Interview mit Daniel Kehlmann:"E-Mails ermöglichen fiktive Existenzen"

Ein Gespräch mit dem Bestseller-Autor Daniel Kehlmann über seinen neuen Roman "Ruhm", Stalker, Computerfreaks und Hitze, die Phantasie tötet.

Agnes Hüfner

Der in München gebürtige Philosoph und Schriftsteller Daniel Kehlmann hat mit seinem Roman "Die Vermessung der Welt" einen international gefeierten Coup gelandet. Sein neuer Roman "Ruhm", der aus neun miteinander vernetzten Geschichten besteht, wurde von der Kritik eher zurückhaltend aufgenommen. Das hat sich auf die Verkaufszahlen allerdings kaum negativ ausgewirkt. Kehlmann, in Wien lebend, liest am Dienstag, den 17. Februar, im Literaturhaus aus "Ruhm".

Interview mit Daniel Kehlmann: Computerfreaks - die neue Welt des Daniel Kehlmann.

Computerfreaks - die neue Welt des Daniel Kehlmann.

(Foto: Foto: ddp)

SZ: Der Titel Ihres neuen Buchs spielt mit der Erwartung, hier erfahre man Grundlegendes über den Ruhm. Eine ihrer Figuren, der bekannte Schriftsteller Leo Richter, wird von einem Stalker verfolgt, eine andere fühlt sich befreit, als ein Imitator ihm die Schau, die Aufträge, die Villa mitsamt dem Personal stiehlt. Sie sprechen aus Erfahrung?

Kehlmann: Eigentlich nicht. Das Unangenehmste, was mir der Ruhm einbrachte, waren einige seltsame Briefe. Keinerlei Stalker, keine Versuche, mir die Persönlichkeit zu stehlen. Ich wäre auch sehr überrascht gewesen, wenn die jemand gewollt hätte. Ich fürchte, Autoren sind nicht interessant genug dafür. Ich jedenfalls bin es nicht.

SZ: In der Geschichte des Stalkers benutzen Sie den Jargon von Computerfreaks. Ist das nun Satire auf neudeutsches Gestammel oder soll die Spracharmut der Figur Mitleid mit dem Mann wecken?

Kehlmann: Mitleid kann und soll man schon haben mit ihm - aber der "Jargon von Computerfreaks" ist das eigentlich nicht, sondern eine von mir erfundene Kunstsprache. Es wäre allzu banal gewesen, Internetjargon bloß nachzuahmen - abgesehen davon, dass es im Grunde keinen Internetjargon gibt. Das Netz zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass jeder schreibt, was und wie es ihm gerade einfällt. Mollwitz, der Stalker, ist spracharm, das stimmt, aber die Geschichte selbst darf es nicht sein, daher habe ich versucht, seinem Stil soviel Kraft und Poesie zu verleihen, wie ich konnte - gleichsam hinter Mollwitz' Rücken und ohne dass er es bemerkte.

SZ: Andererseits zeigen Sie Figuren, die keinen Ersatz für ihre Realität suchen. Die krebskranke Rosalie überredet den Autor, sie aus der Literatur zurück ins Leben zu entlassen. Ähnlich vehement wehrt sich die Ärztin Elisabeth dagegen, dass ihre Person und ihre Arbeit für die Organisation "Ärzte ohne Grenzen" literarisch verarbeitet wird. Das Elend in Afrika erscheint ihr zu groß, um es literarisch angemessen wiedergeben zu können. Bedeutet das, die Literatur würde vor den Schrecken der Wirklichkeit versagen?

Kehlmann: Aber das tut sie doch! Ständig. Es ist noch nicht das Schlimmste, heißt es im "König Lear", solange man noch sagen kann, das ist das Schlimmste. Am Ende stößt die Sprache immer an ihre Grenzen. Der pure Schmerz ist stumm.

SZ: Den Traum, frei über sein Leben entscheiden zu können, teilen viele Ihrer Helden. Fast immer wird nichts daraus. Miguel Auristos Blancos, Erfolgsautor, aber scheint es zu gelingen. Ob er sich umbringt oder nicht, wollten Sie nicht entscheiden.

Kehlmann: Nein. Der offene Schluss ist doch eines der ältesten Stilmittel der Kurzgeschichte. Ich wäre froh, wenn ich das erfunden hätte, aber es war schon lange vor mir da.

SZ: Ebling, ein Techniker, eine graue Maus, erhält eines Tages aus Versehen Nachrichten und Anrufe auf seinem Handy, die nicht für ihn, sondern für einen von Gott und der Welt und besonders von Frauen gefragten Unbekannten bestimmt sind. Heißt das, technische Pannen können neue Wirklichkeiten schaffen? Wie ernst ist es Ihnen damit?

Kehlmann: Sehr ernst. Die Technik schafft ständig neue Wirklichkeiten. Handys und E-Mail ermöglichen Doppelleben und fiktive Existenzen. Und wenn es Pannen gibt, entstehen daraus Geschichten, wie sie vorher undenkbar waren.

SZ: Die Krimiautorin Maria Rubinstein vergisst, auf eine Reise in den vorzivilisatorischen Osten das Aufladegerät ihres Handys mitzunehmen. Abgeschnitten von allen Kommunikationsmöglichkeiten, kommt sie nicht mehr nach Hause. Sie bedienen jedes Klischee über den unzivilisierten Osten.

Kehlmann: Klischee? Ich habe viele Monate in Zentralasien verbracht, und nur weil es ein Klischee sein mag, dass dort alle Züge Verspätung haben oder erst gar nicht kommen, kann ich nicht so tun, als wäre das anders. Fliegen Sie doch mal hin, Sie werden überrascht sein, wie viele quietschlebendige Allgemeinplätze Ihnen begegnen. Es ist ein chaotischer, dysfunktionaler Teil der Welt, und daraus entstehen Geschichten, die es sich zu erzählen lohnt. Nur um der Originalität willen kann ich doch nicht so tun, als lebte es sich dort wie in München.

SZ: In der Geschichte "In Gefahr" wird der Autor Leo Richter nach Lesungen unentwegt gefragt, woher er seine Ideen nehme. "Badewanne", antwortet Richter. Ich würde Ihnen gern dieselbe Frage stellen. Und bitte sagen Sie nicht: Badewanne.

Kehlmann: Na gut. Dann sage ich: auf Spaziergängen. Besonders im Frühling und Frühsommer, wenn es noch nicht zu heiß ist. Hitze tötet die Phantasie. Und es hilft sehr, wenn sich ein Meer in der Nähe befindet. In der Nähe des Meeres geht alles besser - auch das Erfinden.

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