Interimsquartier:Wenn der Gasteig nach Sendling zieht, müssen andere weichen

Areal der Stadtwerke München in Sendling, 2017

Derzeit nutzen die Stadtwerke und Händler, Handwerker, Künstler und Fotografen das Areal südlich der Brudermühlstraße.

(Foto: Stephan Rumpf)
  • Während der Gasteig saniert wird, könnte die Kulturstätte nach Sendling auf ein Stadtwerke-Gelände ziehen.
  • Dort befinden sich allerdings schon Handwerksbetriebe, Künstler und Proberäume.
  • An der Brudermühlstraße ist man deshalb nicht begeistert über die Pläne der Stadt.

Von Michael Zirnstein

Die Kultur soll auf einem Stadtwerke-Gelände an der Brudermühlbrücke einziehen, dabei ist sie längst da. Auch ohne den Gasteig als neuen Alleinmieter gibt es schon zwei Bühnen. Marlene Beck und Christine Steinhart haben hier im ersten Stock des Hauses C ihre Schauspielschule Artemis. Zusammen mit 15 Lehrern bilden sie 20 Schüler aus, auch zwei private Gruppen treffen sich hier, und immer wieder machen sie aus den beiden Probenräumen ein Studiotheater. Wenn Beck "Kleine Eheverbrechen" inszeniert, werden 40 Stühle aufgestellt. Mundpropaganda reicht, sagt Beck, "wir mögen die intimen Momente - es gibt ja kaum noch Hinterhofheater in München". Sollte mal eine Ehedrama-Szene heftiger ausfallen, dann stehe auch nicht gleich die Polizei in der Tür, der Lärm "schwappt hinüber zur Isar".

Das Loft mit den beiden hellen Räumen und hohen Decken ist für ihre Zwecke ideal, seit zehn Jahren sind sie hier in Sendling, die Stadtwerke haben die bezahlbare Miete nie erhöht, dafür arrangiert man sich mit den Fenstern, in die es ab und zu hereinregnet. "Wir fühlten uns beschützt", sagt die Schauspiellehrerin und klatscht die Hände zusammen: "Und jetzt: Bumm!"

Gasteig-Chef Max Wagner und Bürgermeister Josef Schmid (CSU) haben ein Auge auf die Gebäude geworfen, als Ausweichquartier, wenn das Kulturzentrum saniert wird. Bis Anfang August wird geprüft. 70 Hauptmieter - insgesamt sind es etwa 300, 400 Schaffende - müssten sich neue Werkstätten, Ateliers, Büros und Probenräume suchen. "Ich habe auf Immoscout geschaut, es würde das Doppelte kosten", sagt Beck und blickt durch die Glasfront auf den Backsteinkoloss gegenüber, in dem von 2021 an die Philharmoniker spielen könnten. "Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie die Zuhörerinnen da übers kaputte Pflaster stöckeln", sagt sie.

Direkt unter dem Fenster fällt ihr Blick auf einige junge Frauen und Männer, die sich auf dem Asphalt sonnen, tanzen und singen. Sie studieren hier im International Munich Art Lab auch ein Bühnenprojekt ein, unterstützt vom Arbeitsamt. Wen man fragt: Die aufgeweckten jungen Leute sorgen für gute Laune auf dem Stadtwerkegelände um die Lagerhalle E-Werk Süd - ein viel zu sperriger Name. Die momentanen Nutzer sagen, nach der Einfahrt an der Hans-Preißinger-Straße, "Hansi" dazu. Das passt besser zum Mobilspiel-Verein, der seine 14 Spielkistl hier parkt: bunt bemalte Bauwagen, die der Verein im Auftrag des Stadtjugendamtes vermietet, mit Spielen für Rollstuhlfahrer, Melk-die-Kuh für 26 Euro am Tag, Hau-die-Erbse für 6 Euro.

