Interview mit Klaus Lemke:Darkrooms der Seele

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Der legendäre Regisseur Klaus Lemke dreht seinen neuen Film in Schwabing. Ein Gespräch über die Münchner Spießigkeit und seine neue Lieblingsbar.

Beate Wild

In den siebziger Jahren begründete Klaus Lemke mit Filmen wie "Amore" und "Idole" die Münchner Milieukomödie. Seine Geschichten spielten ausschließlich in Schwabing, das damals Tummelplatz der Münchner Bohème und Filmschaffenden war. Der Regisseur, der stets nur mit Laiendarstellern dreht, entdeckte heutige Stars wie Iris Berben, Cleo Kretschmer, Dolly Dollar und Wolfgang Fierek. Nachdem er sich in den vergangenen Jahren von München als Drehort abgewandt hatte und vor allem in Hamburg arbeitete, dreht der 68-Jährige seit vergangener Woche wieder in Schwabing.

sueddeutsche.de: Herr Lemke, kürzlich haben Sie über Schwabing gesagt, es sei der Gipfel an Spießigkeit.

Lemke: Schwabing war einmal ein Splitter vom Paradies. Heute habe ich hier das Gefühl wie in einem lauwarmen Swimmingpool mit zwei staubtrockenen Lesben. Glamour ist zu allererst Widerstand gegen jede Regulierung. In München laufen nur noch rebellische Unschuldslämmer herum, Söhne und Töchter aus den Grünwalder und Starnberger Elendsvierteln.

sueddeutsche.de: Und genau hier wollen Sie nun Ihren neuen Film drehen? Ist mit Schwabing etwas passiert oder warum haben Sie es sich anders überlegt?

Lemke: Ich werde in Hamburg ständig gefragt, wie ich in so einer Stadt die Hälfte meiner Zeit verbringen kann. Aus reiner Wut, dass ich darauf keine Antwort habe, drehe ich jetzt einen Film, der Hamburger und Berliner vom Stuhl haut und sie zum sofortigen Umzug nach München zwingt.

sueddeutsche.de: Der Titel lautet "Schmutziger Süden". Um was geht es?

Lemke: Eine extrem missbrauchsanfällige Barfrau, 26, die ihren Sex unverblümt mit barocker Energie verschwendet in der Hoffnung, Liebe dafür zurückzubekommen. Schließlich ausgeplündert und ohne etwas bekommen zu haben, bricht sie aus ihrem Gefängnis falscher Gefühle aus - und rächt sich.

sueddeutsche.de: Eine unglückliche Liebesgeschichte?

Lemke: Eine Dreiecksbeziehung zwischen einem gutaussehenden Mann, einer Barfrau und einer jungen Nymphomanin.

sueddeutsche.de: Wer spielt in dem neuen Film mit?

Lemke: Es spielen wie immer Nichtschauspieler mit, die ich im Umkreis von hundert Metern von meinem Appartement in der Amalienstraße gefunden habe.

sueddeutsche.de: Was haben Laiendarsteller den professionellen Schauspielern voraus?

Lemke: Der ganze Sinn ist, dass ich mit meinem Erzählen dem subjektiven Erleben der Person nahekomme. Schauspieler erleben nichts. Die reden nur über die Rente und die Gala.

Lesen Sie auf Seite 2, was Lemke von Til Schweigers Castingshow "Mission Hollywood" hält und wo sein neues Schwabinger Wohnzimmer ist.

sueddeutsche.de: Das sehen viele aber anders. Seit kurzem läuft im deutschen Fernsehen "Mission Hollywood", eine Castingshow für Schauspieler mit Til Schweiger. Was halten Sie davon?

Lemke: "Keinohrhasen" ist einer der fünf besten deutschen Filme, keine Frage. Aber Til hat es nicht mal selbst nach Hollywood geschafft. Die Filme, in denen er spielt, sind alle von Deutschen bezahlt.

sueddeutsche.de: Wie merken Sie, ob Ihre Darsteller Talent haben?

Lemke: Die Leute sehen nicht so aus, aber ich merke, wenn eine Begabung da ist. Jemand anders hätte doch nie im Leben Iris Berben, Cleo Kretschmer oder Wolfgang Fiereck engagiert. Ich mache die Augen zu und höre mir nur die Stimme an. Deshalb habe ich immer die Mütze auf, weil ich so heimlich die Augen schließen kann, wenn ich mit meinem künftigen Star rede.

sueddeutsche.de: Vor zwei Jahren wollten Sie schon einmal ein Filmprojekt mit dem Titel "Schmutziger Süden" starten. Sie haben dann aber abgebrochen, wieso?

