Insolvenz der Abendzeitung:Von Natur aus fröhlich

Große Ernsthaftigkeit, Weltschmerz und Depression sind den Machern der Münchner Abendzeitung seit jeher wesensfremd. An diesem Mittwoch hat das Blatt Insolvenz angemeldet. Ja, das ist traurig. Aber kein Grund, nicht auf die gute alte AZ zu trinken.

Von Christian Mayer

Eine Boulevardzeitung braucht die Liebe auf den ersten Blick. Das Publikum, das am Kiosk vorbeischlendert, das im Biergarten von stoischen Schlagzeilen-Verkäufern in Versuchung geführt werden soll oder vielleicht sogar ein Abonnement hat, das Publikum braucht ein Mindestmaß an Zuneigung, an Sympathie für das Blatt und seine Geschichten. In diesem Fall: für die Abendzeitung und ihre Geschichte.

Viele Geschichten, die in der Abendzeitung standen, hatten ein heiteres Ende. Große Ernsthaftigkeit, Weltschmerz und Depression sind den Machern seit jeher wesensfremd, es überwiegt eine überwiegend positive Einstellung zu der Stadt München und ihren Bewohnern, die Kir-Royal-hafte Lässigkeit hat eine lange Tradition.

Am Tag, als die Insolvenz der Abendzeitung bekannt wurde, titelte das Blatt zwar mit dem Mietwahnsinn in München und warnte vor der nächsten Grippewelle, doch das angebliche Grippeopfer wirkte dafür so kerngesund wie die Models, die sich normalerweise auf der Leute-Seite einen fröhlichen Lenz machen. Und natürlich durfte auch nicht die lustige Faschingsdienstag-Marktfrau vom Viktualienmarkt fehlen, die symbolträchtig ihr Prosecco-Glas erhebt. Auf dich, München.

Keine Ausgabe ohne Champagner-Fest

Es wird, falls der AZ irgendwann tatsächlich das letzte Stündlein schlägt, auch eine große Schaumwein-Ära zu Ende gehen. Keine Ausgabe ohne Champagner-Fest, ohne die Rituale der Bussi-Gesellschaft, ohne Perlen vor Publikum.

Die Abendzeitung hatte, vor allem in ihren besten und besseren Zeiten, ein Gespür für die Stimmung in der Münchner Gesellschaft, für das, was gerade wieder los ist in der Stadt des schönen Scheins. Wer in München gerne unter Leute geht, wer das Theater, die Oper, die Musik liebt und gerne mal essen geht (ganz egal ob ins Wirtshaus oder ins Tantris), war mit und bei der AZ gut aufgehoben.

Auf dem Höhepunkt ihrer Kreativität, als die Zeitung noch etwas mehr aus dem Vollen schöpfen konnte (die Mittel waren eigentlich immer beschränkt, die Personalnot wurde nur mit Mühe und oft mit originellen Ideen geschickt überdeckt), kam man auch als kulturell interessierter Leser nicht an der Abendzeitung vorbei. Weil die oft unter extremer Zeitnot schreibenden Kollegen wussten, wie man in 50 Zeilen ein ganzes Leben erzählt. Oder in 60 Zeilen die Geschichte eines rauschenden Abends.

Manchmal konnte die AZ sogar richtig weh tun - es gibt wohl keinen Politiker, keinen Prominenten in München, der sich nicht schon fürchterlich über das Blatt geärgert hat. So was ist immer ein gutes Zeichen.

Ach ja, die AZ und ihre Kolumnisten. Die AZ hatte in dieser Hinsicht lange Glück. Sie hatte den großartigen Menschenbeobachter Sigi Sommer. Sie hatte Gesellschaftsexperten wie Michael Graeter und Marie Waldburg. Sie hatte und hat tolle Filmkritiker, Kultur- und Sportredakteure. Der Graeter ist immer noch im Dienst, versorgt eine Reihe von Anwälten mit Arbeit und gilt als dienstältester Klatschreporter der Welt. Ein Phänomen.

Der Graeter schreibt immer etwas zu süffig

Es ist ein bitter-komischer Zufall, dass er gerade erst von einem leichten Schlaganfall genesen ist und trotzdem wieder in den Startlöchern steht: Einer wie Graeter will hinaus in die Münchner Nacht, er kann auch mit 70 plus gar nicht anders, als die nächste Party anzusteuern, um dann, ganz nüchtern, aber immer etwas zu süffig, über Amouröses oder auch nur Kurioses zu berichten. Stammleser wissen, dass sie öfter mal was verpassen, wenn sie die AZ nicht konsumiert haben, was meist allerdings keine zehn Minuten dauert.

Trinken wir also ein Glas Prosecco, besser noch: ein gutes Glas Prosecco oder gleich einen "Schampus", wie das AZ-Klatschspaltenpersonal das machen würde. Trinken wir auf die gute alte Abendzeitung. Auf die vielen heiteren, auch anrührenden Geschichten, auf den Spaß, den wir gemeinsam hatten.

Ja, es ist traurig, aber wie würde die AZ schreiben: Das Leben geht fröhlich weiter.

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