Interview mit Sven Regener:Ich und ich beim Dialog-Kung-Fu

Sven Regener liest in der Muffathalle aus "Meine Jahre mit Hamburg-Heiner". Ein Gespräch über sein Alter Ego und das Münchner Nachtleben.

Michael Zirnstein

Anfangs tippte Sven Regener seine Tagebücher lustlos ins Internet. Der Schriftsteller ("Herr Lehmann"-Trilogie), Sänger und Trompeter (Element of Crime) wollte schon aufhören mit dem egozentrischen Bloggen. Doch dann fand er einen würdigen Gegner für seine kunstvoll zwar, aber doch ziellos abschweifenden Gedanken: sich selbst - in der fiktiven Person von Hamburg-Heiner. Regener wurde fast süchtig nach den Anrufen seines Alter ego auf Lesereisen und Tourneen, die in all seinen Essays für taz.de, spiegel.de, laut.de und andere ".de"s zu finden sind. Am Donnerstag, 20Uhr, liest Sven Regener aus "Meine Jahre mit Hamburg-Heiner - Logbücher" in der Muffathalle, mit seiner Band spielt er am 26.Juni in der Tollwood-Arena.

Sven Regener

Sven Regener und sein Alter Ego lesen in der Muffathalle.

(Foto: Charlotte Goltermann / oh)

Ihre Münchner Vorband in der Tonhalle, Coconami, scheint Sie beeindruckt zu haben. Sie haben in Ihrem Buch ein Frühstück auf dem Flughafen Berlin-Tegel nach dem Japan-Duo benannt.

Brezel und Grüner Tee - das war ganz klar Coconami. Die sind beachtlich: Da waren 2000 Leute, und die spielen ihre Ukulele-Lieder souverän. Die haben so eine Punk-Haltung, ziehen ihr Ding durch, und es ist denen scheißegal, ob die Leute sich wundern oder nicht.

Ansonsten war München trostlos, zumindest an diesem Februartag 2010 auf Ihrer Foto-Safari durch die Kultfabrik.

Jeder Münchner sagt: Kultfabrik, wie furchtbar ist das! Stimmt natürlich. Das ist eine Retortenstadt wie Las Vegas in der Wüste. Nur da hin gehauen, um die Amüsiertouristen abzufrühstücken.

Sie schreiben aber auch von der "melancholischen, barocken Kraft" der Kultfabrik. Meinen Sie das ernst?

Natürlich. Schon wegen der Ballung und wegen dem Charakter dieser Kneipen. "Koi"! Ich meine...also! "American Tabledance"! Diese Boxgeräte! Die Strandbar. Man könnte dort etwas Epochales filmen wie "American Graffiti".

Das wäre doch mal eine neue Herausforderung für Sie.

Doch, im Grund genommen schon. Ich hatte immer mal wieder mit Film zu tun. Aber das ist so erschreckend, weil da so viele Leute mitreden. Allein die Verfilmung von "Der kleine Bruder" - das dauert ewig.

Dann soll es Klaus Lemke machen!

Ja genau, der! Der Klassiker: So eine Wahnsinnssommernacht, zwei junge Burschen, oder von mir aus auch zwei Mädchen dabei, die fahren los, um sich in der Kultfabrik zu amüsieren. Ein verzauberter Ort, diese ganzen Lichter, wie die Leute da durchströmen auf der Suche nach einem bisschen Glück. Das sieht auf meinen Fotos am Nachmittag natürlich sehr trist aus, so "Leaving Las Vegas"-mäßig.

Ist Tollwood, wo Sie heuer wieder auftreten, für Sie auch so künstlicher Ort?

Auf dem Tollwood kommen noch einmal ganz andere Leute. Solche, die sich sonst gar nicht so für Konzerte interessieren und das gleich am Tollwoodfestival miterleben. Da ist auch so ein Klimbim drumherum. Man beschäftigt sich auf Tourneen ja immer nur en passent mit den Städten. Als wir ein Konzert für Bayern2 spielten, wohnten wir irgendwo am Ende der Welt, in - wie heißt das gleich?

Unterschleißheim.

Genau, in so einem Vertreterschließfach. Da ist München gar nicht mehr bei sich selber. Der Blick, den man beim Touren bekommt, ist ein flüchtiges Weichbild. Und genau das lohnt sich bei Blogs. Gerade wenn man darüber diskutiert mit einer Figur wie Hamburg-Heiner. Weil man dann nicht nur seinen eigenen Standpunkt reinbringen kann.

Gibt es für Ihren erfundenen, rechthaberischen Gesprächspartner ein echtes Vorbild?

Nein. Wie schnell macht man sich da schuldig! In der Kunst kann man immer nur frei agieren, wenn man fiktiv agiert, sonst müsste man zu viel Rücksicht nehmen. Ich möchte meine Freunde nicht schnöde gebrauchen, dann denke ich mir lieber jemanden aus.

Schummeln Sie viel in Ihren Internettagebüchern?

Mir kam es darauf an, eine neue Realität zu schaffen. Die Kunst ist eben Kunst, fiktiv, keine Reportage, trotzdem spiegelt sie unsere Realität wider, bloß mit anderen Mitteln und zu einem anderen Zweck. Bei mir kann man nie sagen, was ist Wirklichkeit, was Erfindung. Selbst ich weiß das nicht mehr genau. Nach "Herr Lehmann" hat meine Mutter mal gesagt: "Sven, ich wusste ja gar nicht, dass es dir damals so schlecht ging." Da habe ich gesagt: "Mutter, ich habe doch nie in einer Kneipe gearbeitet, wie kommst du auf die Idee, dass ich Frank Lehmann bin?" Und sie: "Was weiß ich, was du da so treibst in Berlin."

In den Achtzigern in Kreuzberg haben Sie nächtelang mit Freunden durchdiskutiert, "Dialog-Kung-Fu", haben sie es mal genannt. Was reizt sie daran?

Ich finde das gut, wenn Dialoge etwas Wahnhaftes bekommen. Dieses Wildwuchernde, das sich da Bahn bricht, ist der Kern meines literarischen Schaffens, das steckt auch in den inneren Monologen von Frank Lehmann drin. Man weiß nie, was als nächstes passiert, auch ich als Autor nicht. Wie wenn man Schach gegen sich selber spielt, man macht den bestmöglichen weißen Zug, setzt sich auf die andere Seite und macht den bestmöglichen schwarzen Zug. Es ist ein Rollenspiel, das sich von selbst anheizt: Hamburg-Heiner hat mehr Empörungspotenzial, Sven mehr echtes Hintergrundwissen. Mit mir selbst hat dieser Sven nur am Rande zu tun.

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Am Donnerstag, 19. Mai 2011, ab 20 Uhr, stellt der Kultautor sein neuestes Werk in der Muffathalle, Zellstraße 4, vor.

Die Gewinner von jeweils zwei Karten sind:

Carline Mohr Frank Hanauer

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