian Ude über die Wahlkampf-Probleme seiner Partei, Finanzhaie im Koalitionsbett und das kabarettistische Potential der CSU. Interview: H.-J. Jakobs, S. Pfauth, L. Sonnabend, B. Wild. Mit Video.

sueddeutsche.de: Herr Ude, Sie waren im August im Urlaub und nicht hinter dem SPD-Infostand anzutreffen. Sind Sie vor dem Wahlkampf geflüchtet?

Ude: Ich kann nur in der sitzungsfreien Zeit mit der Familie Ferien machen. Ansonsten aber habe ich mich viel mehr engagiert als beispielsweise beim letzten Bundestagswahlkampf, mit dem ich große inhaltliche Schwierigkeiten hatte - beispielsweise mit Schröders Sympathie für Transrapid und Steuergeschenke. Ich denke, dass die SPD jetzt wieder mit Frank-Walter Steinmeier zu einer sozialdemokratischen Grundposition zurückgefunden hat, die sehr viel überzeugender ist.

sueddeutsche.de: In den Umfragen allerdings schneidet die SPD schlechter ab als beim letzten Mal in der Schröder-Ära.

Ude: Das will ich nicht schönreden. Aber die schlechteren Umfragewerte haben meines Erachtens damit zu tun, dass es eine linke Partei gibt, die gut und gerne zehn Prozent aus dem SPD-Stimmenreservoir herausgebrochen hat. Die fehlen. Der CSU in Bayern ist Ähnliches passiert mit den Freien Wählern.

sueddeutsche.de: Wenn Steinmeier für Sie der ideale SPD-Kandidat ist - warum punktet er beim Publikum nicht im großen Ausmaß?

Ude: Es ist wahnsinnig schwierig, als Juniorpartner einer großen Koalition gegen die Kanzlerin Profil zu gewinnen. Man muss ja gleichzeitig beweisen, dass man in der Regierung sachlich und fruchtbar zusammenarbeiten kann. Dieses Problem hätte jeder Bewerber an der Spitze der SPD. Frank-Walter Steinmeier hat es als Außenminister und Vizekanzler vielleicht in besonderer Weise. Dafür wäre kein anderer so bekannt und angesehen.

sueddeutsche.de: Sie haben viele Wahlkämpfe erlebt. Wie beurteilen Sie diesen Bundestagswahlkampf im Vergleich?

Ude: Er ist von Haus aus schwierig wegen der Konstellation. Die großen Parteien treten in einer Doppelrolle an: Als Partner und als dessen größter Widersacher. Das kann man schwer in einem Akt darstellen. Wenn man vier Jahre lang in einer Koalition zusammenarbeitet, wäre es doch eine Schmierenkomödie, bei der Fernsehdebatte plötzlich herumzustreiten wie die Kesselflicker.

sueddeutsche.de: Sie waren mit dem Auftritt der beiden beim "TV-Duell" zufrieden?

Ude: Ich fand es durchaus angemessen, dass Merkel und Steinmeier so kollegial miteinander umgegangen sind. Wenn es die falschen Themen waren, dann lag es an den Moderatoren. Ich habe noch nie erlebt, dass ein solches Aufgebot an Journalisten so am Bevölkerungsinteresse vorbeigefragt hat.

Lesen Sie weiter: Warum fehlte die Spannung im Wahlkampf?

Bundestagswahl 2009: Christian Udes Prognose

sueddeutsche.de: Vielleicht hätte man das TV-Duell in diesem Jahr besser ausfallen lassen - um eine Dauerwerbesendung für das Modell "große Koalition" zu vermeiden.

Ude: Es war sicher ein Problem, dass nur die Regierung zu Wort kam. Aber die Oppositionsparteien kamen ja am nächsten Abend um so länger zum Zug. Das war konfliktreicher. Unabhängig davon meine ich, dass der Wahlkampf anfangs besonders langweilig war.

sueddeutsche.de: Warum fehlte die Spannung?

Ude: Offensichtlich hat die Union versucht, alle harten Fragen unter den Teppich zu kehren, um nur vom Amtsbonus der Kanzlerin zu profitieren. Und die SPD muss sich vorwerfen lassen, dass sie am Anfang unglaublich farblos und unsicher in der Themenwahl war.

sueddeutsche.de: Was hätten die Sozialdemokraten besser machen sollen?

Ude: Finanzkrise, Mindestlöhne und Atomausstieg - diese Themen hätte man vor neun Monaten schon hart ansprechen können. Es reicht nicht, erst in den allerletzten Wochen richtig Wahlkampf zu machen, wenn viele Briefwähler schon ihre Stimme abgegeben haben. Dass aber dieser Wahlkampf nicht in der Konfrontation mit der Union geführt wird, sondern eher ein Wahlkampf der sachlichen Nuancen ist, das liegt einfach an der Rolle als Juniorpartner der großen Koalition. Und die haben ja nicht wir uns ausgesucht, die hat der Wähler erzwungen.

sueddeutsche.de: Wer wollte schon die große Koalition? Der Wähler hatte sich entweder für die Union oder für die SPD entschieden.

