Staatsanwaltschaft:Tödliche Insulinspritzen: Hilfspfleger wird angeklagt

  • Wegen sechs Morden in ganz Deutschland hat die Staatsanwaltschaft München I Anklage gegen den Hilfspfleger Grzegorz W. erhoben.
  • Auch drei versuchte Morde werden dem 37-Jährigen angelastet, ebenso Diebstahl, Betrug, Raub mit Todesfolge sowie gefährliche Körperverletzung.
  • Laut Anklage soll der Mann seinen pflegebedürftigen Patienten Insulin gespritzt haben, obwohl das medizinisch nicht geboten war.
  • Grzegorz W. soll mindestens an 69 unterschiedlichen Adressen im gesamten Bundesgebiet tätig gewesen sein.

Von Thomas Schmidt

Er soll aus Habgier mehrere alte, wehrlose Menschen getötet haben, die in seiner Obhut waren: Bereits seit gut einem Jahr sitzt der Hilfspfleger Grzegorz W. in Untersuchungshaft, weil er im Verdacht steht, seine Pflegepatienten mit Insulin vergiftet und ausgeraubt zu haben. Nun hat die Staatsanwaltschaft München bekanntgegeben, dass sie Anklage gegen den 37-Jährigen erhebt. Der Vorwurf lautet unter anderem auf Mord in sechs Fällen sowie auf drei Fälle des versuchten Mordes. Weitere Anklagepunkte sind Diebstahl, Betrug, Raub mit Todesfolge sowie gefährliche Körperverletzung.

Grzegorz W. konnte offenbar jahrelang unbehelligt seiner Arbeit als Hilfspfleger nachgehen und mutmaßlich zahlreiche Straftaten in der gesamten Bundesrepublik begehen. Erst im Februar des vergangenen Jahres flog er schließlich auf. Damals sollte er sich um einen Mann in Ottobrunn im Landkreis München kümmern. Am Rosenmontag 2018 verständigte W. selbst den Notruf und teilte am Telefon mit, der Rentner, den er betreue, liege tot in seinem Bett. Bei der Obduktion der Leiche fanden Gerichtsmediziner mehrere Einstichstellen wie von Injektionsnadeln und stellten einen extrem niedrigen Blutzuckerwert fest, obwohl der 87-Jährige gar kein Diabetiker war. Polizisten durchsuchten daraufhin die Habseligkeiten des Hilfspflegers und fanden zwei EC-Karten des toten Rentners samt Pin-Nummern und einen Insulin-Pen. So geriet W. ins Visier der Münchner Mordkommission.

Bei den Ermittlungen kristallisierte sich Stück für Stück heraus, dass womöglich eine ganze Reihe weiterer Mordfälle auf das Konto des Hilfspflegers gehen könnte. Das bestätigt nun auch die Staatsanwaltschaft: Der Angeschuldigte habe "an zahlreichen Orten" in Deutschland pflegebedürftigen Personen Insulin verabreicht, obwohl die Opfer nicht zuckerkrank waren. Einige Betroffene starben, andere überlebten knapp.

In den meisten Wohnungen, in denen W. als Hilfspfleger gearbeitet hatte, habe er die Zimmer nach Wertgegenständen durchsucht, um sie zu stehlen, berichtet die Staatsanwaltschaft. Mutmaßlich, damit er in Ruhe nach Beute suchen und anschließend nicht auffliegen konnte, habe er die alten Menschen vergiftet. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass W. aus Habgier handelte und heimtückisch die Wehrlosigkeit seiner Opfer ausgenutzt hat.

Grzegorz W. soll mindestens an 69 unterschiedlichen Adressen im gesamten Bundesgebiet tätig gewesen sein. Oft wurde er schon nach kurzer Zeit wieder entlassen, manchmal verschwand er auch einfach. Auffällig oft sollen jedoch die alten Menschen nach ein paar Tagen seiner "Pflege" ins Krankenhaus gebracht worden sein. Nach gut einem Jahr akribischer Ermittlungsarbeit geht die Staatsanwaltschaft nun davon aus, dass er in Burg, Spaichingen, Hannover, Wiesenbronn, Eckenthal und Ottobrunn gemordet hat. Grzegorz W. hat zugegeben, den Pflegebedürftigen Insulin verabreicht zu haben. Er bestreitet jedoch, dass er jemanden habe töten wollen.

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Insulin als Mordwaffe

Immer wieder werden Fälle bekannt, in denen Menschen mit Insulin getötet werden. Mit diesem Hormon regelt der Körper die Aufnahme von Zucker in seinen Zellen. Kann es der Körper nicht herstellen oder reagieren die Zellen nicht mehr ausreichend darauf, so spricht man von Diabetes. Der Erkrankte muss sich dann Insulin spritzen. Hat man zu viel Insulin im Körper, sinkt der Blutzuckerspiegel rapide, was tödlich enden kann.

Für die Ermittler im Fall des unter Mordverdacht stehenden Hilfspflegers stellt sich die Frage, wie leicht und wie lange sich nichtkörpereigenes Insulin bei Toten noch nachweisen lässt. "Je fauliger die Leiche ist, desto schwieriger wird es", sagt Herbert Bratzke vom Berufsverband Deutscher Rechtsmediziner. Brauche man einen eindeutigen Beweis, "sprechen wir hier von Tagen". Am besten müsse der Körper direkt nach dem Tod untersucht werden. Auch die Toxikologin Cora Wunder vom Institut für Rechtsmedizin in Frankfurt am Main verweist auf die schwierige Nachweisbarkeit des Hormons - und das manchmal schon Tage nach dem Tod.

Prinzipiell hänge es vom Zustand des Leichnams ab, wenn er exhumiert werde. "Wenn er verbrannt wird, gibt es sowieso keine Chance mehr - auch wenn der Körper schon vergraben ist, ist es schwierig", sagt Wunder. Denn mit dem Tod platzten die Zellen, zersetze sich das Blut und die roten Blutkörperchen träten aus. "Sobald das Hämoglobin mit dem Insulin zusammenkommt, erfolgt eine Zersetzungsreaktion und man kann es derzeit nicht mehr nachweisen." dpa, SZ

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