Jazz-Festivals in Bayern:Immer den blauen Noten nach

Lesezeit: 6 Min.

Das Nürnberger Bardentreffen zieht mit musikalischer Vielfalt die Massen an. (Foto: Berny Meyer/obs / dpa)

Welche Ausflüge zu Jazz- und Weltmusikfestivals sich in diesem Sommer lohnen.

Von Oliver Hochkeppel

Die Münchner Jazz- und Weltmusikfreunde sind es gewohnt, im Sommer auszuschwärmen. Nach Österreich zu den Inntönen oder dem Outreach-Festival in Schwaz, sogar bis nach Italien zum Südtirol Jazzfestival. Doch warum in die Ferne schweifen: Hier ein Überblick über die bayerischen Festivals, die demnächst einen Ausflug wert sind.

Mit Nora Kamm endet am 3. August der Augsburger Jazzsommer. (Foto: Matthieu Hoarau)

Zwischen Brunnen und Botanik

Früh dran ist seit 32 Jahren der Augsburger Jazzsommer. Heuer vom 3. Juli bis 6. August wird wie gewohnt mittwochs der Rosenpavillon im Botanischen Garten und samstags der Brunnenhof im Zeughaus bespielt, von vorwiegend internationalen Gästen. Den Auftakt im Botanischen Garten bestreitet mit dem vielfach preisgekrönten Sopran-Saxofonisten Émile Parisien und seinem Quartett einer der seit Jahren wichtigsten europäischen Jazzer (3.7.). Später wird es dort sehr amerikanisch: Auf den Modern-Jazz-Tenorsaxofonisten Walter Smith III. (17.7.) folgen die seit 25 Jahren in New York lebende Schweizer Avantgarde-Pianistin Sylvie Courvoisier (24.7.) und das rockige Kult-Trio The Bad Plus in neuer Besetzung (31.7.).

Immerhin hält dazwischen die hochdekorierte Klarinettistin und Komponistin Rebecca Trescher mit ihrem Tentett die Fahne des deutschen Jazz hoch (11.7.). Und auch den israelischen Star-Pianisten Omer Klein und sein Trio zum Abschluss darf man eingemeinden, lebt er doch schon seit Jahren in Frankfurt und ist aktueller Deutscher Jazzpreisträger (6.8.).

Experimenteller geht es im „urbanen Satelliten“ des Zeughaus-Brunnenhofs zu. Auf das Improvisationstrio des Kopenhagener Gitarristen Mikkel Plough (6.7.), der gerne mit Tänzern arbeitet, folgen der Hip-Hop-Jazz der Berliner Combo Bobby Rausch (13.7.) und cineastischer Kammerjazz vom Wiener Quartett des Akkordeonisten Klaus Paier und der Cellistin Asja Valcic (20.7.). Mit Mirna Bogdanović ist der neue Stern am deutschen Vocal-Jazz-Himmel zu Gast (27.7.), vorab gibt es eine Live-Aufzeichnung des BR-Klassik-Musiktalks „Hören wir Gutes und reden darüber“. Mit Nora Kamm kommt zum Finale der Rising Star der Pariser Afrojazz-Szene (3.8.).

Achtfacher Grammy-Gewinner: Christian McBride kommt nach Unterföhring. (Foto: Ebru Yildiz)

Große Namen ganz nah

Seit er 2014 die künstlerische Leitung übernahm, macht sich der Münchner Bassist Harald Scharf einen Spaß daraus, Top-Stars zum Internationalen Jazzweekend Unterföhring (11. bis 14. Juli) zu locken, die man in der Münchner Peripherie sonst nicht vermuten würde. Größen wie Tom Harrell, Esperanza Spalding, Teri Lynn Carrington, China Moses, Dianne Reeves, Andreas Schaerer, zuletzt Liz Wright und Bill Frisell sind bereits Kerben in seinem Colt. Nach dem Kinderkonzert zum Start (11.7., Die Jazzbande mit den NueJazz-Chefs Frank Wuppinger und Marco Kühnl) ist diesmal die kanadische Sängerin Dominique Fils-Aimé der erste große Name auf der Bühne des Bürgerhauses (12.7.).

Die aus einer musikalischen Familie stammende 39-Jährige aus Montreal ist eine Spätstarterin: 2015 machte sie mit einem Auftritt bei „La Voix“, der kanadischen Version von „The Voice“, erstmals von sich reden. Mit ihrer Album-Trilogie „Nameless“, „Stay Tuned“ und „Our Roots Run Deep“ zwischen 2016 und 2023 hat sie auf ihre ganz persönliche, von ihren karibischen Wurzeln geprägte Art erst den Blues, dann den Jazz und schließlich den Soul abgeklopft – und dafür einige Preise wie zwei Juno-Awards eingeheimst und sich ins internationale Rampenlicht katapultiert.