Ude: Ja, schon. Aber die Wählerschaft insgesamt wollte zu meinem Leidwesen nicht Rot-Grün und zu meiner Freude nicht Schwarz-Gelb. Beides hat keine Mehrheit gefunden. So blieb als einzig rechnerische Möglichkeit die große Koalition übrig, nachdem die Linkspartei weder zur Verfügung stand, noch zu dieser Zeit von der Bevölkerung als Koalitionspartner gewünscht wurde.

sueddeutsche.de: Wie lautet Ihre Prognose für Sonntag? Wer gewinnt die Bundestagswahl?

Ude: Die ist in keiner Weise originell. Ich gehe davon aus, dass die Union die stärkste Partei wird mit einem Ergebnis über 30 Prozent. Die SPD wird meiner Ansicht nach einen ruhmreichen zweiten Platz erobern mit einem Ergebnis unter 30 Prozent. Die drei weiteren Parlamentsparteien sehe ich allesamt relativ nah beieinander bei knapp über zehn Prozent. Was ich mich nicht zu prognostizieren traue, ist, wer die Mehrheit der Stimmen und wer die Mehrheit der Mandate bekommt. Das wäre aber die spannendste Frage.

Auf der nächsten Seite: Eine Antwort auf die Frage, was Frank-Walter Steinmeier von Christian Ude lernen könnte und ob der Wahlkampf Stoff für einen Kabarettisten liefert.

"Plötzlich kam Stoiber geföhnt daher"

sueddeutsche.de: Eine große Rolle spielen die Überhangmandate - damit könnte es für Schwarz-Gelb reichen.

Ude: Mag sein. Die Überhangmandate sind Gesetzeslage. Wir wissen aber, dass das Verfassungsgericht sie für verfassungswidrig hält, wenn auch noch nicht bei der jetzigen Wahl. Das ist eine höchst unbefriedigende Situation. Allerdings denke ich, dass die SPD den Mund hier nicht allzu voll nehmen sollte - bei den letzten beiden Wahlen hat sie davon ohne Schamgefühl profitiert. Und sie hat für dieses Mal keine Gesetzesreform erzwungen.

sueddeutsche.de: Somit würde der Regierungschefin die letzte Legitimität fehlen.

Ude: Es wird so ähnlich wie bei George W. Bushs erster Amtsperiode: Man wird möglicherweise vier Jahre lang hören, dass es eine Regierung gibt, die keine Mehrheit der Stimmen hatte. Ich würde mir das für mich selbst nie wünschen.

sueddeutsche.de: Sie sind bei den Münchnern sehr populär. Was könnte Frank-Walter Steinmeier von Ihnen lernen?

Ude: Nichts ist schlimmer, als wenn man einem Kandidaten irgendeine Persönlichkeitsveränderung aufschwätzen will - so wie dies Edmund Stoiber 2002 mit seinem Medienberater passiert ist. Plötzlich kam Stoiber geföhnt daher, sagte ganze Sätze und vermied es, zu stottern. Dafür hat er manche seiner spezifischen Eigenschaften verloren.

sueddeutsche.de: Haben Sie Steinmeier überhaupt keinen Rat gegeben?

Ude: Doch, einen. Und der wird in der SPD auch zunehmend berücksichtigt: Ich verstehe es nicht, wie man die FDP gleichzeitig als Finanzhai darstellen kann und dann mit diesem Finanzhai ins Koalitionsbett steigen will. Zum Glück hat dieses Liebeswerben um den Finanzhai inzwischen nachgelassen. Die Aussage heißt jetzt: Schwarz-Gelb verhindern. Dahinter stehe ich uneingeschränkt. Ich habe als Städtetagspräsident erlebt, was Schwarz-Gelb für die Kommunen und die Arbeitgeber bedeutet.

sueddeutsche.de: Hat dieser Wahlkampf Stoff geliefert für einen Hobby-Kabarettisten wie Sie?

Ude: Reizvoll finde ich die täglichen Wandlungen des Horst Seehofer. Es ist atemberaubend, wie oft er bei dem Versuch, jedes Wählergrüppchen einzufangen, seine Meinung ändert. Wir haben noch in Erinnerung, wie er den Gesundheitsfonds in Berlin gepriesen hat - kaum ist er in Bayern, will er gegen dieses Teufelszeug zu Felde ziehen. Es gibt nicht den Hauch von Kontinuität, nur ein ratloses Herumstochern im Nebel. Einmal hat er mir einen Brief geschrieben: Ich solle aufpassen, dass der Stadtrat für die zweite S-Bahn-Stammstrecke in München steht. Eine Woche später sagte er, vielleicht sei der Südring, den die CSU vor zehn Jahren verworfen hat, doch die bessere Lösung. Das ist für mich ein völlig neues CSU-Erlebnis.

sueddeutsche.de: Finden Sie das nur lustig oder schwierig?

Ude: Unter Stoiber wusste man 15 Jahre lang, wofür er steht. Bei Seehofer dagegen haben wir diesen täglichen Meinungswechsel, der einen zwingt, auf völlig neue Herausforderungen zu reagieren.

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