Süddeutsche Zeitung

Integration:Sprachkurs im Schnelldurchlauf

Am Adolf-Weber-Gymnasium sollen Schüler innerhalb eines Jahres so gut Deutsch lernen, dass sie danach dem regulären Unterricht folgen können. Ein Besuch in der Vorbereitungsklasse

Von Jakob Wetzel

In Khalids Klasse muss es etwas schneller gehen. Gerade haben der 14-Jährige und seine Mitschülerinnen und Mitschüler noch nach Wörtern gesucht, um eine Telleruhr zu beschreiben. "Die Minute", ist ihnen eingefallen, "die Zahl" oder auch "die Vergangenheit". Schon das ist für die Schüler nicht einfach: Als sie im September an diese Schule kamen, verstanden viele von ihnen kaum ein Wort Deutsch. Doch die Lehrerin teilt bereits neue Arbeitsblätter aus. Und die Schüler, die eben noch den Grundwortschatz geübt haben, analysieren jetzt eine Kurzgeschichte von Wolfgang Borchert: "Die Küchenuhr".

Khalid besucht eine sogenannte Sprachvorbereitungsklasse am Städtischen Adolf-Weber-Gymnasium in Neuhausen. Diese sind geschaffen für Schüler wie ihn: Khalid stammt aus Damaskus, vor etwas mehr als einem Jahr ist er mit seinen Eltern und seinen Geschwistern nach München gezogen, weil sein Vater eine Stelle als Informatiker bekommen hat. Deutsch freilich konnte in der Familie niemand. Und so sitzt Khalid nun hier, mit 15 weiteren Schülern zwischen zwölf und 14 Jahren, denen es ähnlich geht. Sie stammen aus Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Serbien, aus der Ukraine und aus Weißrussland, aus Südafrika, Großbritannien, den USA, China und Südkorea - und hier sollen sie binnen eines Jahres so gut Deutsch lernen, dass sie dem Unterricht in einer Regelklasse des Gymnasiums folgen können.

Sie verzahne den Lernstoff, erklärt Klassleiterin Corinna Kremer: Die Schüler erhalten Unterricht in Deutsch als Fremdsprache - der Wortschatz - und parallel dazu Deutschunterricht wie die einheimischen Schüler. "Die Küchenuhr" etwa sei ein eher einfacher Text, von den Wörtern her. Sie habe auch Texte von Goethe durchgenommen, sagt Kremer. Wenn die Schüler nicht wissen, wie sie sich ausdrücken sollen, wechseln sie kurz ins Englische.

Die Sprachvorbereitungsklassen sind eines von mehreren Programmen, mit denen Schulen in München versuchen, Kinder mit fremder Muttersprache zu integrieren. Das freilich geschieht selten am Gymnasium. Meist landen ausländische Kinder an Grund- und Mittelschulen, wo sie in Deutschklassen die Sprache lernen, bevor sie nach einem Jahr in reguläre Klassen wechseln sollen. Begabte Kinder können danach auch auf Empfehlung ihrer Lehrer auf eine Realschule gehen. An bayernweit 14 Realschulen gibt es "Sprint"-Klassen, das steht für "Sprachförderung intensiv". Dort werden die Schüler in Regelklassen eingegliedert, haben aber zusätzlichen Deutsch-Unterricht.

Sprechen zugewanderte Kinder bereits leidlich Deutsch, haben sie mehr Optionen. Sie können unter anderem eine Internationale Klasse an einer von derzeit drei städtischen Realschulen besuchen; hier bleiben die Schüler von der fünften bis zur zehnten Klasse zusammen. Wer bereits an einem Gymnasium aufgenommen wurde, kann wiederum am staatlichen Wilhelm-Hausenstein-Gymnasium ein halbes Jahr lang einen Intensiv-Deutschkurs absolvieren. Das Projekt heißt "InGym", "Integration am Gymnasium". Ohne Deutschkenntnisse aber bleibt zunächst die Mittelschule - oder eben die Sprachvorbereitungsklasse am Städtischen Adolf-Weber-Gymnasium. Das Programm gebe es seit September 2015, sagt Schulleiter Thomas Götz. Sein Vorgänger habe eine Anlaufstelle für zugereiste Kinder mit gymnasialer Eignung schaffen wollen. Derzeit gibt es an dem Gymnasium mit 850 Schülern zwei Sprachvorbereitungsklassen für 36 Schüler. Ab 2020/21 plant die Stadt weitere internationale Klassen in städtischen Gymnasien.