Tags darauf ist dann der achtfache Grammy-Gewinner Christian McBride zu Gast. Quasi in der Nachfolge eines Wynton Marsalis – und ebenso im klassischen amerikanischen Bebop verwurzelt – ist er einer der einflussreichsten Jazzer Amerikas. Nicht nur als Bassist mit eigenen Projekten wie als Sideman vieler Jazzstars, sondern auch als Leiter des Newport Jazz Festivals, des James Moody Jazz Festivals, des New Jersey Performing Arts Center (NJPAC) und des National Jazz Museum in Harlem. Außerdem als Pädagoge und Nachwuchsförderer, weshalb man in Unterföhring bei seinem New Quintet eine Allstar-Auswahl aufstrebender junger US-Jazzer erleben kann: die Saxofonistin Nicole Glover, den Gitarristen Ely Perlman, den Pianisten Mike King und die Schlagzeugerin Savannah Harris (13.7.).

Den Schlusspunkt setzt der ebenfalls bereits Grammy-nominierte (und Latin-Grammy-Gewinner) Emilio Solla. Der aus Argentinien stammende, in New York lebende Pianist stellt sein neues (bereits 13.) Album „El Siempre Mar“ vor, auf dem er mit dem jungen spanischen Pianisten Antonio Lizana wieder hinreißend originell seine Verschmelzung von Jazz, Tango und Flamenco weiterspinnt (14.7.).

Fernande von Sachsen singt mit ihrem Quartett im Thon-Dittmer-Hof. (Foto: Oliver Hochkeppel)

Fast alles hausgemacht

Auch das Bayerische Jazzweekend Regensburg trägt seinen Titel bewusst. Seit 1982 können und sollen sich hier vor allem heimische Jazzer präsentieren. Auf 14 Spielstätten gehen heuer vom 4. bis 7. Juli wieder 110 Konzerte mit mehr als 750 Musikern und Musikerinnen über die Bühne. Alle Stile sind bei dieser Blütenlese vertreten. Es gibt einen „Jazz Slam“ (Leerer Beutel, 4.7.), einen Jazz-Gottesdienst (Dreieinigkeitskirche, 7.7.) und eine wissenschaftliche Begleitung des Festivals, Loop-Multiinstrumentalisten wie Nils Alfs Hoop (Heimat, 5.7.), Global Jazz, in den Pop Ragendes oder Techno-Jazz. Mit 16 Bands, die sich dem Swing und Dixie verschrieben haben – von den Young Isar Stompers oder den Alligators of Swing bis zu den Roaring Zucchinis –, darf man dem Early Jazz eine gewisse Renaissance attestieren. Und mit Namen wie Emiliano Sampaios Meretrio, Marco Lobo, dem Agora Quartett oder dem Projeto Arinho ist auch der Latin Jazz stark vertreten.

Der Bismarckplatz ist traditionell die „Junge Bühne“, wo sich neben zwei Regensburger Schul-Bigband-Ensembles und Bands der Jazzabteilungen der Musikhochschulen Würzburg, Nürnberg und München präsentieren. Der Thon-Dittmer-Hof bleibt wie gewohnt die Bühne für die vom BR mitgeschnittenen Top-Acts, heuer vor allem die aufstrebenden Münchner Acts von der Tom Förster Group, dem Anton Mangold Quintett, Hanna Sikasa oder Renner bis zum Moritz Stahl Quintett, dem Fernanda von Sachsen Quartett oder dem Nils Kugelmann Trio.

In Regensburg gibt es inzwischen im Sinne der Nachhaltigkeit ebenfalls Artists in Residence, heuer ist es die inzwischen in der Münchner Szene verwurzelte Sängerin Karoline Weidt, die mit unterschiedlichen Projekten viermal zu sehen ist. Lokalmatador Gerwin Eisenhauer spielt einmal „mit friends“ in der Augustiner Wirtschaft & FassBar (5.7.) und mit Layla Carter am späten Nachmittag im Kallmünz und spätabends im Degginger (6.7.). Und etwas internationaler stellt man sich inzwischen auch auf, mit Gästen aus den Partnerstädten Aberdeen und Pilsen, interkulturellen Projekten und einigen Bands aus Österreich und der Schweiz.

Marina Satti ist auf Kreta aufgewachsen. (Foto: Peggy Theodorogianni)

Weltmusik rekordverdächtig

Nürnberg hat mit „Rock im Park“ und „Rock am Ring“ nicht nur beim Rock die Nase vorn, was die Besucherzahlen angeht, die Stadt beheimatet auch das größte Weltmusikfestival Europas. Rund 200 000 Besucher wälzen sich jährlich an drei Tagen beim Bardentreffen durch die Altstadt. So groß hat es freilich 1972 nicht angefangen. Erst mit den Jahren hat sich aus einem kleinen Treffen politisch bewegter Liedermacher ein Hotspot des Global Pop entwickelt, das seine Wurzeln pflegt, aber unter einem jedes Jahr wechselnden Motto Schwerpunkte setzt.

