Integration:Eine Treppe in die Zukunft

Integration: Auch reden hilft: Psychologin Elena Taurini berät eine schwangere Frau aus Nigeria.

Auch reden hilft: Psychologin Elena Taurini berät eine schwangere Frau aus Nigeria.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Im neuen Refugee Stairway Center bietet die Innere Mission Hilfe für Münchner Flüchtlinge, die nicht mehr weiter wissen

Von Thomas Anlauf

Es ist ein lichtdurchfluteter Raum, der Helligkeit und Hoffnung ins Leben verzweifelter und traumatisierter Menschen bringen soll. Bilder von lachenden Menschen hängen an den hellen Wänden, bunte Fußabdrücke am Fenster zur Seidlstraße weisen den Weg zu einem neuen Hilfs- und Beratungsangebot für Flüchtlinge, das in München bislang einzigartig ist: dem Refugee Stairway Center.

Das Besondere an der neuen Einrichtung ist, dass sie "ein Wegbegleiter für geflüchtete Menschen, die besondere Unterstützung brauchen", sein soll, sagt Sarah Weiss, die neben Hagen Westphal das Projekt leitet. Was zunächst ein wenig allgemein klingt, könnte in Zukunft eine Schlüsselrolle zur Integration von Flüchtlingen in München werden. Denn in dem Beratungsraum sollen Menschen aufgefangen werden, die sonst durch das engmaschige Netz der Flüchtlings- und Integrationsbetreuung fallen würden: Menschen mit vielfachen Traumata, die sich womöglich nicht trauen, Angebote wahrzunehmen. Menschen, die Panik vor einfachen Dingen wie U-Bahnfahrten haben, die vom langen Warten auf Anerkennung oder auf eine Arbeitserlaubnis depressiv werden. Menschen, die sich in ihrem Umfeld Diskriminierungen ausgesetzt fühlen und sich deshalb nicht in der Lage sehen, weiter zu gehen auf dem Weg in eine selbstbestimmte Zukunft in der neuen Heimat München. "Hier haben wir Zeit für die Menschen", sagt Andrea Betz von der Inneren Mission. Es gebe keinen Personalschlüssel, nach dem Hilfsbedürftige beraten werden müssen. Das Refugee Stairway Center soll "ein Anker sein", die Menschen "dürfen einfach erst mal hier sein", sagt die Expertin für Flüchtlinge, Migration und Integration bei der Inneren Mission.

Zwar sollen auch hier die Menschen letztlich weiter vermittelt werden an Stellen, die ihnen beruflich, therapeutisch oder auch in sozialen Belangen weiterhelfen können. Doch zunächst einmal ist ein multiprofessionelles Team für die Menschen da: Eine Sozialpädagogin, eine Psychologin und ein Theologe versuchen in Gesprächen, Vertrauen aufzubauen und herauszufinden, wie den Betroffenen am besten geholfen werden kann. Das können einfache Dinge sein wie die Begleitung zu Ämtern, Kursen oder Freizeiteinrichtungen. Das kann aber auch die Erkenntnis sein, dem Hilfesuchenden zu einer Traumatherapie zu raten. "Wir wollen die Menschen an die Hand nehmen", sagt Andrea Betz.

Dazu gehört auch, dass die Hilfsbedürftigen auch im Refugee Stairway Center im Notfall einen vertrauten Ansprechpartner haben. Das kann sogar so weit gehen, dass die Mitarbeiter der Einrichtung in einem Notfall auch an Wochenenden und auch nachts telefonisch erreichbar sind. Neben dem Theologen, der Sozialpädagogin und der Psychologin sollen in Zukunft zehn hauptamtliche Integrationswegbegleiter im Einsatz sein. Sie können den Hilfsbedürftigen bei konkreten Problemen im Alltag zur Seite stehen und sie auch zu Terminen begleiten.

Das Refugee Stairway Center soll also eine Mischung aus Basisbetreuung und Hilfestellung zu höherschwelligen Angeboten sein, um den Menschen "den nächsten Schritt in eine gelingende Zukunft zu ebnen", wie die Innere Mission betont. Für Günther Bauer, Vorsitzender der Inneren Mission, ist allein der Standort an der Seidlstraße in unmittelbarer Nähe zum Hauptbahnhof "schon eine Botschaft für sich". Dort, wo im September 2015 Zehntausende Flüchtlinge ankamen, von vielen Münchnern begrüßt und unzähligen freiwilligen sowie professionellen Helfern versorgt, betreut und begleitet wurden. Bauer begrüßt dieses Projekt, das die Evangelische Landeskirche mit einer halben Million Euro unterstützt, auch deshalb ausdrücklich, weil es ein Profilzeichen der christlichen Kirche sei, mit Flüchtlingen nicht abweisend umzugehen, sondern sich ihrer Not anzunehmen. "Wir unterscheiden nicht zwischen Religionen und Menschen", sagte Bauer bei der Eröffnung des Refugee Stairway Centers am Donnerstag. Es sei "ein biblischer Auftrag, allen Menschen zu helfen", die Hilfe benötigen.

Wie viele Menschen das neue Angebot künftig annehmen werden, ist derzeit noch völlig unklar, da es kein vergleichbares Projekt in München gibt. Allerdings hätten Gespräche mit anderen Einrichtungen, Hilfsorganisationen und Fachstellen in den vergangenen Monaten gezeigt, dass es offenbar einen "sehr hohen Bedarf" an einem derartigen Angebot gibt, sagt Andrea Betz. Denn während in der Asylsozialbetreuung lediglich ein Mitarbeiter auf einhundert Hilfsbedürftige kommt, können sich die Experten an der Seidlstraße so viel Zeit nehmen, wie die betroffenen Menschen benötigen. Sie werden begleitet auf dem Stairway, der Treppe, in die Zukunft in ihrer neuen Heimat.

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