Süddeutsche Zeitung

Interview mit Ringsgwandl:"Ich brauche freieren Wind um die Nase"

Zwischen Geborgenheit und Freiheit: Ein Gespräch mit Musiker Georg Ringsgwandl über Untersendling - und die schwierige Suche nach Heimat.

Sarina Pfauth

Die neue Platte von Georg Ringsgwandl heißt "Untersendling". Seit 30 Jahren hat der ehemalige Kardiologe in diesem Münchner Stadtteil eine Wohnung. Die neuen Songs erzählen Geschichten aus dem Viertel.

sueddeutsche.de: Herr Ringsgwandl, ich wollte ein Nusshörnchen bei dem Bäcker in der Aberlestraße kaufen, von dem Sie auf Ihrer CD schwärmen. Ich habe ihn leider nicht gefunden.

Georg Ringsgwandl: Die Bäckerei Schweiger hat letztes Jahr zugemacht. Seit Kriegsende war sie dort. Jetzt ist eine Bäckerei-Kette drin - der Laden ist schicker, hat jetzt Glasfronten bis zum Boden. Auch schön. Aber jetzt steht eben nicht mehr die Frau vom Bäcker drin, sondern irgendeine Verkäuferin.

sueddeutsche.de: Macht es Sie traurig, dass es in Untersendling immer weniger alteingesessene Geschäfte gibt?

Ringsgwandl: Schon. In der Kidlerstraße gab es zum Beispiel einen stillen, alten Mann, der in einem kleinen Bretterverschlag hinter dem Hinterhaus eine Schreinerei betrieben hat. Er hat da seit der Nachkriegszeit vor sich hin gewerkelt, hat kleine Reparaturen für die Nachbarn gemacht. Bis 2005, da war er schon Anfang 70. Da kam eines Tages der fahrradberittene Wächter der Lokalbaukommission und kontrollierte, ob der Baubestand den Plänen im Baureferat entsprach. Das tat der Bretterverschlag nicht. Ein paar Wochen später wurde er abgerissen und die Fläche planiert. Ich konnte es kaum glauben. Und dieser alte Mann saß anschließend in seiner Wohnung. Furchtbar.

sueddeutsche.de: Was ist sonst noch aus dem Viertel verschwunden?

Ringsgwandl: Vorne an der Straßenecke zur Lindwurmstraße war früher eine bayerische Wirtschaft. Da gab es ein Fenster, an dem man klopfen konnte, wenn man am Wochenende Bier, Eier oder Mehl gebraucht hat. Der Koch hat alles aus dem Fenster der Küche verkauft. Aber es wird ja nicht alles schlechter. Inzwischen gibt es Supermärkte, die bis Samstagabend um acht aufhaben. Das ist ja auch gut.

sueddeutsche.de: Was hat die Zeit sonst noch Gutes gebracht?

Ringsgwandl: Dieser Italiener, der in der bayerischen Wirtschaft jetzt drin ist, ist gut. Und das Personal ist mindestens genauso freundlich wie der bayerische Wirt zuvor. Es gibt E-Mail, man braucht kein blödes Fax mehr. Das Einzige, was wirklich schlechter ist, sind die Chancen, einen Parkplatz vor der Tür zu finden.

sueddeutsche.de: Warum haben Sie Ihre neue CD nach dem Viertel benannt?

Ringsgwandl: Die privaten Situationen, Beobachtungen und Eindrücke, die darin beschrieben sind, stammen aus diesem Viertel und der Wohnung, die ich hier besitze. Einige Leute haben gesagt: Untersendling klingt so underdogmäßig. Nenn es lieber Obersendling. Oder Supersendling. Aber die Lieder sind eben hier entstanden.

Lesen Sie weiter: Ein Lob auf Untersendling und warum sich Georg Ringsgwandl nirgendwo richtig zu Hause fühlt.

sueddeutsche.de: Sie haben die Platte außerdem in ihrer Fünfzimmer-Wohnung in Untersendling aufgenommen.