"Hansi" passt auch besser zum Unternehmen von Peter Hornung: Er verkauft in diesem "Biotop der Kreativität" seine "Hinterher"-Fahrradanhänger - in München entwickelt, in der Region hergestellt. Dafür erhielt er den Umweltpreis der Stadt, auch weil er mit seiner Erfindung den Verkehr der Radlhauptstadt entlastet. Dem Versprechen Max Wagners, er werde schauen, ob er einige der Kreativen im Interims-Gasteig unterbringen könne, glaubt er nicht: Zunächst würde das Gelände eine Baustelle, da müssten alle raus. Und "ungeliebtes Handwerk", das schmutze und lärme, kehre nie wieder an den Ort in der Stadt zurück, von dem es vertrieben wurde, bestenfalls kämen reiche Agenturen und Modelabels mit "sauberem Image".

Das befürchten gerade Handwerker wie Hans Murr. Der Schreiner ist Mieter, seit die Stadtwerke hier vor 18 Jahren ihre Elektrowerkstatt geräumt haben. Er hat einiges mitgemacht, die Fernwärmeheizung, die sich nicht ausstellen ließ, einen Wasserrohrbruch, doch er fühlt sich am rechten Platz: "Wo kann man sich denn sonst mit dem 40-Tonner direkt an der Tür beliefern lassen?" Das ginge nur noch fern der Stammkundschaft vor den Stadttoren. "Die sollen was suchen für den Gasteig, was leer steht", schimpft sein Kollege Gerhard Pankofer, "das macht einen schon grantig, dass die über Leichen gehen."

Die Mieter dachten, sie hätten noch zehn Jahre Schonfrist

So sieht das auch Alexander Nawrath: "Wenn wir hier wegmüssen, können wir gleich schließen." Er zog vor sieben Jahren mit seiner Kfz-Werkstatt hierher. Davor stehen Kundenautos, eher Familienkombis und alte VW-Busse. Er fragt sich, wie das gehen soll, wenn statt 300 Leuten täglich 2000 auf das Gelände strömen und die Gegend zuparken. "In Riem hätten sie für den Gasteig eine U-Bahn und genug Parkplätze", sagt er. Deadline für alle, so habe ein anderer Mieter durch einen Anruf bei den Stadtwerken erfahren, soll Ende 2018 sein. Dass sie irgendwann gehen müssen aus dem gelobten Land, wissen die Mieter seit einem Beschluss der Lokalbaukommission vor einem Jahr. Das Gelände soll neu "beplant" werden. Die Mieter dachten, sie hätten noch zehn Jahre Schonfrist.

Gerade ließen die Stadtwerke von hier ansässigen Architekten die Toiletten schick herrichten. "Und ich habe die Beschriftung dafür gemacht", sagt die Grafikerin Tinka Kuhlmann. So ging bisher alles Hand in Hand: Die Fun-Architekten konzipierten eine Ausstellung, sie und ihr Partner Alfred Küng gestalteten sie und bestellten die Bilderrahmen bei Schreiner Murr. Genau das mache es spannend, sagt der Fotograf Chris Hirschhäuser: "Dieses Miteinander von Handwerk und Künstlern. So etwas gibt es doch sonst nirgends mehr in München." In seinem sechs Meter hohen Studio beraten sich die drei in der Sofaecke unter einem Plakat: "Happy To Be On Earth Today" steht drauf. So fühlen sie sich gerade nicht.

Hirschhäuser befürchtet, sein nächstes Atelier werde er sich nur in einem anonymen Bürogebäude leisten können. München, sagt Nachbarin Kuhlmann, "lebt am Ende auch von kleinen Leuten wie uns, wenn wir weg wären, wär's fad". Zusammen mit Küng arbeitet sie auch frei für die Stadt: "Wir gestalten Ausstellungen für die Monacensia." Es sei schon ironisch, dass sie womöglich ausgerechnet ihrem Auftraggeber, der Stadtbibliothek, Platz machen müssen. "Hm", sagt Fotograf Hirschhäuser, "dann seid ihr vielleicht die Glücklichen, die hier bleiben dürfen." Das beruhigt Tinka Kuhlmann nicht: "Wir fliegen so oder so. Das ist das Grundproblem dieser Stadt, dass sie Ecken wie hier nicht einfach stehen lassen kann."

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