Lemke: Ich habe nicht viele Taschen, in die ich greifen kann, aber es sind wenigstens meine eigenen. Der letzte Versuch in München wurde zu teuer.

sueddeutsche.de: Die Story des neuen Films spielt vor allem im "Horses, Cars & Stars", einer Interimsbar in der Schellingstraße. Wieso ausgerechnet hier?

Lemke: Meine Münchner Filme wie "Amore" oder "Ein komischer Heiliger" entstanden immer im Dunstkreis eines Lokals. In den siebziger Jahren waren das die "Klappe" oder das "Café Capri". Das waren unsere öffentlichen Wohnzimmer. Jeder, der von uns was wollte, konnte uns da treffen. Jetzt habe ich endlich wieder ein neues "Capri" und einen neue "Klappe" gefunden: das "Horses" in der Schellingstraße 24. Die einzigen paar Quadratmeter Großstadt in dem verschlafenen Schwabing. Hier spielt mein Film, hier arbeitet die Barfrau, hier werden die Erfolge und Tragödien gefeiert.

sueddeutsche.de: Streng genommen ist die Schellingstraße nicht Schwabing, sondern Maxvorstadt.

Lemke: Das auch noch.

sueddeutsche.de: Wieso drehen Sie eigentlich nicht im derzeit so angesagten Glockenbachviertel? Wäre das nicht inspirierender als das spießige Schwabing?

Lemke: Im Glockenbachviertel sehe ich nur verheulte Trennungsväter und Mädchen auf dem Weg zur alleinerziehenden Mutter.

Lesen Sie auf Seite 3, was Frauen wirklich wollen und wie sich die Münchner Mädchen verändert haben.

sueddeutsche.de: Sie drehen ohne Drehbuch. Wie entsteht die Geschichte?

Lemke: Die Story entwickelt sich, das echte Leben fließt mit ein. Einer der Darsteller beispielsweise, Gabriel Raab, hat tatsächlich jetzt eine Rolle in "Jedermann" in Salzburg bekommen. Das ist nun auch Teil meiner Geschichte geworden.

sueddeutsche.de: Frauen spielen in Ihren Filmen immer die zentralen Rollen. Warum sind Ihnen die Frauen so wichtig?

Lemke: Es geht in meinen Filmen um die "Darkrooms" der weiblichen Seele. Darum, was Frauen wirklich wollen.

sueddeutsche.de: Und was wollen Frauen wirklich?

Lemke: Respekt. Und keine Regulierung durch Männer. Was sie wirklich wollen, ist ein Böser, der sie aus dem Gefängnis ihrer weiblichen Selbstinszenierung herausreißt. Und das kann wirklich nur ein Böser. Keineswegs genügt ein in den Tiefen seines Ichs verkannter Spaßpapa, das sind die nämlich alle hier in München. Und das führt dazu, dass Mädchen gelegentlich aus Mangel an richtigen Jungs zu peripherem Sex neigen. Sie verlieben sich plötzlich in ihren Wasserhahn oder den Dalai Lama.

sueddeutsche.de: Sind die Münchner Mädchen heute anders als damals in den siebziger Jahren?

Lemke: Es hat sich nichts geändert. Heute wie damals besteht das Leben von Mädchen darin, sich von einer Katastrophe in die nächst größere zu retten. Nur die Skrupel sind geringer geworden. Nach wie vor fragt sich jedes Mädchen, warum eigentlich ausgerechnet sie ihr Leben leben muss. Da es darauf keine Antwort gibt, schalten die meisten Til Schweigers Hollywood-Show ein.

sueddeutsche.de: Demnächst startet wieder das Münchner Filmfest. Interessiert Sie das?

Lemke: So wie jede Filmförderung aus Steuermitteln endet auch das Filmfest München im vollklimatisierten Massengrab allerbester Absichten. In München werden lediglich Trends befolgt, die woanders gemacht werden. Die in München allgegenwärtige SPD-Erziehung zur Harmlosigkeit killt jeden innovativen "Punch".

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