Süddeutsche Zeitung

Internet World Messe:Wo Kameras Emotionen messen

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Bei Europas größter Internethandel-Messe präsentieren Aussteller die Technologien der Zukunft - die teils in Deutschland verboten sind.

Von Isabel Meixner

Ein Brillenträger zieht Grimassen vor einer Kamera und beobachtet auf einem Bildschirm darunter, wie sich die verschiedenen Stimmungsbalken verschieben. Am Anfang zeigt dieser überwiegend "surprised" und ein klein wenig "sad" an, später dann zunehmend "happy". Der Computer in der Kamera schätzt das Alter des Mannes zwischen 35 und 43 Jahre, je nachdem, ob er seine Brille abnimmt. "Das ist irgendwie schon abgefahren", sagt er zu seiner Freundin, und seine Stimme schwankt dabei zwischen Neugierde und Nachdenklichkeit.

Dieser "Stimmungsausleser" ist eine der Zukunftstechnologien, die gerade auf der Internet World Messe, Europas größter E-Commerce-Messe, in München präsentiert werden. Mehr als 360 Aussteller und Sponsoren präsentieren in zwei Messehallen Entwicklungen, die heute noch futuristisch und wie einem Science-Fiction-Film entsprungen anmuten, in ein paar Jahren aber Realität sein könnten.

So wie die Kamera, die in den Vereinigten Staaten längst nicht mehr nur Emotionen der Menschen ausliest: Dort lassen Kunden in Shopping Malls Größe, Statur, Gewicht und Kleidungsstil scannen und sich anschließend vorschlagen, in welchen Geschäften sie ihre Einkäufe erledigen sollen.

In Deutschland wurde die Technologie bisher nur in abgeschwächter Variante in Hamburg getestet; hier wurden für weibliche Passanten je nach deren Stimmung unterschiedliche Werbungen an Bildschirmen gespielt. Ein Körperscannen wie in den USA sei in Deutschland noch nicht möglich - Datenschutz, sagt Sebastian Raßmann. Er ist Senior Innovation Advisor bei der Zukunftsagentur Trendone und präsentiert auf der Internet World Messe Brillen, die die Welt verändern sollen.

Das Oculus Rift zum Beispiel. "Das wird in den nächsten Jahren durch die Decke gehen", glaubt Raßmann. Diese überdimensionale Brille entführt den Besucher über eine Applikation in die größte Tempelanlage von Ägypten, in den Karnak-Tempel nach Luxor. Plötzlich steht man zwischen den beeindruckenden Säulen, hat dank der dreidimensionalen Bilder das Gefühl, die Hieroglyphen anfassen zu können. Will der Besucher hinter die nächsten Säule blicken, fixiert er kurz den kleinen grünen Ring, der in der Luxor-Applikation aufleuchtet, und schon geht es weiter.

Es gibt Systeme, die Hitze simulieren

Wie trocken die ägyptische Wüste ist, spürt man zwar nicht - doch technologisch wäre das möglich: Es gebe Systeme der Virtual Reality (VR), die den Besucher Hitze spüren lassen, sagt Raßmann. Dass sich diese Technologie aus der Gaming Industrie durchsetzt, daran hat er keinen Zweifel: "Viele sagen, dass das das Smartphone ablöst." Gäste von Marriott Hotels könnten ihre Zimmer so bereits vorab virtuell besichtigen.

Nicht nur die VR-Brillen haben zum Ziel, ferne Bilder und Begebenheiten virtuell zu erfassen und überall zugänglich zu machen. Der Internetkonzern Google arbeitet gerade an einer Brille mit eingebauter Kamera, die Instruktionen für Mitarbeiter obsolet machen könnte. Das Prinzip: Die Brille verschickt Fotos und Videos direkt über Wlan und erhält von einer Datencloud oder einem Leitstand umgehend Informationen und Anleitungen für ihren Träger.

Das könnte die Brille vor allem für die Arbeitswelt attraktiv machen. In Deutschland ist diese Technologie aus Datenschutzgründen verboten, weil von Menschen ohne deren Wissen Fotos und Videos verschickt werden können. Sebastian Raßmann zeigt sich optimistisch, dass sich Deutschland beim Datenschutz bewegt: "Der Druck ist groß, die Datenschutzrichtlinien zu lockern. Da wird sich etwas tun."

So manchen Messebesucher bringen diese und andere Technologien ins Grübeln, weil sie die Menschen immer mehr vom Individuum zu einem genau auslesbaren Konsumenten verwandeln können und Informationen omnipräsent machen. So auch der Amazon-Dash-Button, der mit nur einem Klick via Internet neue Kaffee-Tabs innerhalb von ein paar Stunden bestellt; der sogar über einen Algorithmus berechnet, wann Nachschub fällig ist.

Eine neue Skibrille teilt Wartezeiten am Lift mit

Oder "Alexa", eine Heimautomatisierungszentrale im Dauer-Stand-by von Amazon, die auf Zuruf Pizza bestellen kann. Wer sie mit ihrem Namen anspricht, kann Alexa auch bitten, das Licht anzumachen, vom Tablet "Born in the USA" zu spielen oder zu erklären, wie ein Ei gekocht wird.

Seit drei Jahren bereits kommt die Skibrille zum Einsatz, die am Stand des österreichischen E-Business-Unternehmen Evolaris liegt. Sie zeigt über einen kleinen, eingebauten Bildschirm an, an welchen Liften es sich gerade staut, wie das Wetter wird oder welche Hütten besondere Angebote haben. Der österreichische Verbund Ski amadé verleiht diese Brillen seit ein paar Jahren, weitere Skigebiete sollen folgen.

Ob sich auch die anderen Neuerungen wie die VR-Brillen im Privaten so durchsetzen werden? "Vielleicht nicht für zu Hause", sagt Theodor Zus von Evolaris. "Aber in der Arbeits-, Service- und Sportwelt auf jeden Fall."

Die Internet World Messe ist noch an diesem Mittwoch, 2. März, auf dem Münchner Messegelände geöffnet. Der Besuch ist kostenlos. Weitere Informationen unter www.internetworld-messe.de

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Quelle:
SZ vom 02.03.2016
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