Integration:Busfahrender Integrationsbotschafter

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Hassan Ali Higo ist Ansprechpartner Nummer eins am Morgen, er ist Kumpel, manchmal auch Streitschlichter und Tröster. Und er ist Busfahrer. (Foto: Claus Schunk)

Hassan Ali Higo flüchtete vor 20 Jahren von Eritrea nach Deutschland. Heute bringt er in Sauerlach Kinder zur Schule, ist Kumpel und Kummerkasten in Personalunion.

Von Iris Hilberth, Sauerlach

Das tiefe Brummen des Diesels kündigt seine baldige Ankunft an. Dann schnauft der 226er noch einmal durch, dieses typische Linienbus-Zischen schallt durch den noch ruhigen Sauerlacher Morgen. Hassan Ali Higo setzt zum ersten Mal an diesem Tag den Blinker Richtung Bahnhofsvorplatz. Es ist noch zu früh für Fahrgäste, um 6.39 Uhr will noch keiner nach Otterloh, und auch nicht nach Gumpertshausen. Das wird sich aber schnell ändern, sobald es dämmert über den Dörfern im tiefen Süden des Landkreises München.

Higo wird an diesem Tag noch einige Male am S-Bahnhof stoppen, an dem die Züge der Linie 3 nach München und Holzkirchen abfahren. Er wird viele Schüler in seinem Bus begrüßen, ein paar Rentner und Berufstätige auf dem Weg zur Bahn. Higo kennt sie inzwischen alle, davon ist er überzeugt, die meisten spricht er mit Namen an. Und so merkt der Busfahrer sofort, wenn mal einer fehlt. "Hier steigen sonst immer drei Schüler ein", wundert er sich um 7.04 Uhr in Kleineichenhausen über die verwaiste Haltestelle.

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Seit sieben Jahren fährt Higo auf dieser Strecke, die durch all die verstreuten Ortsteile der kleinen Gemeinde Sauerlach führen. Er kurvt routiniert mit seinem langen Gefährt auf engen Straßen um die Bauernhöfe herum, hält an Heustadeln und Misthaufen, an der Schule natürlich und in der Waldsiedlung. Er möchte diese Fahrten, diesen Job nicht missen, sagt er.

Obwohl es am Anfang gar nicht so einfach gewesen sei, hier draußen. Ein Busfahrer mit schwarzer Hautfarbe auf dem oberbayerischen Land. Higo ist überzeugt: Manche Kinder hier hatten zuvor noch keinen Schwarzen gesehen. Aber inzwischen lieben sie ihren Higo. Und wer mal mit ihm in seinem Bus durch Sauerlach gefahren ist, glaubt das sofort. Es gibt wohl keine Straßenecke in diesem Ort, an der sie ihm nicht freudig zuwinken. Und es vergeht keine Pause am Bahnhof, bei der nicht einer an seine Bustür klopft, nur um kurz "Hallo Higo" oder "Servus, wie geht's " zu sagen. Sauerlachs afrikanischer Busfahrer ist inzwischen eine Institution und so bekannt wie der Pfarrer oder die Bürgermeisterin. Und obwohl Higo noch immer in München wohnt, sagt er mittlerweile: "Ich bin ein Sauerlacher."

Hassan Ali Higo kam vor mehr als 20 Jahren aus Eritrea nach Deutschland. "Zu viele Probleme in meinem Heimatland", sagt er nur zu den Gründen seiner Flucht. Drei Jahre hat es damals gedauert, bis sein Asylantrag positiv beschieden wurde. "Eine lange Zeit, in der ich nicht arbeiten durfte und nicht richtig Deutsch lernte", erzählt er, und fügt hinzu: "Heute ist das besser geregelt."

Der Busführerschein als Übergangslösung

Higo arbeitete einige Jahre als Buchbinder, dann ging seine Firma pleite. Er machte eine Umschulung, er lernte, mit dem Computer umzugehen. Doch ein neuer Job war nicht in Aussicht. Was also tun, um nicht von Hartz IV leben zu müssen? Immerhin hatte er Familie, seine beiden Kinder besuchten das Gymnasium in Bogenhausen, wo sie inzwischen Abitur gemacht haben. Also ging er auf den Vorschlag eines Freundes ein, den Busführerschein zu machen. Vorübergehend könnte das ja was sein, dachte sich Higo damals, vielleicht ein halbes Jahr lang, als er das erste Mal am Steuer saß. Jetzt sind daraus sieben Jahre geworden, Higo ist inzwischen 50 und will gar nicht mehr aussteigen.

