Institut für Zeitgeschichte:Wenn Historiker feiern

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„Die Geschichte klammert sich von hinten an die Menschen an", sagt Institutsdirektor Andreas Wirsching in seiner Ansprache. (Foto: Robert Haas/Robert Haas)

Gute Laune in akademischen Kreisen: Das Institut für Zeitgeschichte ist nun 75 Jahre alt. Ein Grußwort fehlt – der Institutsleiter witzelt, es ist wohl „der Dynamik der Zeitgeschichte“ zum Opfer gefallen.

Von Joachim Käppner

Der hauseigene Chor singt zur Begrüßung sehr hübsch a cappella „Alle Vögel sind schon da“. Aber so richtig stimmt das nicht, denn einer der prominentesten Vögel fehlt. Bei der Feier zum 75. Geburtstag des Instituts für Zeitgeschichte an der Leonrodstraße entfällt die Grußbotschaft aus dem Bundesforschungsministerium ersatzlos. Aber die Reste der einstigen Ampelregierung sind eben mit sich selber beschäftigt. Freilich, da sich die ausgeschiedene Wissenschaftsministerin Bettina Stark-Watzinger von der FDP in akademischen Kreisen, freundlich gesagt, ohnehin nicht der überschäumendsten Beliebtheit erfreute, bleibt der Kummer der Münchner Festgesellschaft überschaubar. Mit feiner Ironie befindet Institutsleiter Andreas Wirsching in seiner Ansprache, der Glückwunsch aus Berlin sei wohl „der Dynamik der Zeitgeschichte“ zum Opfer gefallen.

Einen freilich gibt es, den freut diese Vorlage aus Berlin beinahe diebisch. Bayerns Kulturminister Markus Blume, CSU, hält eine launige Rede, die er mit einem vergifteten Lob an Stark-Watzingers Interims-Nachfolger Cem Özdemir von den Grünen würzt. Er, Blume, habe eben noch mit diesem telefoniert und dürfe den Gästen also versichern: „Das Bundesforschungsministerium ist besetzt, und ich würde sagen, zumindest im Vergleich zur Vorgängerin sogar gut besetzt.“

Blume schließt mit goldenen Verheißungen, der Freistaat werde immer an der Seite des Instituts stehen und bietet Hilfe an, sollte es einmal vor lauter Wachstum an Büchern, Projekten und Forschungsvorhaben einen neuen Standort in München brauchen. Manche Anwesende nehmen sich fest vor, bei Gelegenheit auf diese Worte zurückzukommen. Ja, der Standort. 1972 anstelle einer aus allen Nähten platzenden alten Villa bezogen, ist es in jenem „Brachialstil“ gehalten, den schon ein zeitgenössischer BR-Fernsehbericht mit Erstaunen diagnostizierte. Aber genug der Äußerlichkeiten.

Es sind dies ernste Zeiten, und entsprechend ernst fallen die Töne aus in den Räumen einer Institution, die 1949 gegründet wurde, um Licht in die Nacht zu tragen, die der Nationalsozialismus über Deutschland und Europa gebracht hatte. Und dieser Vergangenheit, so Institutsdirektor Wirsching in seiner Ansprache, entkommt man angesichts „der schieren Monstrosität des Geschehens“ 1933 bis 1945 nicht: „Die Geschichte klammert sich von hinten an die Menschen an“, ob sie das akzeptieren oder nicht. Wirsching warnt davor, dass die antidemokratischen Kräfte, die gerade erstarken, sich der Geschichte für ihre Zwecke bemächtigen: „Im schlimmsten Fall wird die gedeutete Vergangenheit zum Kerker für die Zukunft.“

Viele prominente Historiker der Republik, die ihm wohl zustimmen, sind zur Geburtstagsparty gekommen: Norbert Frei, Jörn Leonhard, Hans Günter Hockerts oder Lutz Raphael, der Vorsitzende des Verbandes der Historikerinnen und Historiker Deutschlands, der scherzt, er habe 3000 Grüße und Glückwünsche mitgebracht (zum Vorteil des Festakts werden sie nicht öffentlich verlesen). Per Videobotschaft grüßt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der das Institut für Zeitgeschichte als wichtigen Bestandteil „einer jahrzehntelangen inneren Befreiung Deutschlands“ preist.

Das IfZ brachte unter anderem die kritische Edition von „Mein Kampf“ heraus

Aus guten Gründen: Das IfZ leistete bereits Grundlagenforschung zur Struktur der nationalsozialistischen Herrschaft, vor allem zum Genozid an den Juden, als die herkömmliche Geschichtswissenschaft an den Universitäten noch damit beschäftigt war, ihre Komplizenschaft mit den Nazis kleinzureden. Heute ist das Institut so etwas wie ein verlässliches Flaggschiff der Zeitgeschichtsforschung, bekannt etwa durch das Zentrum für Holocaust-Studien, die kritische Edition von Hitlers „Mein Kampf“ oder die „Dokumentation Obersalzberg“. Solche Arbeiten sind, so Steinmeier, um so wichtiger in unserer Zeit, „denn der Leitstern der Demokratie hat in manchen Regionen der Welt an Strahlkraft verloren“.

Die anschließende Festrede von Jürgen Kaube, Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, zum Begriff der Zeitgeschichte ist nach allgemeinem Dafürhalten der Zuhörenden ebenso unterhaltsam und geistreich („Die Theorien der Ideologen waren schon mal besser als heute“) wie offen für sehr unterschiedliche Interpretationen, was der Vortragende wohl genau gemeint haben könnte. Auf zustimmendes Gelächter beim anschließenden Empfang in der Betonburg stößt jedenfalls ein Bonmot Kaubes, wie man Geschichtswissenschaftler erkenne: „Historiker sind Leute, die erwidern, sobald man etwas gesagt hat: Nein, das war zwölf Jahre früher.“

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