Süddeutsche Zeitung

Weihnachten:Integration per Christbaum? Nein danke! 

Ist man ein besserer Deutscher, wenn man die Rituale mitmacht? Der Münchner IT-Unternehmer Mustafa Isik findet das nicht - und erzählt, warum er nun doch seine Wohnung schmückt.

Von Claudia Fromme

Mustafa Isik, 38, sitzt in seinem Münchner Büro. Vor ihm auf dem Schreibtisch sind drei Computer aufgebaut, er hat vor wenigen Monaten ein Start-up gegründet, entwickelt Software für Unternehmen. Ab und zu hört man ein Surren, Isiks Büro liegt direkt über der Waschanlage einer Tankstelle. Bald aber wird er Ruhe finden - im Wald:

"In diesem Jahr werde ich mir zum ersten Mal einen Weihnachtsbaum kaufen, nein, ich werde ihn mir selbst schlagen. 'Ja, und?', fragen mich viele, wenn ich das erzähle. 'Das ist Integration', antworte ich. 'Was redest du von Integration, Mustafa', sagen sie. 'Du bist in Deutschland geboren, deine Eltern sind mit ihren Eltern in den Sechzigern aus der Türkei gekommen. Du hast bei Google im Silicon Valley gearbeitet, hast Software für den Bayerischen Rundfunk entwickelt. Deine Frau ist Deutsche, du hast zwei Kinder, die nicht mal richtig Türkisch können. Mehr integriert als du ist keiner.'

Es ist wichtig, über Integration zu reden in Zeiten, in denen so viele Menschen nach Deutschland geflüchtet sind. Aber was ist mit denen, die schon so lange hier sind?

Weihnachten haben wir früher nie gefeiert. Meine Eltern hatten in Herford ein türkisches Restaurant, 'Zur alten Post' hieß es, da habe ich oft geholfen. Mein Vater hatte vorher als Schweißer gearbeitet, meine Mutter in einer Fabrik. Es war viel Arbeit, aber meine Mutter hat trotzdem deutsch-türkische Frauengruppen geleitet, mein Vater hat sich politisch engagiert. Er kannte Joschka Fischer und Daniel Cohn-Bendit, er war ein echter 68er. Das gibt es auch bei jenen, die aus Anatolien kommen, wie mein Vater. Auch wenn viele Deutsche gerne das Vorurteil vom dummen Bauern pflegen.

Sich einen Baum ins Zimmer zu stellen, war Anbiederung für uns - und nicht Integration

Wir waren durch und durch sozialdemokratisch und sehr offen. Geschenke und einen Weihnachtsbaum gab es trotzdem nie. Ich kannte Familien in Herford, die waren ganz nah am Kopftuch, also sehr religiös - und haben einen Baum aufgestellt. Das kam uns falsch vor. Da hätten wir auch wie Indianer einen Regentanz im Wohnzimmer aufführen können, das hätte genauso viel mit uns zu tun gehabt. Meine Mutter sagte: Wir sind Muslime, wir machen das nicht. Sie war schon immer sehr religiös, mein Vater erst nicht, dann mehr im Alter, wir Kinder waren mittendrin, bis heute kann ich nur zwei Gebete. Noch wichtiger als die Religion aber war meinen Eltern: Sie wollten sich nicht anbiedern. Das war nicht die Art und Weise, wie sie Integration verstanden haben. Es war ein Akt der Souveränität für sie, dass es keinen Baum gab. Ihre Idee von Deutschland war vielfältig und bunt.

Genau so habe ich das auch immer gesehen. Ich will Deutscher sein, aber so akzeptiert werden, wie ich bin. Ich repräsentiere ein neues Deutschland, das mehr Farben kennt als Schwarz und Weiß. Aber ich will nicht als Deutscher akzeptiert werden, weil ich ein Ritual übernehme, um nicht aufzufallen. Ich glaube an ein werteorientiertes Deutschland, nicht an ein Blut-und-Boden-Genetik-Deutschland. Es ist doch toll, dass sich Menschen als Deutsche fühlen, weil sie etwas mit diesem Land verbinden.