Ringsgwandl: Das war wunderbar. Jeder Musiker saß in einem eigenen Zimmer und spielte sein Instrument. Man war nicht in einem fensterlosen Kellerraum sondern in einer realen Umgebung, vor dem Fenster gehen Leute vorbei. Und man konnte in die Küche gehen, um sich Kaffee zu machen. Wenn man allerdings zum 15. Mal eine laute Rocknummer probt, werden die Nachbarn irgendwann mürbe. Deshalb habe ich den Rest in Frankfurt aufgenommen.

sueddeutsche.de: Was mögen Sie an Untersendling?

Ringsgwandl: Es ist schlicht. Untersendling ist kein protziges Viertel. Das ist erstaunlicherweise so geblieben, die 30 Jahre. Alle anderen Viertel, die nah an der Stadt liegen, sind durchsaniert worden, da haben sich Rechtsanwaltkanzleien und Softwareunternehmen angesiedelt. Hier gab es auch einige Versuche, schicke Kneipen anzusiedeln, aber das hat nicht funktioniert.

sueddeutsche.de: Sie haben mal über zwei alte Frauen aus ihrer Nachbarschaft geschrieben ...

Ringsgwandl: ... die Wieland-Schwestern! Wir nannten sie auch Aberle-Hexen. Die haben auf einem großen Grundstück in der Aberlestraße gewohnt. Die hatten eine kleine Hütte aus dem 19. Jahrhundert und dahinter zwölf Garagen, die sie vermietet haben. Und dazwischen eine einzige Wildnis. Das war Dschungel! Das Gelände war abwegig verwahrlost, und aus der Hütte hat es bis auf den Gehsteig raus gestunken. Als beide gestorben waren, wurde ein Wohnblock hingestellt, das war 1997. Da wurde eine Zeit durch eine andere abgelöst.

sueddeutsche.de: Sind Sie in Untersendling zu Hause?

Ringsgwandl: Zum Teil ja, ich fühl mich wohl hier. Aber wenn ich ganz ehrlich bin: Ich bin nirgends so richtig zu Hause.

sueddeutsche.de: Warum nicht?

Ringsgwandl: Man steuert zwischen zwei Polen: maximale Geborgenheit oder maximale Freiheit. Ein gewisser Anschluss ist mir schon wichtig, aber irgendwann kriege ich Luftnot. Dann muss ich weg. Ich brauche freieren Wind um die Nase.

sueddeutsche.de: Sie steuern Richtung Freiheit. Das könnte in Zeiten der Globalisierung ein gängiges Lebensmodell werden.

Ringsgwandl: Es gibt nur wenige, die wie ich durch die Gegend ziehen, der große Teil der Menschen ist auf eine archaische Art verwurzelt. Ich kenne einen ganzen Schwung von jungen Leuten, die sind jetzt ungefähr 30. Sie kommen alle aus Unterschleißheim, alle aus der gleichen Schicht, waren alle in der gleichen Schule und sie wohnen immer noch dort. Andere bleiben ihr Leben lang in Berg am Laim. Unser Gitarrist Nick Woodland wohnt seit 30 Jahren immer in der gleichen Ecke in Schwabing, obwohl er wegen der hohen Mieten fast pleitegeht. Er würde niemals dort weggehen. Selbst in der globalen Welt ist es so, dass die meisten Leute an einem Ort aufwachsen und ihr ganzes Leben dort bleiben. Das ist auch ganz schön so. Man muss es halt mögen. Die Verwurzelung hat ihren Preis und die Mobilität hat ihren Preis.

Lesen Sie weiter: Was Georg Ringsgwandl unter Öko-Provinz-Schwachsinnigkeiten versteht und eine Antwort auf die Frage, ob einer wie er keine Heimat braucht.

sueddeutsche.de: Sie sind in Bad Reichenhall geboren und haben in Würzburg, Garmisch, Kiel, Berlin, München und Hamburg gewohnt. Seit zwölf Jahren leben Sie in Murnau. Ist das nicht ein bisschen provinziell für jemanden, der die Freiheit liebt?