„Mediterranean Crossing“ lautet es bei der diesjährigen Ausgabe vom 26. bis 28. Juli. Auf den Bühnen in der Nürnberger Altstadt soll deutlich werden, wie die unterschiedlichsten Kulturen rund um das Mittelmeer bis heute von gegenseitigem Austausch geprägt sind. Hören kann man also zum Beispiel, welche Einflüsse die arabische und jüdische Musiktradition auf die iberische Halbinsel und insbesondere den Flamenco hatten. Welche Parallelen sich in nordafrikanischer Gnawa- und süditalienischer Tarantella-Musik finden. Was die aktuellen Strömungen im griechischen Rembetiko sind, und welche Auswirkungen all das auf die aktuelle Popmusik hat.

Zu erleben unter anderem bei der auf Kreta aufgewachsenen Sängerin Marina Satti, bei dem traditionelle spanische Musik mit Elektronik tanzbar machenden Kollektiv Baiuca; beim syrisch-palästinensischen Pianisten, Sänger und „Creole“-Weltmusikpreisträger Aeham Ahmad und der algerischen Band Labess; bei Light in Babylon um die israelische Sängerin mit iranischen Wurzeln Michal Elia Kamal, bei Gaye Su Akyol aus der Türkei, beim Flamenco-Cantador Sebastián Cruz oder auch bei der Crucchi Gang um Frontmann Francesco Wilking mit von deutschen Songs inspiriertem Italo-Pop.

Freilich kommen auch die heimischen Weltmusiker nicht zu kurz, das Spektrum reicht hier von alten Haudegen wie Manfred Maurenbrecher oder Pigor & Eichhorn über interkulturelle Bands wie Jisr, Lucile and the Rakibuam oder der Afro-Sängerin Thabilé bis zu vielen jungen Wilden wie #zweiraumsilke, Edle Brüder, Fat like Buddha, Sondermarke oder auch den NouWell Cousines.

Einsam unter lauter Gitarristen: der E-Bassist Stefan Redtenbacher. (Foto: Oliver Hochkeppel)

Alles rund um die sechs Saiten

Im Nürnberger Land sind zum Schluss die Spezialisten gefragt, möchte man meinen. Ist doch die Gitarre immer noch ein wenig eine eigene musikalische Welt. In Pop und Rock fast immer in einer Band eingenordet, kein klassisches Jazz-Instrument und in der Klassik irgendwie geschnitten. Umso stärker hatte sich die Szene lange spezialisiert. Bis der (klassische) Gitarrist Johannes Tonio Kreusch als künstlerischer Leiter des Internationalen Gitarrenfestivals Hersbruck als einer der Ersten damit aufräumte. Von der spanischen bis zur Gypsy-Gitarre, vom Fingerstyle bis zum Flamenco, vom Barock bis zum Jazz: Alle Facetten der akustischen Gitarre finden hier – diesmal vom 10. bis 16. August – Platz, Genre-übergreifend, interdisziplinär und ganzheitlich. Nicht nur in den Konzerten, sondern begleitet von Vorträgen, Ausstellungen und einem umfangreichen Workshop-Programm, bei dem auch die großen Stars mitmachen.

Wie offen das aufgestellt ist, demonstriert schon der Eröffnungsabend unter dem Titel „Celebrating the Music of Joni Mitchell“. Der seit Langem in London lebende österreichische E-Bassist Stefan Redtenbacher erinnert mit seinem Funkestra und den Gesangsgästen Jana Varga, Jo Harman und Georgie van Etten aus der britischen Szene an die legendäre Songwriterin zwischen Pop und Jazz (10.8.). „Art of Guitar Trio“ zelebrieren das Alegrías Guitar Trio und das Volterra Project der klassischen Star-Gitarristin Antigoni Goni (11.8.). Moderner Flamenco ist mit der Tänzerin Leonor Leal y Grupo und dem Gitarristen José Carlos Gómez angesagt (12.8.), klassische Gitarre beim Triple-Konzert mit Émilie Fend, David Leisner und Stephanie Jones (15.8.), Blues & Crossover im Finale mit dem schon fest zur Hersbrucker Gitarrenfamilie gehörenden Grammy-Gewinner und Los Angeles Guitar Quartet-Mitglied Andy York sowie Connor Selby mit seiner Band (16.8.).

Dazwischen gibt es die traditionelle „Fingerstyle Night“ mit Sönke Meinen, Michael Langer und der grandiosen Badi Assad (15.8.). Und eine Fiesta Cubana, bei der die Ecos De Siboney den Buena Vista Social Club wieder aufleben lassen.

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