Ist doch nur ein Dekoartikel, so ein Weihnachtsbaum, ein heidnischer Brauch, haben mir Freunde gesagt. Mag sein, aber für mich war es lange ein Symbol, an dem sich alles kristallisiert, was Integration betrifft: Hast du einen, bist du dabei. Hast du keinen, bist du draußen. So einfach ist das. Für mich war der Baum lange ein Symbol der Ablehnung für das, was du nicht bist.

Ist es wirklich so einfach? Meine Töchter Selma, 1, und Ela, 4, haben mich zum Nachdenken gebracht. Ela fragte immer wieder, ob wir auch einen Baum aufstellen könnten, wie die anderen Kinder. Ob es nicht auch bei uns Geschenke geben könnte zu Weihnachten. Meine Frau wollte eigentlich auch nie einen Baum, obwohl sie ja Deutsche ist, aber seit die Kinder da sind, versucht sie mich davon zu überzeugen. Meine Tochter hat es nun geschafft. Vielleicht sollte die vierte Generation die Sache anders angehen. Vielleicht ist der Baum einfach ein Ding, das da steht, vielleicht ist es keine komische Anpassungsnummer. Vielleicht kann ich der andere Deutsche bleiben, auch mit einem Weihnachtsbaum.

Mutet den Deutschen auch mal etwas zu!

Viele nennen Leute wie mich ein Paradebeispiel der gelungenen Integration. Aber warum musste es ganze zwei Generationen dauern, bis in einer Einwandererfamilie der Erste studiert hat? Nach oben ist Deutschland sozial schwer durchlässig. Jeder Mustafa, jede Ayşe der dritten Generation kann dieselbe Story erzählen: dass es einem nicht einfach gemacht wurde. In der Grundschule, vierte Klasse, sitze ich mit meiner Mutter beim Elternsprechtag. Wie kann Mustafa besser in Mathe werden, fragte meine Mutter. Mustafa ist doch gut, sagte die Lehrerin. Er hat eine drei, entgegnete meine Mutter. Was können wir also tun, dass er aufs Gymnasium kommt? Wieso, fragte die Lehrerin, Mustafa ist doch Türke. Diese Szene hat sich bei mir eingebrannt.

Meine türkischen Wurzeln sind mir wichtig. Bis zur Pubertät habe ich mich als Türke begriffen, der zufällig in Deutschland geboren ist. Dann wollte ich Superinformatiker in den USA werden, sah mich als Weltbürger. Später wurde mir klar: Ich bin Deutscher, mit allen Rechten und Pflichten.

Integration ist keine Einbahnstraße. Ich rate allen Deutschtürken: Geht in die Freiwillige Feuerwehr, geht wie ich in den Jägerverein, nicht immer nur in den Fußballverein. Wenn ihr wollt, dass dieses Land auch euer Land wird, seid nicht nur dort, wo man euch vermutet! Und mutet den Deutschen auch mal etwas zu. Sagt ihnen: Hört zu, wir sind da, wir werden nicht weggehen. Akzeptiert uns als Mitbürger und deutsche Staatsbürger - so wie ihr welche seid.

Es muss aber auch ein Umdenken geben bei den Deutschtürken, gerade bei jenen, die sich hinter Erdoğan versammeln. Das ist das Ergebnis jahrelanger Demütigung. Ihr seid wer, sagt ihnen Erdoğan. Ihr seid nichts, sagten ihnen lange die Deutschen. Die Botschaft muss sein: Du bist Teil dieses Landes, akzeptier das! Du kannst einfordern, dass die Deutschen dich akzeptieren, aber das bedeutet auch, dass du dich einbringen musst. Du kannst nicht hier leben, irgendwo am Rand, und dich nicht als Deutscher fühlen. Ich glaube, jeder muss sich bewusst entscheiden, zumindest auch Deutscher sein zu wollen. Dafür muss keiner seine türkischen Wurzeln aufgeben. Wenn du sagst: Ich liebe Deutschland und möchte Teil davon sein, wirst du dazugehören.

Ich schlage heute Nachmittag meinen ersten Weihnachtsbaum. Die ganze Familie kommt mit. Für meine Kinder ist das eine große Sache. Für mich nicht mehr."

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Quelle:
SZ vom 15.12.2018/infu/cck
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