Interview mit Psychiater Nedopil:"Der Mann wollte alles vernichten"

Nach dem schrecklichen Mord im Münchner Westend spricht der forensische Psychiater Norbert Nedopil mit der SZ über den Mörder und dessen Motive.

Interview: Susi Wimmer

Ein 45-jähriger Mann reist von Wuppertal nach München, passt morgens seine ehemalige Geliebte auf offener Straße im Westend ab, tötet sie mit mehreren Schüssen, verletzt ihre Tochter schwer und richtet dann die Waffe gegen sich selbst. Was treibt einen Menschen zu einer derartigen Tat? Warum zielt er auf ein unschuldiges Kind? Hätte man ein derartiges Ausrasten vorhersehen können? Professor Norbert Nedopil, Leiter der Abteilung für Forensische Psychiatrie an der LMU-Klinik für Psychiatrie, gibt Antworten.

Mord in München

Psychiater Norbert Nedopil, Abteilung für Forensische Psychiatrie LMU Innenstadt .

(Foto: Foto: Heddergott)

SZ: Was treibt einen Menschen an, der einen erweiterten Suizid plant?

Nedopil: Für diese Personen steht der Suizid klar im Vordergrund. Da ist beispielsweise die depressive Mutter, die die Welt als schlecht ansieht, aus dem Leben scheiden und ihr Kind mitnehmen will, um ihm ebenfalls die Misere der Welt zu ersparen. Anders ist der Folgesuizid nach einem Mord zu sehen. Nehmen wir den Amokläufer von Erfurt. Der war in erster Linie getrieben von Rachegedanken. Das ist ein großer Unterschied zum erweiterten Suizid.

SZ:Ist eine derartige Reaktion an einem Kulturkreis festzumachen?

Nedopil: Beim erweiterteten Suizid sicher nicht. Die Menschen hingegen, die von Rache getrieben sind, sind meist jünger, so bis etwa 30 Jahre, und häufig findet sich, wenn Partner die Opfer sind, eine orientalische Prägung, zum Beispiel, wenn die Trennung eine Ehrverletzung bedeutet. Diese Menschen stehen dann mit dem Rücken zur Wand und haben keinen Handlungsspielraum.

SZ: Kann man eine Tat, wie sie eben in München passiert ist, vorhersehen?

Nedopil: Derart seltene Ereignisse sind immer schwer vorherzusehen. Höchstens, wenn man die Verhältnisse näher kennt und weiß, dass der Betroffene im Vorfeld bereits Drohungen ausgestoßen und verwirklicht hat. Wenn er dann erneut droht, ist es nicht abwegig, dass er eine seine Drohung verwirklicht.

"Der Mann wollte alles vernichten"

SZ: Haben Menschen, die solche Taten verüben, eine bestimmte Disposition?

Nedopil: Es sind Personen, die impulsiver und kränkbarer sind als die meisten Menschen und die sich ein egozentrisches Weltbild zurechtgelegt haben. Für sie haben Verpflichtungen anderen gegenüber weniger Bedeutung als die Durchsetzung eigener Interessen. Und meist haben diese Menschen auch einen mangelnden Halt in ihrer Umgebung.

SZ: Wieso zielt der Täter auf ein wehrloses und unbeteiligtes Kind?

Nedopil: Häufig stecken Kränkung und Rache dahinter. Der Mann will vernichten, was das Leben der Frau ausmacht. Er will ihre Existenz und die gemeinsame Vergangenheit auslöschen, und da gehören das Kind und letztendlich auch er selber dazu.

SZ: Glauben Sie, dass diese Täter im Affekt handeln?

Nedopil: Nicht im juristischen Sinn. Der einzige Affektaspekt sind die Wut und die Verzweiflung, die sich über lange Zeit aufgestaut haben. Aber in den meisten Fällen hat der Betroffene die Tat vormeditiert. Das heißt, er hat diese Handlung in seiner Phantasie schon erwogen und durchgespielt.

SZ:Der 45-Jährige hat die Frau auf offener Straße abgepasst, morgens, als viele Menschen unterwegs waren. Wollte er damit etwas demonstrieren?

Nedopil: Ich glaube nicht. Bei Beziehungstaten ist es oft so, dass ein Kontaktverbot bestand und der Mann nicht in die Wohnung durfte. Ich denke, für den Täter war der Zeitpunkt auf der Straße einfach eine passende Gelegenheit.

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