Der Unterricht in Khalids Klasse besteht hauptsächlich aus Deutsch, dazu kommen vor allem Mathematik und Englisch. Die Klassen sind kleiner als üblich. Und es gibt Fächer wie "Skill", also Methodenlehre, und "Soziallehre" mit allgemeiner Landeskunde. Das Angebot richte sich vor allem an Kinder von Eltern, die aus beruflichen Gründen zugereist sind und nun in der Stadt oder im Raum München leben, erklärt Götz. Oft stammen die Familien aus anderen EU-Ländern, der gemeinsame Wirtschaftsraum erleichtert das Arbeiten im Ausland. Im Jahr erhielten sie zwischen 60 und 80 Bewerbungen. Aufnehmen kann die Schule nur halb so viele.

Wer in die Klasse kommt, klärt die Schule an einem Aufnahmetag. Dabei würde geprüft, ob ein Kind motiviert ist und schnell lernt, erklärt Lehrerin Valentina Mohl, die die Aufnahmetage vorbereitet. Lehrer besprechen mit den Eltern die Schul-Biografie des Kindes. Und es gibt einen Englisch-Test: Ohne zumindest eine gemeinsame Sprache in der Klasse gehe es nicht, sagt Mohl. Nach etwa einem halben Jahr setze sich im Alltag dann Deutsch durch.

Wie hoch die Erfolgsquote ist, kann das Gymnasium nicht genau beziffern. 68 Prozent der Schüler würden danach eine Regelklasse am Adolf-Weber-Gymnasium besuchen, sagt Götz. Doch die anderen würden nicht alle durchfallen. Oft ziehen Familien wieder weg, andere wechseln an ein Gymnasium, das näher am Wohnort ist.

Anya ist eine von denen, die es geschafft haben. Die 15-Jährige ist in Sheffield geboren; ihre Eltern kamen 2016 aus England, um in München eine neue Gemeinde ihrer evangelischen Kirche zu gründen. Deutsch konnte sie anfangs nicht, sagt Anya. Nach zwei Wochen aber ging sie aufs Adolf-Weber-Gymnasium. Mittlerweile besucht sie eine reguläre neunte Klasse und schreibt dieselben Prüfungen wie alle anderen. Um zu bestehen, müssten die Schüler nicht nur begabt sein, sondern auch motiviert und fleißig, sagt Thomas Götz. In einzelnen Fächern kommt die Schule den Kindern entgegen. Doch in Physik, Erdkunde oder Geschichte müssen sie selbständig Stoff nachlernen. Auch Deutsch sei keineswegs einfach zu lernen, sagt Valentina Mohl. Besonders schwierig sei es unter anderem für englische Schüler: In deren Muttersprache gebe es ja weder die im Deutschen geläufige Vielzahl von Artikeln wie "der", "die" und "das" noch überhaupt eine Deklination von Hauptwörtern.

Deutschlernen? Das sei schon okay, sagt dagegen Khalid. Schwierig seien nur die langen Wörter, im Arabischen gebe es vor allem kurze. Und auch für sie sei die Grammatik halb so wild gewesen, trotz Englisch, beteuert Anya. Ihre Mutter stamme aus Montenegro, deshalb spreche sie Serbisch. Von daher kenne sie das mit den Artikeln schon. Auf Serbisch gebe es auch eine Deklination. Und es gebe nicht nur vier Fälle wie im Deutschen, sondern gleich sieben.

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SZ vom 08.05.2019
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