Seine spät entdeckte Liebe zum Busfahren hängt sicher mit Sauerlach und seinen Menschen zusammen. Higo freut sich schon, wenn morgens an der Waldsiedlung, in Lanzenhaar und in Otterloh seine Tür aufgeht und die Grundschulkinder in seinen Bus stürmen. Heute hat es Maxi besonders eilig, seinem Busfahrer vom Wochenende zu berichten. "Komm Maxi, jetzt setzt du dich aber wieder hin", sagt Higo, "nachher erzählst du mir weiter."

Der Mann hinter dem Steuer ist mehr als nur der Fahrer. Er ist Ansprechpartner Nummer eins am Morgen, er ist Kumpel, manchmal auch Streitschlichter und Tröster. "Klar erzählen die mir auch von ihren Nöten. Wenn sie einen Dreier bekommen haben und glauben, dass der Papa zu Hause schimpft, dann sage ich: Eine Drei ist doch gut!" Und wer im Bus seine Jacke, Mütze oder Tasche vergisst, kann sicher sein: Higo hat sie auf seiner nächsten Tour in der Schule abgegeben. Die Kinder drücken ihre Sympathie täglich mit einem coolen Begrüßungsritual, Faust an Faust, aus.

Was alles so locker und entspannt ausschaut, wenn Higo seinen Bus von Dorf zu Dorf steuert, ist doch auch für ihn recht anstrengend. Lange Arbeitstage dauern mit Pausen von früh um sechs bis abends um halb acht. Zwischendurch hat er noch Fahrten zwischen Ostbahnhof und Taufkirchen zu erledigen, bevor er zu Schulschluss nach Sauerlach zurückkehrt. Stressig aber sind nicht die Kinder, "wir sind ein gutes Team", sagt er. Es ist vielmehr der Druck, den Bus pünktlich an die Haltestellen zu lenken, auf den schmalen Straßen auch bei Gegenverkehr zügig voranzukommen, damit keiner die S-Bahn verpasst oder zu spät zur Schule kommt. "Es ist ein Kampf, denn viele Autofahrer fahren auf den kleinen Straßen sehr schnell", sagt er.

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Er liebt seinen Beruf, aber manche Fahrgäste können ihm die Laune vermiesen. Ein Busfahrer erzählt von seinem Alltag - und erklärt, warum der Bus einem so oft vor der Nase wegfährt.

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Die Sauerlacher Eltern sind offenbar sehr froh über die gute Betreuung auf dem Schulweg, denn das Führerhaus war kurz vor Weihnachten so voll mit kleinen Päckchen, dass der Busfahrer beinahe nicht mehr rausschauen konnte.

Sollte man ihm das nicht glauben, Higo hat es fotografiert und genauso wie das Treffen mit Bürgermeisterin Barbara Bogner auf seinem Handy gespeichert. Dieses Bild ist bei einem Termin des Asyl-Helferkreises in Sauerlach entstanden. Dort arbeitet Higo regelmäßig mit, vor allem dolmetscht er, denn er spricht Arabisch. In Sauerlach reden sie viel über Flüchtlinge, auch in seinem Bus, sagt Higo. "Ich kenne die Diskussionen und sage immer: ,Wir sind alle Fremde auf der Erde.'"

Das schönste Erlebnis habe er einmal mit einem Vater gehabt, der während einer Pause mit seinem großen Auto an seinem Bus hielt und an die Tür klopfte. Was der wohl will, dachte sich Higo. "Ich möchte mich bei Ihnen bedanken", soll der Mann gesagt haben, "Sie haben meine Kinder von Hass und Rassismus befreit." Ob er wirklich einen solchen Einfluss hat, mag Higo nicht beurteilen, gleichwohl freute er sich über die Aussage, denn: "Ich bin auch Botschafter meiner Heimat."

Der Münchner Verkehrsverbund (MVV) sucht derzeit wieder die besten Busfahrer oder -fahrerinnen in den Landkreisen rund um München. Dazu liegen in allen Regionalbussen Flyer mit Teilnahme-Coupons aus, in denen Fahrgäste Lieblingsfahrer oder -fahrerinnen eintragen und angeben können, was diese ganz besonders auszeichnet. Kandidaten können auch per Mail an busfahrer-aktion@mvv-muenchen.de vorgeschlagen werden. Dabei sollten die Buslinie und die Uhrzeit angegeben werden, zu der man unterwegs war. Busfahrer der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) können nicht nominiert werden. Unter allen Einsendern verlost der MVV Geld- und Sachpreise.

© SZ vom 13.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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