Ringsgwandl: Ich bin sehr gerne in Murnau. Ich gehöre da auch ein bisschen dazu, aber eben nicht so wie die Leute, die sich wirklich dort zu Hause fühlen. Das tut mir ab und zu leid, weil ich merke, dass ich nicht so integriert und akzeptiert bin wie manche, die dort ein warmes Nest haben. Aber da bin ich selbst schuld.

sueddeutsche.de: Warum?

Ringsgwandl: Ich mag mich nicht vereinnahmen lassen. Ich weiß, wenn ich zu einem bestimmten Teil dieser Kleinstadtbevölkerung wirklich dazugehören will, dann heißt das, dass ich auch bestimmte Glaubensgrundsätze übernehmen muss.

sueddeutsche.de: Welche denn?

Ringsgwandl: In meinem Fall müsste ich in dieser aufgeschlossenen bürgerlichen Szenerie, in der ich da so meine Bekannten habe, drei Eide schwören auf die segensreiche Kraft der Blockheizkraftwerke und ich müsste meine unbedingte Sympathie für die nordamerikanischen Indianer, den Buddhismus und die Obertonsänger in der Mongolei bekunden. Aber ich bin eben kein Freund von solchen Öko-Provinz-Schwachsinnigkeiten.

sueddeutsche.de: Und Sie sagen den Leuten das auch so?

Ringsgwandl: Diese Leute hassen meine ironische Art, mit diesen Dingen umzugehen. Wenn mir einer eine Stunde lang vom Blockheizkraftwerk erzählt, dann mach ich eine scharfe Bemerkung - damit bin ich raus, da werde ich dann bei der nächsten Geburtstagsfeier nicht mehr eingeladen.

sueddeutsche.de: War die Suche nach Freiheit auch der Grund dafür, dass Sie als 19-Jähriger aus Ihrem Heimatort weggegangen sind?

Ringsgwandl: Ich wollte aus Bayern raus, aus dieser provinziellen Enge, in der ich aufgewachsen bin: Bad Reichenhall in der Nachkriegszeit, dieses kleine Kaff. Es hing auch mit meinem ärmlichen Elternhaus zusammen. Ich wollte nicht immer beengt als der unbedeutende Sohn kleiner Leute leben.

sueddeutsche.de: Sie sind später nach Kiel gezogen - das war schon ziemlich weit weg von Bayern.

Ringsgwandl: Als ich dort ankam, habe ich im Umkreis von 600 Kilometern keinen Menschen gekannt, ich habe von null angefangen. Das ist die ersten drei oder vier Monate heftig. Aber dadurch habe ich mir eine gewisse Flexibilität angeeignet und habe gelernt, in fremden Umgebungen zurechtzukommen und in kurzer Zeit Verbündete und Freunde zu finden.

sueddeutsche.de: Brauchen Sie keine Heimat?

Ringsgwandl: Mein Freundeskreis, der sich über ganz Deutschland verteilt, ist eine Art mentale Heimat. Das sind Leute, auf die ich höre und deren Urteil mir wichtig ist. Ich muss nicht zu jeder Grillfeier in Murnau eingeladen werden.

Georg Ringsgwandl wurde 1948 in Bad Reichenhall geboren. Das erste Instrument, das er lernte, war die Zither. Seine ersten Auftritte hatte er bei den Kaffeekränzchen des örtlichen Konsumladens, die Gage bestand in Wiener Würstl und Limo. Als er im Alter von 18 Jahren im Sanatorium eine Lungentuberkulose auskurierte, schrieb Ringsgwandl erste Songs. Er studierte Medizin und arbeitete als Arzt. 1993 gab er seine medizinische Karriere zugunsten der Bühne auf. Ringsgwandl hat zahlreiche Platten gemacht, verschiedene Theaterstücke geschrieben und ist mit vielen Preisen ausgezeichnet worden, unter anderem mit dem Bayerischen Kabarettpreis.

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