Süddeutsche Zeitung

Zuwanderung:Eintrittskarte in ein neues Leben

  • Nur wer das das mittlere Sprachzertifikat auf dem Niveau B 1 besteht, hat wirklich Chancen auf dem Arbeitsmarkt.
  • An verschiedenen Stellen lernen Flüchtlinge aus den unterschiedlichsten Ländern die fremde Sprache.
  • Die Probleme, die der Alltag mit sich bringt, zeigen sich auch in den Lerngruppen.

Von Viktoria Spinrad

Narmin legt ihre Brille auf das Sprachbuch und lehnt sich vor. Seit zwei Jahren sitzt die 33-jährige Irakerin nun schon in ihrem Deutschkurs und sie hat schon große Fortschritte gemacht. Doch nun ist ihr Abschluss in Gefahr. Ihr Bruder, der noch im Irak lebt, hatte einen schweren Unfall, kann weder sprechen noch essen. Sieben Jahre ist es her, dass sich die dreifache Mutter mit den blond gefärbten Haaren und dem Blümchentop von ihm verabschiedet hat und nach München gekommen ist. Jetzt drängt die Zeit: "Wenn es schlechter wird, muss ich vor der Prüfung nach Hause fliegen", sagt sie mit brüchiger Stimme zur Lehrerin. Die verzieht besorgt die Miene.

Es ist ein heißer Vormittag in einem Münchner Integrationskurs, unweit des Hauptbahnhofs. In einem der Klassenzimmer des interkulturellen Vereins Initiativgruppe (IG) diskutieren acht Frauen aus sieben Ländern über das Leben in Deutschland - eine Sprechübung, die zeigt, dass sie neben ihrem vollgepackten Intensivkurs noch allerlei Baustellen im Privatleben begleiten. Doch standardisierte Tests kennen keine Ausreden. Nur wer das das mittlere Sprachzertifikat auf dem Niveau B 1 besteht, hat wirklich Chancen auf dem Arbeitsmarkt, es ist die Zugangsvoraussetzung für viele Berufe und Ausbildungen. Bis zur Prüfung sind es nur noch wenige Wochen - nach neun Monaten Sprachkurs wird sich dann entscheiden, wer die begehrte Eintrittskarte in der Hand hält. Nicht alle werden diese hohe Hürde schaffen.

Ein anderer Kurs der Münchner Initiativgruppe absolviert gerade die letzte Unterrichtseinheit, bevor die Schüler ihre Ergebnisse erfahren. Das Thema: das deutsche Gesundheitssystem. Claudiu Strain deutet mit dem Kugelschreiber auf ein Stück Papier. Es zeigt einen Mann, der neben einem Auto liegt. "Eine... Wunde", sagt der 40-jährige Rumäne und schaut hoch zu Tatiana Nikulina. Die 32-jährige Russin nickt und ergänzt: "Er braucht einen Krankenwagen. Sein Bein tut weh." Zufrieden lächelt die Lehrerin. "Richtig!"

Knapp 7000 Schüler haben im vergangenen Jahr in München die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge subventionierten Integrationskurse besucht - ein Drittel weniger als 2016, dem Jahr in dem die höchsten Teilnehmerzahlen verzeichnet wurden. Mit den sinkenden Asylzahlen hat sich die Zusammensetzung der Klassen verändert: Statt Geflüchteten lernen jetzt vor allem Migranten wie Claudiu Strain und Tatiana Nikulina aus dem Osten. Die Probleme drumherum aber bleiben.

Zurück im Frauenkurs, wo Eleni Zazaridou immer schneller spricht. Eigentlich möchte die 33-jährige Griechin Erzieherin werden - nach sieben Jahren als Putzhilfe in Hotels. "Doch es ist schwer", sagt sie. Seit neun Jahren lebt die Frau mit Mann und Tochter in einer 30 Quadratmeter großen Einzimmerwohnung, wo sie sich nicht zum Lernen zurückziehen kann. Sie zeigt sich selbstkritisch: "Ich habe es falsch gemacht." Doch auch ihre Mitschülerinnen haben mit Herausforderungen zu kämpfen: teure Mieten, der Mann darf nicht arbeiten, Heimweh.

"Natürlich bringen die Schüler ihre Probleme mit", sagt Monika Kleck, die stellvertretende Vorsitzende der Initiativgruppe. Wenig Privatsphäre in der Unterkunft, nebenher arbeiten, wechselnde Wohnorte, Traumatisierung und Übermüdung. Kleck versucht zu helfen, wo es geht. Dabei stößt der Verein bisweilen auch an seine Grenzen. "Manche kommen mit Schlafsack in den Kurs", sagt Kleck. Neben ihr steht ein Sprecher des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, das die Kurse organisiert. Er verweist darauf, dass Integrationsschüler eine soziale Begleitung für Alltagsfragen beantragen können. Kleck aber sagt, dass ein Helfer auf etwa 100 Teilnehmer komme. "Wir bräuchten mehr Berater", sagt sie.

Und kleinere Kurse, die sich vor allem die Schüler wünschen, damit sie das flüssigere Sprechen besser üben können. Tatiana Nikulina, die Russin aus dem gemischten Kurs sagt: "Ich habe gut Grammatik gelernt, aber nicht gut sprechen. Es sind viele in der Gruppe." Was auch daran liegt, dass geprüfte Träger wie die IG im teuren München den bundesweiten Pauschalbetrag von 3,90 Euro pro Teilnehmer und Unterrichtseinheit vom Bamf erhält. "Finanzieren können wir uns erst ab 15, 16 Schülern pro Klasse", sagt Kleck. Ein weiterer Nachteil: Barrierefreie Räume seien so zu teuer zum Mieten.

Die gemischte Klasse muss sich mit diesen Problemen nun nicht mehr herumplagen. Sie halten ihre Zeugnisse nun in der Hand. Die eine weint vor Freude, der andere macht stolz Fotos von seiner Urkunde: Zwölf von ihnen haben das begehrte B1-Deutsch-Test für Zuwanderer-Zertifikat in der Hand, fünf immerhin A2. Für Tatiana Nikulina ist ihr B1 noch viel mehr als die Eintrittskarte in ihren Traumberuf. Sie deutet auf ihr Handy: Die gemischte Truppe hat eine gemeinsame Whatsappgruppe gegründet. "Ich hätte nie gedacht, dass ich mal Freunde aus Kenia oder Sri Lanka haben würde", sagt sie. Dann muss sie los: Es geht zur gemeinsamen Feier in ein Café.

Derweil beginnt für die Frauengruppe gerade der Endspurt für die Bewährungsprobe im Juli. Auch für Narmin, die sich um ihren Bruder im Irak sorgt. "Man darf nicht weg sein", ermutigt sie eine Mitschülerin aus Nigeria. Narmin nickt ihrer Lehrerin zu: Sie will durchhalten bis zum Test, den Nachweis liefern, dass sie endlich angekommen ist in ihrer neuen Heimat.

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Quelle:
SZ vom 17.06.2019/vewo
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